Der saarländische Techno/House-Musiker Roger 23 hat ein neues Album veröffentlicht. In Do-It-Yourself-Manier komponierte er neun vielschichtige Tracks für „Bounds of a Moral Principle and Established Standard Behavior“.
Roger, welche Erwartungen oder Hoffnungen verÂbindest Du mit der Albumveröffentlichung? Und wie bemisst Du den Erfolg einer Veröffentlichung?
Im Prinzip habe ich keine Hoffnungen, was die Veröffentlichung angeht. Ich mache keine Musik, um Aufmerksamkeit zu generieren. Es ist für mich eher eine Ausdrucksform. Ja, es ist schön, wenn man jemanden mit seinem eigenen Schaffen bereichern und begeistern kann. Das reicht mir in der Regel auch schon. Ich träume nicht davon, ein Superstar zu werden oder auf Platz eins zu landen. Das interessiert mich absolut nicht. Ich weiß, dass meine Musik bei den richtigen Kanälen ankommt – das reicht mir völlig. Diese Entscheidung ist auch bewusst gewählt, und das war schon immer so. Mitzulaufen ist einfach nicht mein Ding. Das Hinterfragen einer Sache finde ich allerdings sehr wichtig. Ich verlasse mich da in der Regel auf mein Bauchgefühl und bereue einfach nichts. Zumal, wenn etwas nicht so laufen sollte wie gedacht, halte ich immer noch die Zügel in der Hand und kann dann bewusst einen anderen Weg einschlagen.
Wenn man nach Dir auf Spotify sucht, findet man wenig. Deine Musik erscheint nicht digital – zumindest nicht über die MainÂstream-Kanäle. Welche Strategie steckt dahinter?
Nun, ich will eigentlich keine Musik digital hören oder anbieten. Etwas Gegenständliches ist mir immer lieber als etwas Immaterielles. Mit einem Gegenstand kann man sich beschäftigen und das sehr lange sogar. Das andere verhält sich wie Wasser in den Händen: Es flutscht durch und ist nichts anderes als ein Konsumgegenstand. Das widerstrebt mir. Musik soll bereichern, kann auch zu einem Konflikt führen, an dem man wachsen kann, aber der Konsum tötet dieses Gefühl ab.
Welches Konzept steckt hinter dem neuen Album?
Ehrlich gesagt: keins. Ich bin kein Mensch, der fünf Jahre lang immer wieder die gleiche Musik hört. Dafür bin ich zu neugierig und fortwährend auf der Suche nach dem perfekten Kick. Es ist schön, wenn sich ein Künstler an etwas festhalten kann und dann Variationen auf den Tisch bringt. Aber bei mir funktioniert das weniger. Musik ist für mich stimmungsabhängig. Klar bin ich dann von etwas beeinflusst, was ich aktuell gern höre. Aber ein halbes Jahr mit denselben Sounds zu arbeiten, ist für mich eher der Horror, als dass ich darin aufgehe. Meine Tracks versuche ich so weit fertig zu machen, dass sie auch einen Abschluss finden und eine längere Haltbarkeit haben und nicht nur ein Durchgangsprodukt sind.
Wie sehr hat die Corona-Pandemie und auch die Tatsache, dass Du Dich während dieser um Deinen hilfebedürftigen Vater kümmerst, die Musik des Albums beeinflusst?
Tatsächlich hat die Pandemie das Album gar nicht beeinflusst – außer bei den Fields, den drei kurzen Zwischenstücken, die ein Zeitdokument der ersten Woche Lockdown sind. Auch, dass ich mich um meinen Dad kümmere, spielt auf dem Album keine Rolle. Den Drang, da etwas bei- oder gegenzusteuern, hatte ich definitiv nicht. Es war eher eine Art Urlaub und sehr unproduktiv. Ich bereicherte mich an anderen Dingen: mit meinem Rennrad rumzufahren und die Atmosphäre an einzelnen Orten aufzusaugen. Viele haben in der Zeit versucht, etwas beizutragen, aber mit welchem Erfolg denn? Mir wurde von deren Übereifer fast schlecht. Meine Intention gab mir auch zuletzt recht … Heute ist diese Zeit in den Köpfen der Leute schon fast vergessen. Die meisten haben verdrängt, wie es sich angefühlt hat, auf einmal arg beschnitten zu sein. Von daher habe ich wohl alles richtig gemacht: Eindrücke gesammelt und sie ausgewertet. Vielleicht dann doch auch mit einem Anteil in der Musik, aber nicht bewusst. Wenn, dann übe ich da eher Kritik daran, was die Menschheit mal wieder aus so einer Situation nicht gelernt hat.
Sowohl der Titel des Albums als auch die einiger Songs sind ZungenÂbrecher. Sollen sie ebenso herausfordernd sein, wie es Deine Musik im positiven Sinne ist?
Die Songtitel sind eine Art Beschreibung mit Kritik auf die Gesellschaft. Aber klar, man denkt vielleicht, was geht denn bei dem so ab. Im Prinzip ist das wie mit Namen: In der Regel gehört das zu der Abteilung Schall und Rauch. Von daher erzeugt das vielleicht etwas provokative Aufmerksamkeit. Wie jeder einzelne damit umgeht, interessiert mich nicht. Dann ist es eben für die Person nicht bestimmt – auch gut. Im Prinzip arbeite ich hier dann doch irgendwie konzeptionell, was ich mir beim Musikmachen abspreche.
Wie viel Arbeit steckt in dem Album? Du drehst ja nicht nur ein paar Knöpfchen und bewegst ein paar Regler und spielst Loops ein … Kannst Du einen Einblick in Deinen Arbeitsprozess gewähren?
Oha … Also ein Stück, für das ich vielleicht maximal vier Stunden gebraucht habe, habe ich schon lange nicht mehr gemacht, obwohl das meist meine bekanntesten Tracks waren. Da ich es meistens dann doch wissen will, brauche ich in der Regel für ein Stück inklusive Finetuning im Sound so rund drei Wochen. Ich mache schließlich alles selbst: Sound-Recherche, Zusammenfassung, Arrangement und Pre-Mastering. Ich werde immer dann kreativ, wenn mein Rechner in die Knie geht. (lacht) Mit langweiligen Loops arbeite ich weniger. Da muss schon etwas mehr passieren.
Deine Songs kommen größtenteils ohne Texte aus, steckt dennoch eine Aussauge dahinter?
Nein. Ich entscheide aus dem Bauch heraus, ob ein Stück instrumental funktioniert oder Vocals benötigt. Es gibt durchaus Tonträger, auf denen meine Stimme zu hören ist. Aber eine direkte Message hat das nicht. Es ist tatsächlich viel einfacher, Musik mit Vocals zu machen, weil der Aufmerksamkeitseffekt dann gleich sehr viel höher ist. Aber bei Techno verhält sich das Ganze anders, sofern man nicht im Mainstream landen möchte. Ich leiste mir den Luxus, keine Musik zu machen, um jemanden gefallen zu müssen. Dennoch achte ich bei Dance-Tracks auf eine gewisse Form der Funktionalität. Das lernt man mit der Zeit. Irgendwie spielt Funktionalität bei Musik auch eine Rolle, selbst dann, wenn man etwas grottenschlecht findet. Selbst das hat letztlich eine Wirkung auf den Hörer.