Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat in seinem Städteranking 71 Großstädte miteinander verglichen. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit liegen vor allem kleinere Großstädte vorn, sagt Dr. Vanessa Hünnemeyer, Senior Managerin bei IW, im Interview.
Frau Dr. Hünnemeyer, im Städteranking werden Städte außer auf Nachhaltigkeit auch hinsichtlich ihres Niveaus und ihrer Dynamik miteinander verglichen. Können Sie ganz kurz erläutern, was diese beiden Indikatoren konkret bedeuten?
Für das Niveau untersuchen wir den Ist-Zustand. Wir unterscheiden die Teilbereiche Immobilienmarkt, Lebensqualität, Arbeitsmarkt und Wirtschaft. Im Dynamikranking hingegen können wir die Entwicklung beurteilen. Wir gucken, ob es bei den gewählten Indikatoren Fort- oder Rückschritte gibt.
Beim Dynamikranking liegt Mainz auf dem Spitzenplatz. Wie ist es dazu gekommen?
In Mainz haben wir eine sehr gute wirtschaftliche Entwicklung. Das liegt in erster Linie an der Entwicklung der gemeindlichen Steuerkraft. Diese starke Entwicklung resultiert vor allem aus dem Erfolg von Biontech. Durch die Produktion des Impfstoffes in der Pandemiebekämpfung sind hohe Gewinne erzielt worden. Diese fließen in Form von Gewerbesteuer auch zurück in die Gemeinde. Zudem landet Mainz im Bereich Arbeitsmarkt auf Platz fünf. Die Arbeitsplatzversorgung hat sich in Mainz in den vergangenen fünf Jahren gut entwickelt.
Direkt hinter Mainz kommt Berlin auf Platz zwei hinsichtlich der Dynamik. Im Vorjahr lag die Hauptstadt noch auf Platz eins.
Berlin zeigt in vielen Indikatoren eine überdurchschnittliche Entwicklung. Das liegt unter anderem auch daran, dass es im Niveau-Ranking im Mittelfeld landet. Hier gibt es also noch Entwicklungspotenziale, die aktiviert werden können. Und dies scheint in Berlin zu gelingen, wie Platz zwei im Dynamikranking zeigt. Berlin ist zum Beispiel eine wachsende Stadt. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist dieses Wachstum eine ganz wichtige Komponente, die auch wirtschaftliche Entwicklungen möglich macht. Die meisten Verbesserungen sehen wir im Bereich des Arbeitsmarktes. Hier gibt es eine durchweg überdurchschnittlich gute Entwicklung der Indikatoren, außer im Bereich der Jugendarbeitslosenquote. Für den Arbeitsmarkt ist es spannend, dass der Anteil an Schulabgängern ohne Abschluss zurückgegangen ist. Ihr Anteil ist um 3,1 Prozentpunkte innerhalb der letzten fünf Jahre gesunken, während im Mittel der berücksichtigten Großstädte dieser Indikator um 0,4 Prozentpunkte gestiegen ist. Auch wird der Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte attraktiver. Es sind mehr Frauen beschäftigt, es gibt eine bessere Arbeitsplatzversorgung in Berlin. Die starke Beschäftigungsentwicklung ist Ausdruck des Interesses von Unternehmen am Standort Berlin. Dies spiegeln auch Wirtschaftsindikatoren wie das BIP oder die Produktivität wider. Wissensintensive Dienstleistungen werden für Berlin immer wichtiger.
Saarbrücken befindet sich, bezogen auf das Niveau-Ranking, im Mittelfeld. Können Sie das näher erläutern?
Das hat verschiedene Gründe. In vielen berücksichtigten Indikatoren kann Saarbrücken aktuell nicht mithalten. Problematisch ist zum Beispiel das Verhältnis von junger und alter Bevölkerung. Unternehmen spüren schon heute, dass es immer schwieriger wird, neues Personal zu finden. Gleichzeitig ist die Jugendarbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch, vergleichsweise viele Schüler und Schülerinnen verlassen die Schule ohne Abschluss. Die Beschäftigungsrate von Frauen ist unterdurchschnittlich. Von 100 Einwohnern und Einwohnerinnen beziehen neun staatliche Unterstützung (ALG-II). Im Mittel der Großstädte sind es sieben von 100. Zur Linderung des Fachkräftemangels gibt es also noch viele Potenziale. Es gibt aber auch Faktoren, bei denen Saarbrücken gut ist: Die Nettozuwanderung ist positiv, das Gewerbesaldo ebenso. Die überdurchschnittliche Sicherheit erfreulich.
Mitttelgroße Städte sind in puncto Nachhaltigkeit führend. Wolfsburg liegt auf Platz eins, gefolgt von Ulm, Heidelberg, Erlangen und Ingolstadt. Was hat es damit auf sich
In Anlehnung an die UN-Nachhaltigkeitsziele haben wir 22 Indikatoren ausgewählt. Die ausgewählten Indikatoren reichen etwa von Ladestellen für Elektroautos bis zur Glasfaserversorgung. Auch Themen, die für die Zukunftsorientierung einer Stadt wichtig sind, bilden wir über verschiedene Indikatoren ab. Wolfsburg landet auf Rang eins, weil es im Bereich der Ökonomie durch die vorhandene Automobilindustrie besonders stark ist. Wir haben Ulm auf Platz zwei. Die Stadt führt in den Bereichen Ökologie und Soziales. Heidelberg landet in allen drei Indikatoren auf Platz fünf. Die Tatsache, dass viele kleinere Großstädte im Nachhaltigkeitsranking vorne liegen, liegt mitunter auch an der Auswahl der Indikatoren. Im Bereich der Luftqualität haben etwa kleinere Großstädte Vorteile gegenüber den Metropolen.
Die deutsche Hauptstadt liegt abgeschlagen im letzten Drittel, was die Nachhaltigkeit anbelangt.
Berlin schneidet im Bereich Ökonomie am besten ab. Die Stadt liegt zum Beispiel auf Platz eins bei High-Tech-Gründungen. Da ist Berlin ein richtiger Leuchtturm. Allerdings sehen wir im Bereich Ökologie und Soziales noch Handlungsmöglichkeiten. Dies betrifft sowohl die Dekarbonisierung von Verkehr und Gesellschaft als auch soziale Belange. Die Möglichkeit, ein Elektroauto zu laden, ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl weniger gegeben als etwa in Wolfsburg. Gleichzeitig ist die ÖPNV-Anbindung, gemessen an der Luftliniendistanz zur nächsten Haltestelle mit mindestens 20 Abfahrten pro Tag, schwächer als im großstädtischen Durchschnitt.
Im Bereich Soziales ist die Integration von Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt alarmierend. Die Jugendarbeitslosenquote beträgt mehr als zehn Prozent. Die beruflichen Startchancen sind deutlich schwieriger für Jugendliche in Berlin als im Großteil der übrigen Großstädte. Berlin gilt bzw. galt als „arm aber sexy“. Armut betrifft insbesondere auch ältere Personen über 65 Jahren. Überdurchschnittlich viele Personen ab 65 Jahren beziehen Grundsicherung.
Saarbrücken hingegen hat sich in puncto Nachhaltigkeit um einige Punkte verbessert. Die Stadt rangiert jetzt auf den mittleren Plätzen.
Insgesamt erreicht Saarbrücken Rang 45. Die beste Bewertung erzielt Saarbrücken im Bereich Ökologie auf Rang 24. Besonders hervorzuheben ist, dass die Solarstromproduktion in Saarbrücken mehr als doppelt so hoch ist wie im Durchschnitt der 71 Großstädte. Die Luftqualität ist besser und die Saarbrücker Bürger und Bürgerinnen verursachen wenig Müll. Stellschrauben gibt es vor allem bei den sozialen Faktoren. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels muss die Förderung von jungen Menschen besser gelingen. Hierfür ist die Erlangung eines berufsqualifizierenden Schulabschlusses eine notwendige Voraussetzung. Aber auch danach benötigen Jugendliche Unterstützung. Für die Gestaltung des Übergangs von Schule in Beruf beziehungsweise Ausbildung benötigt es ebenfalls Unterstützungsangebote. Es muss nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels gelingen, Jugendlichen zukunftsrelevante Kompetenzen zu vermitteln und ihnen den Start ins Berufsleben zu ermöglichen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sehen wir die Beschäftigung von Frauen als Symbol für die Leistungsfähigkeit sozialer Unterstützungssysteme, wird deutlich, dass es noch Verbesserungsbedarfe in der sozialen Infrastruktur gibt. Dies kommt natürlich nicht nur Frauen, sondern auch Männern, die ebenfalls in Care-Arbeit involviert sind, zugute. Hand in Hand geht dies mit der Erhöhung des pädagogischen Personals.