Der Blick geht schon weit nach vorne: Wer wird der nächste Kanzlerkandidat der Union? Parteichef Friedrich Merz will, aber andernorts bilden sich Machtzentren und starke Netzwerke.
Eine recht bizarre Veranstaltung an einem Dienstagabend umschreibt trefflich den Zustand der Union auf der Sinnsuche nach sich selbst: Einen Tag nach Eröffnung der Weihnachtsmarksaison sitzen in einem kleinen Hotel in Berlin-Mitte im Herzen des Regierungsviertels CDU-Chef Friedrich Merz und Ex-SPD-Chef Siegmar Gabriel lauschig zusammen und diskutieren über ein Buch. So weit, so unspektakulär. Das Buch trägt den Titel „Der Unbeugsame“ und handelt von dem Comeback von einem der Diskutanten: Friedrich Merz.
Die erste Frage, die sich aufdrängt, ist natürlich: Warum tut sich ein ehemaliger SPD-Chef das an? Vielleicht ist es schlicht das Rampenlicht, gespiegelt von Fotografen und Fernseh-Kameras. „Sigi-Pop“, so sein Spitzname in der SPD, braucht das ab und zu, und da setzt er sich auch schon gern mal mit seinem ehemaligen politischen Kontrahenten aus dem Bundestag auf die Bühne. Die andere Frage, die unweigerlich im Raum steht: Warum lädt Friedrich Merz ausgerechnet den ehemaligen SPD-Chef zur Vorstellung seiner Biografie ein? Natürlich wegen der Schlagzeilen. Solche Gelegenheiten werden in der Bundeshauptstadt sorgfältig inszeniert und gezielt getimt.
Gut zehn Monate, nachdem Merz im dritten Anlauf zum CDU-Parteichef gewählt wurde, wabert in der Partei ein veritabler Machtkampf. Es geht um die Unionskanzlerkandidatur 2025. Friedrich Merz ringt um die Deutungshoheit in den eigenen Reihen, und da kann so ein kleines Spektakel im politischen Alltagsgeschäft in Berlin nicht verkehrt sein. Natürlich widerspricht Merz auf Nachfrage, ob dieses Buch über ihn und seinen schlussendlichen Siegeslauf in der CDU ein Auftragswerk sei. Die beiden Autoren hätten es an ihn herangetragen und er habe das Werk über ihn dann wohlwollend unterstützt. Allein der Umstand, dass die Biografie eines CDU-Chefs erscheint, der noch nicht einmal ein Jahr im Amt ist, spricht Bände und gibt Aufschluss über den Rückhalt innerhalb seiner Partei. Der scheint derzeit offensichtlich nicht besonders groß zu sein, viele in der Union bemängeln eine offensichtliche personelle Zentrierung der CDU auf Nordrhein-Westfalen. Es ist der stärkste Landesverband innerhalb der Union und stellt obendrein den charismatischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst auf die politische Bühne. Der Sauerländer Merz kennt Wüst nur zu gut, beide schätzen sich. Aber in der Frage der Unions-Kanzlerkandidatur, die in nicht mal zwei Jahren entschieden werden muss, könnten die beiden parteiintern Konkurrenten werden.
Spitzenpersonal kommt oft aus NRW
Nun bekommt der Nordrhein-Westfälische Ministerpräsident und CDU-Landeschef Wüst noch weitere Unterstützung. Deutschlandtag der Jungen Union in Fulda: Der Aufbruch in der CDU schien klar definiert nach der Zusammenkunft der Jungen Union 2020 und ihrem damaligen Superstar Friedrich Merz. Damals noch auf dem Sprung zum Kanzlerkandidaten und CDU-Vorsitzenden. Letzteres hat er nun erreicht, doch der Hoffnungsträger der jungen Konservativen liefert nicht. Damals teilte er seinen christdemokratischen Jüngern mit: „Junge Besen kehren gut, doch die alte Bürste kennt die Ecke“. Die „alte Bürste“, wie sich Merz selbst einordnete, hat sich offenbar in der Ecke festgeschruppt, bleibt inhaltsleer.
Auf dem Deutschlandtag seiner ehemaligen Fans wollten es die jungen Besen wissen. Vor allem die Frauenquote, von Merz befürwortet, ist ein Dorn im Auge der Jung-Konservativen auf dem neuerlichen Deutschland-Treffen der JU Mitte November. Ergebnis dieser Unzufriedenheit: Johannes Winkel wurde zum neuen JU-Chef gewählt. Der 31-jährige gilt wiederum als politischer Freund von Hendrik Wüst und löste den bisherigen JU-Chef Tilmann Kuban ab, der mit Überschreitung der Altersgrenze von 35 Jahren nicht wieder antreten konnte. Doch damit nicht genug, auch ein alter Widersacher von Friedrich Merz hat sich innerhalb der CDU wieder nach oben gekämpft. Der ehemalige Generealsekretär der Bundespartei, Paul Ziemiak, ist seit Anfang November Generalsekretär der CDU-Nordrein-Westfalen. Von Merz geschasst, ist Ziemiak nun wieder zurück auf der CDU-Bühne, wenn auch nur auf Landesebene.
Was üblicherweise aus der Berliner Parteibrille als Abstieg gewertet wird, von der Bundes- auf die Landesebene zu wechseln, wird in diesem Fall mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt.
Der neue JU-Chef Winkel und Ziemiak kommen aus Kreuztal im Siegerland. Beide waren ehemals Vorsitzende der JU des Bezirks Südwestfalen. Nun rückt Johannes Winkel als Vorsitzender der Nachwuchsorganisation der CDU nach. Der ohnehin starke CDU-Landesverband Nordrhein-Westfalen scheint seine innerparteiliche Machtposition auszubauen, für Hendrik Wüst keine schlechte Ausgangslage.
Ein weiterer Kontrahent von Friedrich Merz in der CDU ist der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther. Allerdings dürfte er in Anbetracht der derzeitigen Gemengelage wenig Aussicht auf Erfolg haben, bei der Kandidaten-Kür auf dem nächsten Bundesparteitag dürften ihm die nötigen Stimmen fehlen.
Der Landesverband NRW ist der Königsmacher in der CDU. Interessanterweise hatte er aber seit Bundeskanzler Konrad Adenauer niemals mehr durchschlagenden Erfolg. Bundeskanzler Helmut Kohl kam aus dem deutlich kleineren Rheinland-Pfalz und Angela Merkel aus dem für Bundesparteitage der CDU eigentlich ziemlich bedeutungslosen Landesverband Mecklenburg-Vorpommern.
„Sozialtourismus“ und Bürgergeld
Das könnte womöglich ein Ansporn für Julia Klöckner sein. Die ehemalige CDU-Chefin von Rheinland-Pfalz taucht in den letzten Wochen verdächtig oft in den üblichen Talk-Shows auf, allerdings ohne wesentlich sinnstiftende Beiträge von sich zu geben. Ein Grundproblem der CDU dieser Tage: Es wird viel geredet, aber wenig Position bezogen.
Merz ist seit seinem ersten Tag als Fraktionschef und damit Oppositionsführer in Berlin bemüht, eine scharfe Opposition mit markigen, mitunter populistischen Worten abzugeben. Das geht mitunter ziemlich daneben, wie sein auf die Flüchtlingssituation gemünztes Wort vom „Sozialtourismus“.
Auch die Debatte um Bürgergeld statt Hartz IV lief eher suboptimal. Merz gab als Parteichef die Parole aus, „Fordern und Fördern“ müsse im Einklang stehen. Das Schonvermögen mit vorgesehenen 60.000 Euro sollte abgesenkt werden. Spät fiel CDU/CSU auf, dass damit ausgerechnet ihr Wählerklientel von Freiberuflern und Handwerkern getroffen würde. Ein Grundsatz der Union in den vergangenen Jahren war, die private Kapitalbildung solle zukünftig der Grundstock für die Alterssicherung sein. Doch wer unverschuldet etwa in den vergangenen zwei Pandemie-Jahren in wirtschaftliche Not geraten ist, sollte nun laut CDU/CSU erst seine Rücklagen aufbrauchen. Ein Widerspruch, den CDU-Chef Friedrich Merz auch bei seiner Buchvorstellung nicht wirklich erklären konnte. Brauchte er auch nicht, Moderator Sigmar Gabriel hakte nicht weiter nach.