Viele Entscheidungen in anderen Ländern beeinflussen auch uns, teils unmittelbar
Wahlen sind die Höhepunkte des demokratischen politischen Prozesses und wir fokussieren uns aus gutem Grunde deswegen immer auf diese Ereignisse. Es sind zentrale Weichenstellungen, in denen sich manchmal etwas diffuse Diskussionen, die oft mehr durch Lautstärke als durch tatsächliche Meinungsmacht gekennzeichnet sind, in Form gießen. Daher ist es zum Ende des Jahres 2022 sinnvoll, einen ersten Blick auf die spannenden Termine des kommenden Jahres zu werfen.
Die wichtige Nachricht erst einmal für Deutschland: 2023 ist kein Superwahljahr, trotz der ungeplanten Wiederholung der annullierten Wahl in Berlin. Neben allerlei Kommunalwahlen, deren bundespolitische Bedeutung ja eher begrenzt ist, werden wir insgesamt mit vier Landtagswahlen konfrontiert: Den Auftakt macht das kleinste Bundesland, nämlich Bremen, gefolgt von Berlin im Februar und dann zwei größeren Ländern, nämlich Hessen und natürlich vor allem Bayern, auf das wir alle ja immer mit besonderem Interesse schauen.
Obgleich viele die Hauptstadtwahl für besonders wichtig halten, ist die bayerische Landtagswahl die größte mit direkten bundespolitischen Konsequenzen, denn je nach Ausgang hängt davon auch immer das Auftreten der CSU im Bundestag ab. Ministerpräsident Söder ist derjenige in der Riege der Landeschefs, dessen Berliner Profil am schärfsten ist und dessen Meinung am häufigsten wiedergegeben wird – völlig unabhängig davon, ob man das nun für berechtigt hält oder nicht. Der bundespolitische Anspruch der CSU steht auf dem Fundament ihrer ewigen Regierungsmacht in München. Daher hat diese Wahl besondere Bedeutung.
Doch auch innerhalb der EU wie auch an ihren Grenzen tun sich wichtige Dinge. In vielen EU-Mitgliedsstaaten finden Parlamentswahlen statt, die das innere Gefüge der Machtverhältnisse und der Kooperationsbereitschaft potenziell durcheinanderwürfeln können. Hier sind die anstehenden Wahlen in Polen und in Spanien als besonders wichtig hervorzuheben: In Polen entscheidet sich das Schicksal einer rechtspopulistischen, EU-feindlichen Regierung, die möglicherweise auf der Welle der Ukraine-Solidarität ihre Macht weiter ausbauen kann. Und in Spanien stellt sich eine aus dem Ausland manchmal mit viel Lorbeeren bedachte, linke Regierung wieder zur Wahl und es wird sich zeigen, ob die inneren Probleme des Landes erfolgreich genug gelöst wurden, um politische Stabilität zu gewährleisten.
Doch auch ein großer und wirkmächtiger Nachbar steht vor einem großen Test: In der Türkei stellt sich der autokratisch regierende Präsident Erdoğan dem Votum seines Volkes, und viele seiner Aktivitäten zeigen, dass er sich dieses Votums nicht sicher sein kann. Die anhaltende Wirtschaftskrise hat seiner Popularität geschadet und seine sehr individuelle Sichtweise auf die richtige Währungspolitik hat ihm zumindest bisher nicht geholfen. Das politische Schicksal der Türkei ist für uns in Europa auf vielen Ebenen wichtig: im sehr gespannten Verhältnis mit Griechenland, in der Bearbeitung des Ukraine-Krieges, in der Frage kontrollierter oder unkontrollierter Migration, in wirtschaftlichen Fragen. Es wird meiner Ansicht nach die Wahl außerhalb der EU im Jahre 2023 sein, der wir die größte Aufmerksamkeit werden schenken müssen, da ihr Ausgang direkte und fühlbare Konsequenzen auch für Deutschland haben wird.
2023 wird ein spannendes und abwechslungsreiches Wahljahr, wenn man den Blick über die eigenen Staatsgrenzen hinaushebt. Und wer auch jenseits der EU schauen will, dem empfehle ich noch folgende wichtige Wahlen auf globaler Ebene: Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im bevölkerungsreichsten Land Afrikas, in Nigeria; in Südamerika ist das wichtige Argentinien an der Reihe; Parlamentswahlen im aktuell arg gebeutelten Pakistan und dann auch noch in Indien, Pakistans ewigem Rivalen, mit möglichen Konsequenzen für den Dauerkonflikt zwischen den beiden Staaten; Thailand und Myanmar, beides Länder, deren Innenpolitik man getrost als volatil bezeichnen kann, kommen 2023 ebenfalls noch hinzu. Es lohnt sich also, die Nachrichten zu verfolgen.