Das Jahr hatte es in sich: Im Positiven wie im Negativen konnte die Saar-Wirtschaft von sich reden machen. Zentraler politischer Punkt der neuen Landesregierung wird es nun sein, den Strukturwandel anzuschieben – mit allen Mitteln.
Das Saarland kann Strukturwandel. Ministerpräsidentin Anke Rehlinger wird nicht müde, diesen Satz immer wieder zu betonen. Dabei hat die SPD-Alleinregierung des Saarlandes „gleich mehrere Bälle“ in der Luft, wie Wirtschaftsminister Jürgen Barke es formuliert. Es geht darum, das Bundesland erneut zu verändern – weg von einer verlängerten Werkbank hin zu einem diversifizierten Wirtschaftsstandort. Dabei helfen soll Geld, drei Milliarden Euro, die über einen Transformationsfonds in den kommenden zehn Jahren einen Teil der zahllosen Zukunftsaufgaben finanzieren sollen.
Das Geld ist unbestritten notwendig, hier waren sich alle im Haushaltsausschuss angehörten Experten einig, auch wenn sie bei der Ausgestaltung durchaus unterschiedliche Meinungen vertraten. Auch der saarländische Rechnungshof, der bereits in diesem Jahr mit strengen Prüfungen von sich reden machte, forderte Nachbesserungen.
Ungeachtet des Wie aber bleiben staatliche Investitionen in den kommenden zehn Jahren für einen gelingenden Wandel unerlässlich. Durch die Transformation der Automobilindustrie, einer der wichtigsten Pfeiler der Saar-Industrie, gerieten bislang sicher geglaubte Arbeitgeber wie Zulieferer bis hin zum Automobilbauer unter Zugzwang; die Pandemie und der Krieg, Lieferkettenprobleme und Halbleiterknappheit taten ihr Übriges, um sie richtig in Schieflage zu bringen. Eindrücklichstes Beispiel in diesem Jahr: Weil der Konzern die Elektromobilität verschlafen hat, zwingt die Rosskur den Ford-Konzern nun zu harten Entscheidungen. Zurück bleibt in wenigen Jahren ein Gelände, dessen Besitz und Weiterentwicklung nun geklärt werden muss, das aber auch Chancen birgt – doch nur langfristig, wie die Entwicklung des Geländes des stillgelegten Ford-Werkes im belgischen Genk zeigt.
Positivbeispiele aber sind hier auch in den klassischen Saar-Großbetrieben der Automobilindustrie zu nennen: Die Entscheidung von ZF, das saarländische Werk zum Leitwerk für Elektromobilität zu formen, bedeutet nicht nur Kontinuität für die 9.000 Beschäftigten, sondern auch ein Bekenntnis zum Standort. Der Konzern hat früh auf die Transformation reagiert und durch Aufkäufe oder innovative Ausgründungen wie dem ZF-Technologiezentrum an der Universität des Saarlandes den eigenen Wandel eingeleitet. Die etwa 1.000 Beschäftigten bei Eberspächer in Neunkirchen aber bleiben vorerst beim Verbrenner – nicht ohne den Markt im Visier zu behalten. Kein Zweifel, dass sich auch hier etwas ändern muss angesichts der Transformation der gesamten Automobilindustrie. Dagegen hat Bosch, wenn auch nach hartem Kampf mit der Belegschaft, den Standort Saarland insgesamt erst einmal gesichert. In Homburg geht es in den kommenden Jahren vor allem um Wasserstoff, eines der Lieblingsprojekte auch der Landesregierung.
Kammern sorgen sich um Energie und Steuern
Sinn macht der Energieträger vor allem dort, wo er von erneuerbaren Energien erzeugt werden kann und fossile ersetzt – zum Beispiel in der saarländischen Stahlindustrie. Um in einer CO2-neutralen Wirtschaft wettbewerbsfähig zu bleiben, wird sie in Zukunft Stahl mithilfe von Wasserstoff herstellen. Technologisch gibt es dazu keine Alternative, und trotz der im vergangenen Jahr gesteigerten Einnahmen von Dillinger Hütte und Saarstahl, nach dem einschneidenden Kostensenkungsprogramm braucht die Industrie an der Saar Geld auch vom Staat, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Denn wenn eine schrumpfende Wirtschaft weniger Stahl benötigt, bleibt unterm Strich weniger für die Unternehmen, um in ihre Zukunft zu investieren. Nach einer aktuellen Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sind trotz der Inflation und einer drohenden Rezession rasche Investitionen in eine wasserstoffbasierte Stahlproduktion sinnvoll, zumal Erdgas wegen des Ukraine-Krieges als Brückentechnologie auf absehbare Zeit aus Kostengründen ausfalle. Da trifft es sich gut, dass die saarländische Stahlindustrie über die Tochtergesellschaft Rogesa am grenzüberschreitenden Wasserstoffprojekt „Mosahyc“ beteiligt ist, über das auch IPCEI-Fördergelder der EU an die Saar zum Aufbau einer Wasserstoffversorgung fließen.
Als Zukunftsinvestition sieht die Landesregierung auch die Investition des chinesischen Batterieherstellers Svolt – eine Leitinvestition, die den Standort Saarland auch für weitere Unternehmen in der automobilen Zukunft des Landes abseits des Verbrenners attraktiv machen könnte. Hier sind die Vorbereitungen schon zum Großteil abgeschlossen, vor allem bezüglich der geplanten Batteriemodulmontage in Heusweiler. Das Unternehmen mietet das Gelände langfristig. In Überherrn, dem geplanten Standort der Gigafactory, bleibt der Widerstand der örtlichen Bürgerinitiativen bestehen. Da das Bauleitverfahren hier erst ganz am Anfang steht und die Auftragslage das Unternehmen zu einem raschen Produktionshochlauf zwingt, suchte man nach alternativen Standorten. Und fand sie in Brandenburg, wo nun ab 2025 erst einmal die Batteriezelle produziert wird. Dass eine der Bürgerinitiativen derzeit Strafanzeige wegen Gründungsschwindels gestellt hat, gerät derweil zum i-Tüpfelchen des massiven Protestes: Das Unternehmen hatte statt Svolt den vorherigen Namen seiner Muttergesellschaft, Honeycomb, als Gesellschafterin eingetragen. Die Staatsanwaltschaft in Darmstadt ermittelt derzeit. Voraussichtlicher Produktionsstart im Saarland: 2028 statt 2023 – die Verschiebung und jene neue Fabrik in Brandenburg lassen erste Zweifel aufkommen, ob das Werk überhaupt im Saarland gebaut wird.
Fragezeichen bei Svolt, Fragezeichen auch beim Mittelstand: Ob diese in den kommenden Jahren zukunftssicher bleiben, hängt auch von den Gewerbesteuern in den saarländischen Gemeinden ab. Diese sind zu hoch, moniert die Industrie- und Handelskammer. Der Spielraum für die Kommunen, diese zu senken, ist angesichts der derzeitigen Lage, der Geflüchteten, dem hohen Modernisierungsdruck auf die überalterte kommunale Infrastruktur gleich null. Auch die Handwerkskammer blickt mit Sorge auf die kommenden Monate, angesichts hoher Energiepreise und zu weniger Fachkräften. Nicht zu vergessen die Situation an den Hochschulen, die ebenfalls mit Energiepreissteigerungen zu kämpfen haben.
Barkes „Bälle in der Luft“ geraten angesichts dieser Fülle an Aufgaben zu einer fast unmöglich erscheinenden Jonglage. Kein Wunder, dass sich die Staatskanzlei mit einem Beauftragten für Strukturwandel noch ein Paar helfende Hände für dieses Kunststück geangelt hat. Sollte er weniger freischwebendes Radikal wie sein Vorgänger Ammar Alkassar als vielmehr in den Arbeitsalltag eingebundener Teil der Regierungsmannschaft sein, wäre Frank Nägele eine passende Verstärkung. Klar ist: Transformation, auch mithilfe eines Drei-Milliarden-Topfes, ist eine Generationenaufgabe. Daran kann eine einzige Landesregierung, eine einzige Legislaturperiode, daran können jene ersten drei Milliarden nichts radikal ändern. Aber sie können den Weg bereiten.