Ist der soziale Wohnungsbau in Berlin gescheitert? Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften haben ihr Neubauziel in den vergangenen vier Jahren verfehlt. Erst Ende 2022 ist Besserung in Sicht.
Der soziale Wohnungsbau in der Hauptstadt geht nur langsam voran. So war in diesem Jahr bis zum Herbst kein einziger Antrag auf Förderung zum Bau einer Sozialwohnung bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen eingegangen. Das lag daran, dass die Bestimmungen zunächst überarbeitet wurden, bevor die neue Förderrichtlinie Ende September in Kraft trat. „Für die Jahre 2022 und 2023 stehen dem Land Berlin jeweils 739 Millionen Euro für die Bewilligung neuer Sozialwohnungen zur Verfügung“, sagte Berlins Bausentor Andreas Geisel (SPD). Im Koalitionsvertrag hatten die Linkspartei, die SPD und die Grünen den Bau von 5.000 Sozialwohnungen jährlich vereinbart. „Seit Inkrafttreten wurden für 1700 Wohnungen Anträge gestellt“, sagte eine Sprecherin des Bausenats gegenüber FORUM. Mit den Nachbewilligungen für die Wohnungen, die wegen der alten Förderungen nicht gebaut werden, könnte das 4000 bewilligte Sozialwohnungen für 2022 bedeuten, so die Sprecherin weiter.
Im Jahr 2016 hatten die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit dem Senat eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen. Darin geht es um bezahlbare Mieten, aber auch um Wohnungsneubau und soziale Wohnraumversorgung. Ein Blick in den Jahresbericht 2021 zeigt, dass bei DGWO Gesobau, Gewobag, Howoge, Stadt und Land sowie WMP die Bestandsmieten stabil waren. Ende des 2021 lagen sie mit durchschnittlich 6,29 Euro pro Quadratmeter genauso hoch wie im Jahr zuvor.
Allerdings ist das vor allem dem Mietendeckel zu verdanken. Bei neu abgeschlossenen Mietverträgen verlangten die Berliner Wohnungsbaugesellschaften im Durchschnitt 7,25 Euro pro Quadratmeter. Das liegt immer noch ein knappes Drittel unterhalb der marktüblichen Angebotsmieten. Im Jahr 2021 sind 15.385 Wohnungen zur Wiedervermietung gekommen. Das sind rund sieben Prozent mehr als 2020.
Dennoch ist die Fluktuation immer noch sehr gering. Etwa zwei Drittel dieser Wohnungen wurden an Haushalte mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS) vergeben. Damit ist die von der Kooperationsvereinbarung geforderte Quote erfüllt.
Nur zwei können die Quote erfüllen
Für die nötige Entspannung des Wohnungsmarktes ist der Wohnungsneubau entscheidend, insbesondere der geförderte Wohnungsbau. Doch auch in diesem Punkt klafft eine weite Lücke. Die Forderung, dass die Hälfte der Neubauwohnungen geförderte Sozialwohnungen sein sollen, erfüllen nur zwei landeseigene Wohnungsbaugesellschaften: die Gewobag und die Howoge.
Letztere beteiligt sich auch am Projekt „Wohnen am Volkspark“ in Berlin Lichtenberg am Weißenseer Weg, Ecke Hohenschönhauser Straße. Auf dem ehemaligen Busabstellplatz und den westlich angrenzenden städtischen Flächen sollen laut Angaben des Senats für Stadtentwicklung bis zu 700 bezahlbare Wohnungen entstehen. Dort musste auch eine Entscheidung zum parallel geplanten Grundschulstandort getroffen werden. Mit Blick auf die beengten Flächenverhältnisse entsteht nun eine dreizügige Schule als flächensparende 2-in-1-Grundschule, bei der der Schulbaukörper und die Turnhalle übereinander angeordnet sind. Mit der Entscheidung für diesen neuen Schultyp kann das Bebauungsplanverfahren nun umgehend fortgesetzt werden und der Bau der Wohnungen sowie der Grundschule starten.
Im Kreuzungsbereich der Hohenschönhauser Straße und des Weißenseer Wegs wird so in den nächsten Jahren ein neues Wohnquartier entstehen, das verkehrlich gut angebunden sein soll. Laut Senatsangaben sollen mehr als 1.000 Berlinerinnen und Berliner neuen Wohnraum erhalten.
Durch den B-Plan sollen auch die Tennis- und Kleingartenanlage für die Zukunft gesichert werden. Auch soll die stark versiegelte Fläche mit Grün- und Freizeitmöglichkeiten ökologisch aufgewertet werden. Im westlichen Bereich des Areals soll auch ein Großspielfeld für den Sport entstehen. Im Herbst 2023 ist die Fertigstellung geplant. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen wird den Grundschulstandort realisieren. Der Bebauungsplan für das Areal soll Anfang 2024 beschlossen werden.
Wie dringend der Neubau für eine Stadt wie Berlin ist, die aus allen Nähten platzt, weiß auch Maren Kern. Sie ist Vorstands-Chefin des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). „Wir brauchen jedes Jahr 20.000 neue Wohnungen“, sagt sie. Gemessen an der Zahl neu gebauter Wohnungen je 1.000 Einwohner liege Berlin deutschlandweit auf dem 20. Platz, so die BBU-Chefin. Bereits seit 2017 würden kontinuierlich weniger Wohnungen in Berlin genehmigt, so Kern.
Jährlich 20.000 neue Wohnungen benötigt
Im Sommer dieses Jahres gab das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg die Zahlen für die erteilten Baugenehmigungen in Berlin und Brandenburg im ersten Halbjahr 2021 heraus. Das Ergebnis: In Berlin ist die Zahl der erteilten Genehmigungen im Vorjahresvergleich um rund 29 Prozent eingebrochen. „Die Berliner Zahlen haben es in sich“, erläutert Maren Kern. „Denn hinter ihnen steckt die immer noch unzureichende personelle und technische Ausstattung der Bauämter, vor allem aber auch das zunehmend schlechtere Neubauklima in der Stadt.“ Insbesondere auch der zwischenzeitlich gescheiterte Mietendeckel sowie die Enteignungsdiskussion hätten hierzu einen Beitrag geleistet. Das alles geht zulasten all derjenigen, die händeringend nach einer bezahlbaren Wohnung in Berlin suchen.
Ursache des bislang zähen Neubaus von Sozialwohnungen ist vor allem die Privatisierung der kommunalen Wohnungsbestände. Sie begann bereits um die Jahrtausendwende. 1998 wurde die Gehag verkauft und mit ihr 60.000 Wohnungen. 2004 folgte dann der Verkauf der GSW.
„Das war ein schwerwiegender politischer Fehler, das Tafelsilber darf man nicht verkaufen“, sagte Rainer Wild vor Kurzem in einem Interview mit dem Rundschaft Berlin-Brandenburg (rbb). Der Berliner war bis vor Kurzem noch Sprecher des Berliner Mietervereins. „Die ganze Privatisierungswelle war fatal.“ Heute müsste man möglicherweise über eine Vergesellschaftung nachdenken, um diese Wohnungen wieder zurückbekommen. „Oder wir müssen sie zurückkaufen durch die kommunalen Wohnungsunternehmen und unheimlich hohe Preise dafür aufbringen“, führt Wild weiter. Alles in allem ein hohes Lehrgeld für das Land Berlin.