Mitte Dezember 2022 steht für die internationale Schwimm-Elite die Fina-Kurzbahn-WM in Melbourne auf dem Terminkalender. Wobei das deutsche Team gerade mal acht Athleten umfasst und von dem neuen DSV-Kurzstrecken-Aushängeschild Anna Elendt angeführt wird.

Für die nationale wie internationale Schwimm-Elite hatte der Terminplan des Sommers 2022 eine ganze Reihe von Top-Events bereitgehalten. Mit der WM in Budapest, der EM im Rahmen der European Championships in München und den mit Topstars geradezu gespickten Becken-Wettbewerben der Commonwealth Games in Birmingham als Höhepunkte. Zum Jahresausklang warten nun noch die Kurzbahn-Weltmeisterschaften, die wegen des Ukraine-Krieges von der Fina kurzfristig aus dem russischen Kasan ins australische Melbourne verlegt worden waren und dort zwischen dem 13. und 18. Dezember über die Bühne gehen werden. Die nach dem sportlichen Sommerstress notwendige Regenerationsphase dürfte für alle Athleten ausreichend lang genug gewesen sein, um eine Teilnahme an den Wettkämpfen in Down Under ernsthaft in Betracht ziehen zu können. Was sich hierzulande allein schon daran ablesen ließ, dass sich bei den nationalen Kurzbahn-Meisterschaften in Wuppertal zwischen dem 17. und 20. November 2022 einige namhafte deutsche Schwimmer ein Stelldichein gegeben hatten. Von Marco Koch oder Lucas Matzerath bis hin zu Angelina Köhler oder Ole Braunschweig. Neben denen neue, vielversprechende Talente erste sportliche Duftmarken setzen konnten, vor allem die erst 13-jährige DSV-Schmetterling-Hoffnung Alina Baievych, die 18-jährige Brustschwimmerin Nele Schulze oder der 19-jährige Silas Beth über 400 Meter Freistil.
Kaum verwunderlich daher, dass die vom DSV lancierte Pressemeldung, nach Melbourne lediglich ein aus acht Köpfen bestehendes Rumpfteam entsenden zu wollen, gelindes Staunen auslöste. Noch mehr allerdings die dafür gelieferte Erklärung aus dem Munde von Christian Hansmann, der erst seit Anfang des Jahres den Posten des DSV-Leistungssportdirektors bekleidet: „Die Kurzbahn-WM ist für die Fördereinstufung des DSV nicht maßgeblich, daher wird hierfür mit einem entsprechend kleinen Etat kalkuliert.“ Woraus sich eigentlich nur der Schluss ziehen ließ, dass diese Weltmeisterschaft in den Augen des DSV als nicht so wichtig eingestuft wurde und dass es schlicht und einfach am Geld fehlt. Wie klamm der DSV derzeit dasteht, lässt sich auch an der Tatsache ablesen, dass es dem Verband trotz mehrfacher Verhandlungen mit renommierten ausländischen Kandidaten bislang nicht gelungen ist, nach Ablösung der Doppelspitze Bernd Berkhahn/Hannes Vitense zum Jahresbeginn einen neuen Chef-Bundestrainer zu installieren. „Wir können international mit dem Gehaltsgefüge nicht mithalten“, so Christian Hansmanns konsterniertes Bekenntnis nach dem Scheitern der Gespräche. In einer turbulenten, in Kassel abgehaltenen DSV-Mitgliederversammlung hatte Präsident Marco Troll im November 2022 das Handtuch geworfen, weil ihm die Zustimmung zu einer Anhebung der Mitgliederbeiträge zur Minderung der finanziellen Probleme versagt worden war. Man darf gespannt sein, ob die neue Doppelspitze Wolfgang Rupieper und Kai Morgenroth dieses heiße Eisen anpacken wird.
Eine Vielzahl Probleme beim DSV

Schon zur Schwimm-WM in Budapest im Sommer 2022 war der DSV mit einem relativ kleinen, elf Sportler umfassenden Team angereist. Das allerdings bemerkenswerterweise vier Medaillen im Becken erringen und damit das Ergebnis der Olympischen Spiele von Tokio 2021 mit zweimal Edelmetall (Bronze jeweils für Florian Wellbrock und dessen spätere Ehefrau Sarah jeweils über die 1.500 Meter Freistil) deutlich toppen konnte. In Rom hatte Florian Wellbrock, das internationale Aushängeschild des DSV auf den Langstrecken, Silber über 800 Meter Freistil und Bronze über 1.500 Meter Freistil gewonnen. Gattin Sarah hatte bei der WM pausiert. Doch neben ihm war in Rom der Stern von Lukas Märtens und von Anna Elendt aufgegangen, die sich beide überraschend die Silbermedaille sichern konnten, Märtens über 400 Meter Freistil, Elendt über 100 Meter Brust. Wobei Anna Elendt das Kunststück gelungen war, die 13 ewige Jahre dauernde Wartezeit des DSV auf einen WM-Medaillengewinn im Bereich der Kurzstrecken seit den seligen Zeiten einer Britta Steffen zu beenden. Dass der DSV nun quasi aus freien Stücken darauf verzichtet hat, das ganz vorsichtig sprießende Pflänzlein eines sportlichen Aufschwungs in Melbourne durch die Nominierung einer starken Mannschaft weiter zu kultivieren, mag verstehen, wer will.
Immerhin wird das achtköpfige Aufgebot des DSV für die Wettkämpfe im Rahmen der 16. Fina-Kurzbahn-WM in dem hochmodernen Melbourne Sports and Aquatic Centre von keiner Geringeren als der frisch gebackenen Vize-Weltmeisterin Anna Elendt angeführt. Weil es sich der DSV offenbar vorgenommen hat, keinesfalls mit leeren Medaillenhänden aus Australien abreisen zu müssen. Christian Hansmann: „Auch mit einem kleinen Team wollen wir natürlich einige Akzente setzen.“ Doch realistische Podiums-Chancen können wohl nur der an der University of Texas in Austin studierenden und dort unter Leitung von Carol Capitani in einer megastarken Gruppe trainierenden Anna Elendt zugetraut werden. Vor allem auf ihrer Paradestrecke, den 100 Metern Brust. Während die jüngsten EM-Dritten Ole Braunschweig (50 Meter Rücken) und Lucas Matzerath (50 Meter Brust) allenfalls als aussichtsreiche Außenseiter eingestuft werden können.
Fokus auf Schwimm-WM 2023 in Japan

Neben Elendt hat der DSV mit Angelina Köhler (Paradestrecke 100 Meter Schmetterling) nur eine einzige weitere weibliche Kraft nominiert. Womit schon mal die Aufstellung einer Damen-Staffel unmöglich gemacht wurde. Allenfalls könnte eine Mixed-Staffel gemeldet werden, was vom DSV aber noch nicht kommuniziert wurde. Altmeister Marco Koch könnte auf den Bruststrecken für eine Überraschung gut sein. Komplettiert wird das DSV-Team durch Marius Kusch (Schmetterling-Spezialist), Josha Salchow (Freistil-Kurzstrecken) und Marek Ulrich (Rücken-Kurzstrecken). Die von Coach Bernd Berkham betreute Magdeburger Trainingsgruppe rund um Florian Wellbrock, Lukas Märtens und Isabel Gose, die sich bei der WM in Budapest 2022 durch die Plätze fünf, sechs und acht über die Freistil-Strecken zwischen 200 und 800 Meter in die Weltspitze katapultiert hatte, verzichtet hingegen auf einen Start in Melbourne, weil man sich mit Blick auf die Schwimm-WM 2023 im japanischen Fukuoka andere Prioritäten gesetzt habe. Wie stark die internationale Konkurrenz in Melbourne sein wird, wohin etwa 700 Sportler aus über 180 Nationen auf der Jagd nach Medaillen und einem Preisgeld in Höhe von 2,16 Millionen Dollar (für die Goldmedaille sind 10.000 Dollar ausgelobt, der achte Platz wird noch mit 2.000 Dollar honoriert, Weltrekorde werden mit 25.000 Dollar belohnt) anreisen werden, war Ende November 2022 noch gar nicht so richtig absehbar. Weil es die Fina doch tatsächlich geschafft hatte, auf ihrer eigens zur Kurzbahn-WM erstellten Webseite keinerlei namentliche Meldungen von teilnehmenden Athleten zu veröffentlichen. Dabei hatten die meisten größeren Landesverbände längst Meldelisten erstellt, die allerdings nur in diversen internationalen Schwimm-Fachmagazinen veröffentlicht worden waren.
Demnach wird beispielsweise Frankreich zwar auch nur mit einem 20-köpfigen Aufgebot antreten, allerdings sind darunter alle Weltklasse-Athleten vertreten, mit Ausnahme der Vize-Weltmeisterin 2022 Marie Wattel (Silber über 100 Meter Schmetterling) und des 400-Meter-Lagen-Weltmeisters Léon Marchand. Angeführt wird das Team von Freistil-Kurzbahn-Spezialist Florent Manadou. Weitere bekannte Namen sind Charlotte Bonnet, Beryl Gastaldello, Yohann Ndoye Brouard oder Melanie Henique. Kopf des elfköpfigen britischen Teams ist der hochdekorierte Brust-Champion Adam Peaty, der nach Genesung von einer Fußverletzung wieder voll in den Angriffsmodus geschaltet hat. Über 50 Meter Freistil dürfte der Titelgewinn nur über den Briten Ben Proud führen. Auch Tom Dean dürfte für die Briten ein Medaillengarant in Freistil (vor allem über 200 Meter) und Lagen sein.
Starke internationale Konkurrenz

Die Niederlande werden in Melbourne mit 16 Athleten um Podiumsplätze kämpfen, angeführt von Kira Toussaint (100 und 200 Meter Rücken) und Maaike de Waard (100 Meter Rücken, 100 Meter Schmetterling), während Brustspezialist Arno Kamminga auf einen Start verzichtet. Aus dem ungarischen Lager wurde verlautet, dass Doppel-Weltmeister Kristóf Milák (100 und 200 Meter Schmetterling) nicht nach Melbourne reisen wird. Team Kanada schickt ein 17-köpfiges Team ins Rennen, darunter die amtierenden Kurzbahn-Titelträger Maggie MacNeil, Sydney Pickrem und Tessa Cieplucha. Und dazu auch noch die 50 Meter Rücken-Weltmeisterin 2022 Kylie Masse. Für die USA werden rund 30 Schwimmer ins Melbourner Becken steigen. Wobei Nic Fink (alle Brust-Strecken), Shaine Casas (100 Meter Schmetterling, 200 Meter Rücken) oder Rhyan White (200 Meter Rücken) bei den Herren, und Hali Flickinger (200 Meter Schmetterling) oder Lily King (Brust-Strecken) bei den Frauen die prominentesten Namen sind. Gastgeber Australien wird mit 36 Sportlern wohl das größte Kontingent stellen und mit Stars wie Emma McKeon, Kaylee McKeon oder Kyle Chalmers wohl mächtig bei der Medaillenvergabe mitmischen. Ariarne Titmus und Zac Stubblety-Cook werden dem heimischen Event allerdings fernbleiben.