Die Corona-Pandemie scheint eine Pause zu machen. Ob eine Winterwelle droht, ist ungewiss. Sicher ist: Die Folgen der Pandemie bleiben eine dauerhafte Herausforderung.
Corona – war da noch was? Seit die erste Herbstwelle abgeflaut ist, ist die Pandemie aus den Schlagzeilen und im Alltag als Gesprächsthema verschwunden. Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein Stück weit ein Dilemma. Er wird nicht müde, weiter vor der nächsten Welle zu warnen, zeigt sich besorgt, wie es um die bevorstehenden Feiertage aussehen könnte. Die gemeldeten Inzidenzzahlen sprechen eher eine andere Sprache. So gesehen müsste der Minister eigentlich zufrieden sein. „Ich hasse es, wenn ich bei schlechten Nachrichten im Nachhinein sagen muss, dass ich recht hatte“, sagt er beim Wirtschaftsgipfel der „Süddeutschen Zeitung“. Damit ist er aber auch seinen Nimbus los, als beständiger Mahner eben doch nicht so danebengelegen zu haben.
Je länger die Mühen des Alltags im Regierungsgeschäft dauern, umso mehr hat Lauterbach in der Beliebtheitsskala eingebüßt. Im Januar noch auf Platz eins im Deutschlandtrend, rutscht er kontinuierlich weiter ab. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass andere Themen derzeit die Agenda bestimmen, somit Corona-Meldungen immer weiter nach hinten rutschen, was wiederum auch mit dem Verlauf der Pandemie zu tun hat. Eigentlich wollte der Minister nach eigenem Bekunden genau das: dass nämlich Corona in diesem Winter nicht die Hauptschlagzeilen abgibt, und damit den Beweis erbringen, dass das Land unter seiner Federführung in der Corona-Politik besser vorbereitet ist als zuvor. Also alles gut?
Entwarnung wäre voreilig
Entwarnung zu geben und die Pandemie für beendet zu erklären, dürfte mehr als voreilig sein. Vor einem halben Jahr, nach überstandener Winterwelle, war die Vorfreude auf einen entspannten Sommer groß. Es kam bekanntlich anders. Das Virus hatte sich einmal mehr etwas einfallen lassen. Einige Experten hoffen zwar, dass das Virus mit seinen Mutationen allmählich in eine Sackgasse gerät, aber ob dem so ist, wird sich eben erst herausstellen müssen. Darauf zu setzen, könnte leichtfertig sein. Das will Lauterbach definitiv nicht, wie sich an seinen Mahnungen auch vor neuen Varianten unschwer nachvollziehen lässt. Was etwa in den letzten Wochen vergleichweise nur geringe Beachtung gefunden hat, sind Analysen zur sogenannten Übersterblichkeit in diesem Jahr. Im Verhältnis zu den Vorjahren sind signifikant mehr Menschen gestorben, besonders hoch war die Sterblichkeit im Oktober, die fast 20 Prozent über dem Mittelwert – statistisch genauer: Median – der Jahre 2018 bis 2021 gelegen hat. Nicht alles davon lässt sich mit Corona erklären, aber die Zahlen geben durchaus ein deutliches Bild. Im Oktober sind nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) über 4.300 Menschen an oder mit Corona verstorben, das sind deutlich mehr als in den ersten beiden Pandemiejahren. 2020 waren es knapp 1.500, im vergangenen Jahr knapp 2.500.
Die Zahlen aus Oktober scheinen wiederum zu bestätigen, wovor für diesen Herbst und Winter gewarnt wurde. Die hohe Zahl der Sterbefälle in Zusammenhang mit Corona erklärt etwa die eine Hälfte der Übersterblichkeit. Für die andere Hälfte gebe es zumindest eine „offensichtliche Erklärung“, sagt Jonas Schöley vom Max Planck Institut für Demografische Forschung: eine relativ frühe Welle von Infektionskrankheiten. Eine hohe Zahl von Atemwegserkrankungen wie Grippe trifft auf Corona, mit dem statistisch dargelegten Ergebnis.
Die ungewöhnliche Übersterblichkeit im Sommer steht vermutlich auch im Zusammenhang mit der Hitzewelle, aber eben wohl auch mit der ersten Corona-Sommerwelle. Zudem bezeichnet es der Experte als „nicht unplausibel“, auch von „indirekten Effekten der Pandemie“ auszugehen. Damit spielt er beispielsweise auf Folgen der stressigen Pandemiezeit sowie ein möglicherweise überlastetes Gesundheitssystem an. Auch wenn das eine gewisse Plausibilität hat, ist das allerdings kaum beweisbar.
Fest steht, dass die Pandemie im Gesundheitssystem einiges gravierend verändert hat.
Eine Überlastung zu verhindern war immer oberste Maxime der Corona-Politik. Das war in einigen Phasen der Pandemie kritisch. Zuletzt hat weniger die Zahl der zur Verfügung stehenden Betten, sondern mangelndes Personal die Kapazitäten eingeschränkt. Die Hospitalisierung hielt sich im noch überschaubaren Bereich, was offensichtlich auch auf Impfungen zurückzuführen ist, die bekanntlich nicht vor Infektionen, aber vor schweren Verläufen schützen. Klinikärzte (und nicht nur die) werden deshalb nicht müde, Impfungen dringend zu empfehlen; erst recht in einer Phase, in der auch andere Infektionskrankheiten die Lage verschärfen.
Eine Boosterimpfung für unter, und eine zweite für über 60-Jährige sollte demnach eigentlich Standard und Selbstverständlichkeit sein. Dass die beständigen Appelle nur in bescheidenem Maße auf Gehör stoßen, zeigen die Statistiken des RKI-Impfdashboards.
An Impfstoffen mangelt es jedenfalls nicht, schließlich hat der Bundesgesundheitsminister davon ausreichende Mengen geordert, auch von den auf die neuen Varianten des Virus angepassten Impfstoffen.
Kliniken trotz Inzidenz am Limit
Aktuell ist die Zahl der Corona-Patienten auf Intensivstationen vergleichsweise entspannt, schwankend um die 900. Vor einem Jahr zur Hochzeit der damaligen Winterwelle waren es um die 5.000, also „kein Vergleich“, so Vertreter der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- Notfallmedizin (DIVI). In der Regel sind es ältere Menschen zwischen 70 und 80, die an Beatmungsgeräten hängen, was wiederum den Appell zu Booster-Impfungen unterstreicht.
Allerdings kämpfen Kliniken inzwischen mit anderen Herausforderungen in Folge der Pandemie. Wegen Personalmangels seien rund 2.000 Intensivbetten abgebaut worden, berichtet Gernot Marx vom DIVI. Pflegekräfte, die sich nicht bereits umorientiert hätten, hätten wegen der extremen Dauerbelastung ihre Arbeitszeit oft auf 75 Prozent reduziert. Im Bereich der Pflege spiele dabei zwar die Bezahlung durchaus eine Rolle, entscheidender seien aber die Arbeitsbedingungen und die dauerhaft hohe Belastung. Das allerdings ist keine neue Erkenntnis. Befragungen von Pflegepersonal, auch von Gewerkschaftsseite, haben das schon lange vor der Pandemie ergeben.
Mit den zuletzt einigermaßen stabilen Inzidenzzahlen von um die 200 (bei einer geschätzten Dunkelziffer zwischen dem Drei- und dem Zehnfachen) sind in einigen Bundesländern Isolationspflichten aufgehoben, in anderen gelockert worden. Teilweise wurde auch die Isolationspflicht für Lehrer aufgehoben, soweit sie symptomfrei sind.
Das wiederum hat den Präsidenten des Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger auf den Plan gerufen. Er sprach von einem Umschalten „vom Vorsichtsmodus in den Fahrlässigkeitsmodus“. Seiner Ansicht nach sind Schulen nicht ausreichend vorbereitet, falls es eben doch zu steigenden Zahlen und einer Winterwelle kommen würde. Es gebe keine einheitlichen Vorgaben für eine solche Entwicklung und keinen Plan für Notlagen. Das könne sich noch „furchtbar rächen“. Klar ist nach dem neuen Infektionsschutzgesetz nur: Schulschließungen wird es nicht mehr geben. Und eine Maskenpflicht käme,. wenn überhaupt, nur für Schülerinnen und Schüler ab der fünften Klasse in Frage.
Der Lehrerverband erhofft sich vom nächsten Treffen der Gesundheitsminister darüber mehr Klarheit, zum Beispiel verbindliche Stufenpläne.
Der Ethikrat hat sich vor Kurzem noch einmal mit der Situation von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie beschäftigt und in einer sogenannten Ad-hoc-Empfehlung eine deutliche Verbesserung der Versorgungssituation junger Menschen in Krisenzeiten angemahnt. Vor allem empfiehlt die Vorsitzende Alena Buyx, jungen Menschen mehr zuzuhören. Es habe eigentlich keine Zeit gegeben, die Pandemieerfahrungen zu verarbeiten, jetzt seien Krieg, Inflation und Energiekrise dazugekommen, alles gleichzeitig zu dem ohnehin g existierenden Megathema Klima. Deshalb brauche es „gesellschaftliche Aufmerksamkeit für die Generation, die mit diesen Krisen länger und stärker beschäftigt sein wird.“