Veränderungen begleiten den 75. Geburtstag der Komischen Oper Berlin, denn die zehnjährige Erfolgs-Intendanz von Barrie Kosky ist Geschichte.
Seit August teilen sich Susanne Moser und Philip Bröking die Leitung, beide langjährige Mitarbeiter in der Direktion. Unter ihrer Aufsicht werden bald die Umzugskartons gepackt, zieht doch das Ensemble im Sommer für mindestens fünf Jahre ins Schillertheater. Das Stammhaus an der Behrenstraße wird generalsaniert und um einen Anbau erweitert.
Vorher steht aber noch der 75. Geburtstag der Komischen Oper an, der am 23. Dezember mit einer öffentlichen Gala gefeiert wird. Genau 75 Jahre zuvor, am 23. Dezember 1947, ging an der Behrenstraße die Premiere von Johann Strauss’ Operette „Die Fledermaus“ über die Bühne. Im eilig wiederaufgebauten Saal, der früher das Metropol-Theater beherbergte, eines von Deutschlands wichtigsten Operetten-Häusern. Der neue Name: Komische Oper Berlin – der Intendant: Walter Felsenstein.
Dass inmitten der Berliner Trümmerwüste Theater möglich war, war der sowjetischen Militäradministration zu verdanken. Stadtkommandant Nikolai Bersarin räumte dem Wiederaufbau des kulturellen Lebens einen hohen Stellenwert ein. Auch die Vorstellungen der zerbombten Lindenoper fanden schon ab Sommer 1945 wieder statt, im halb ruinösen Admiralspalast am Bahnhof Friedrichstraße.
Operetten, Singspiele und Buffo-Opern
Mit dem Namen „Komische Oper“ knüpfte der Gründer Felsenstein an die Volksnähe der französischen Opéra comique an. Operetten, Singspiele, Buffo-Opern – das heitere Genre bestimmte den Spielplan. Jedoch mit höchstem künstlerischem Anspruch. „Das Theater ist dazu da, die Welt zu verbessern. Aber Weltverbesserung ohne Unterhaltsamkeit kann ich mir nicht vorstellen“, betonte Felsenstein, der hier die Weichen für ein modernes Regietheater legte. Der Österreicher hatte seine Karriere als Schauspieler am Wiener Burgtheater begonnen. Nach ersten eigenen Inszenierungen kam er 1940 ans Berliner Schillertheater. Dort brachte er kurz nach Kriegsende eine Offenbach-Operette auf die Bühne, die den Kulturoffizier der sowjetischen Militäradministration, Alexander Dymschitz, so begeisterte, dass er Felsenstein die Leitung des Opernhauses in der Behrenstraße anvertraute.
Hier konnte Felsenstein seine Vision einer Gleichberechtigung von Musik und Szene, Gesang und Schauspiel verwirklichen. Eine wahre Revolution auf der Opernbühne! Nicht der Genuss an schönen Stimmen und bekannten Melodien stand im Vordergrund, sondern eine fesselnde Geschichte. Felsenstein ließ stets auf Deutsch singen; nach neuen „schwulst-freien“ Libretto-Übersetzungen. Statt verkleideten Figuren agierten nun Menschen aus Fleisch und Blut. Auch den Chor verwandelte Felsenstein in eine Schar von Individuen, sodass die Chormitglieder am Hause bis heute als „Chorsolisten“ angesprochen werden.
Insgesamt brachte Felsenstein während seiner bis 1975 währenden Intendanz 30 Werke auf die Bühne der Komischen Oper und lockte große Künstler an sein Haus. Dirigenten wie Otto Klemperer und Kurt Masur leiteten das Orchester. Dramaturgen waren der Regisseur Götz Friedrich oder der Komponist Siegfried Matthus. Ab 1965 baute der Choreograf Tom Schilling eine im modernen Tanztheater international renommierte Ballettkompagnie auf. „Der Geist Felsensteins lebt bis heute“, sagt Martin Flade, der 1989 als Bratschist zum Orchester kam. „Jeder einzelne ist hier wichtig. Wenn wir ein Gastspiel geben, ist das immer ein bisschen wie Klassenfahrt.“
Felsensteins Schüler veränderten und erneuerten das realistische Musiktheater. Zu ihnen gehörten Götz Friedrich, der spätere Intendant der Deutschen Oper oder Joachim Herz, Felsensteins Nachfolger, der durch wegweisende Wagner-Inszenierungen Aufsehen erregte. An der Komischen Oper begann 1981 eine neue Ära mit Harry Kupfer als Chefregisseur und Rolf Reuter als musikalischem Leiter. Kupfer förderte den Countertenor Jochen Kowalski, der von Salzburg bis New York Karriere machte.
Als Erster Kapellmeister kam 1997, frisch von der Hochschule, Vladimir Jurowski, der von hier aus seine Weltkarriere starten sollte: Heute ist er Chefdirigent des Berliner Rundfunk-Sinfonieorchesters und der Bayerischen Staatsoper in München.
In den 90er-Jahren war es für die Komische Oper nicht einfach, sich zu behaupten. Immer wieder kochte die Diskussion hoch, ob sich Berlin drei Opernhäuser leisten könne. „Kaum war der Wende-Jubel verhallt, kamen die Ängste, dass eines der Berliner Opernhäuser geschlossen würde“, erinnert sich Bratschist Martin Flade. „Erst 2004 konnten alle drei Häuser unter dem Dach der Opernstiftung gerettet werden, wobei aber unser Tanztheater abgewickelt wurde. Den Ballettsaal nutzen wir jetzt als Orchesterprobensaal.“
Während dieser unruhigen Jahre leitete Andreas Homoki als Intendant und Chefregisseur die Geschicke des Hauses. Er musste dagegen kämpfen, im Vergleich zu den beiden größeren Berliner Häusern bei der personellen Ausstattung von Chor und Orchester in die Zweitklassigkeit degradiert zu werden. Als Mitstreiter holte er sich Kirill Petrenko als Generalmusikdirektor ans Haus. Der Ausnahmedirigent, der heute die Berliner Philharmoniker leitet, stand damals noch am Beginn seiner Karriere.
Keine Berührungsängste mit Unterhaltung
2012 begann schließlich die Intendanz des Australiers Barrie Kosky. Er besann sich auf die Geschichte des Theaterbaus im frühen 20. Jahrhundert und holte mehr Musicals und Operetten auf die Bühne; der Tanz spielt eine größere Rolle. Komponisten, die im Nationalsozialismus von der Bildfläche verschwanden, stehen jetzt wieder auf dem Spielplan. Kosky liebt es bunt und schrill, mit gut gemachter Unterhaltung hat er keinerlei Berührungsängste.
„Unter Kosky ist eine breite Operettenschiene entstanden. Es ist unglaublich, was er aus den Operetten rausholt“, meint Martin Flade. „Kosky hat den Laden ganz schön umgekrempelt. Er hat so viele Inszenierungen gemacht, in die die Leute wie verrückt reingerannt sind.“
Kosky verhilft dem Haus zu einer riesigen Erfolgswelle – zehn glorreiche Jahre lang. Bei den Salzburger Festspielen wird Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“, mit dem Schauspieler Max Hopp, zu einem Renner. Die „Zauberflöte“ in Stummfilm- und Comic-Ästhetik ist international so gefragt, dass sogar Lizenzen für anderweitige Aufführungen vergeben werden.
Zu Martin Flades Lieblingsstücken am Haus gehört „Eine Frau, die weiß, was sie will!“, Koskys Inszenierung einer Weimarer-Republik-Operette. „Dagmar Manzel und Max Hopp spielen hier zusammen 20 Rollen. Du lachst dich schlapp!“, meint der Musiker.
Im vergangenen Sommer gab Barrie Kosky seinen Posten als Intendant auf. Susanne Moser und Philip Bröking stehen nun vor der Herausforderung, sich neu zu profilieren – wobei Kosky weiterhin zwei Produktionen pro Spielzeit inszenieren will. Im Januar stürzt er sich auf das Musical „La Cage aux Folles“; mit Schauspieler Stefan Kurt in der Paraderolle der Dragqueen Zaza.
Vorher gibt es aber am 23. Dezember die Jubiläumsgala zum 75. Geburtstag der Komischen Oper; mit Sängern, Chorsolisten und Orchester. Eigens für diesen Abend wurde ein Film zur Geschichte des Hauses produziert. Kapellmeisterin Erina Yashima leitet die Gala.
Erst in der nächsten Spielzeit bekommt das Orchester wieder einen richtigen „Chef“. Neuer Generaldirektor wird der Amerikaner James Gaffigan, der dann gleich im Schillertheater einzieht. Für Bratschist Martin Flade, der seit 1989 an der Komischen Oper musiziert, wird der Abschied von der Behrenstraße und dem geliebten Saal eine emotionale Angelegenheit: denn wenn das Ensemble in frühestens fünf Jahren zurückkehrt, ist er bereits in Rente.