Gewichtsdecken werden seit einigen Jahren als Wundermittel für besseren Schlaf und weitere positive Gesundheitsaspekte gefeiert. Wissenschaftliche Belege gab es aber bislang kaum. Nun konnte eine Studie einen deutlichen Anstieg des Hormons Melatonin nachweisen.
Immer mehr Menschen leiden unter Schlafstörungen. So lautete jedenfalls das Fazit des repräsentativen DAK-Gesundheitsreports „Deutschland schläft schlecht – ein unterschätztes Problem“. Demnach haben 80 Prozent der hiesigen Berufstätigen Schwierigkeiten mit dem Ein- und Durchschlafen. Fast jeder zehnte Arbeitnehmer ist sogar von der schwersten Form der Schlafstörung namens Insomnie betroffen, bei der sich infolge der schlechten Schlafqualität auch noch Tagesmüdigkeit, Erschöpfung oder sogar ein Nachlassen der kognitiven Fähigkeiten einstellen kann. Jeder zweite von dauerhaften Schlafstörungen Betroffene lässt sich laut DAK Schlafmittel verschreiben oder besorgt sie sich rezeptfrei in Apotheken oder Drogerien.
Als Alternative zu den gesundheitlich nicht unbedenklichen Medikamenten haben sich seit vier Jahren immer stärker die Gewichtsdecken entwickelt, die auch als Therapiedecken oder sensorische Decken bezeichnet werden und von der „Süddeutschen Zeitung“ vor nicht allzu langer Zeit als „das neueste Gadget im Geschäft um den guten Schlaf“ apostrophiert wurden. Das renommierte US-Nachrichtenblatt „Time Magazine“ hatte die Therapiedecken denn auch gleich in seine Liste der besten Erfindungen des Jahres 2018 aufgenommen. Das mit dem Produkt verbundene Versprechen einer störungsfreien und entspannenden Nachtruhe hatte einfach zu überzeugend geklungen, und der Markt wurde für eine solche nützliche Schlafhilfe als schier unerschöpflich angesehen.
Therapiedecken sind keine neue Erfindung
Ganz neu war die Erfindung allerdings nicht, weil beschwerte Therapiedecken auch schon im medizinischen Therapie-Alltag gegen stressbedingte oder andere neuropsychiatrische Krankheiten wie ADHS, Tourette-Syndrom, Autismus bei Kindern oder Angststörungen eingesetzt worden waren. Einem gleichmäßigen, großflächigen, stetigen Druck auf den Körper wurden dabei beruhigende und entspannende Wirkungen sowie eine Dämpfung von Angstzuständen oder Nervosität zugeschrieben. Dies war erstmals der US-Amerikanerin Temple Grandin in den 1960er-Jahren aufgefallen, die ihre durch Autismus verursachten Berührungsängste durch eine selbst gebastelte, beide Körperseiten fest zusammenpressende Polster-Konstruktion überwinden konnte. Für den dabei entstehenden Druckeffekt prägte sie den heute noch gebräuchlichen Fachjargon „Deep touch pressure stimulation“. Ihre Konstruktion wurde in den Folgejahren auch zur Therapie von autistischen Kindern eingesetzt und in den 1990er-Jahren einem Test mit College-Studenten unterzogen, die danach mehrheitlich von einem angenehmen Gefühl der Schwerelosigkeit berichtet hatten. Etwa zur gleichen Zeit, Ende der 1990er-Jahre, präsentierten die US-Ergotherapeutin Tina Champagne und ihr Landsmann Keith Zivalich unabhängig voneinander so etwas wie die frühen Vorläufer einer Therapiedecke. Anfang der 2000er-Jahre begannen erste US-Unternehmen mit der Produktion.
Doch erst 2017 nahm die breite Öffentlichkeit von der vermeintlichen Innovation Kenntnis, als ein Newcomer namens „Gravity Blanket“ Investoren gesucht hatte und mit fast fünf Millionen Dollar durchstarten konnte. Mit dem Werbeversprechen als Schlafwundermittel und Stressreduzierer konnte das Unternehmen schnell fast 130.000 Decken verkaufen. Was noch im Jahr 2018 zu weltweiten Firmen-Neugründungen mit ähnlichen Produkten und der Aufnahme der Decken als besonderes Weihnachts-Gadget in viele Geschenkführer führen sollte. Seitdem hat sich ein regelrechter Hype um die Therapiedecken entwickelt. Die gibt es mit verschiedensten, zwischen Stoffschichten eingebetteten Füllmaterialien von Kunststoff-Fragmenten über Glaskügelchen bis hin zu Metall-Kettengliedern und mit unterschiedlichsten Gewichten von etwa vier bis zwölf Kilogramm und in teils weit auseinanderliegenden Preisklassen zwischen 60 und 300 Euro. Als Faustregel raten die Hersteller zum Kauf einer Decke, deren Gewicht etwa zehn Prozent des Körpergewichts betragen sollte.
Es gibt kaum ein deutschsprachiges Medium, das noch nicht über die Therapiedecken berichtet hätte – wobei in den Texten eine seltsame Mischung zwischen Werbeversprechen der Hersteller und journalistischer Objektivität zu konstatieren ist. So gut wie nie wurde dabei die grundsätzliche Frage gestellt, wieso die Gewichtsdecken, die ursprünglich nur als gezieltes therapeutisches Hilfsmittel für ganz bestimmte Krankheiten entwickelt wurden, plötzlich auch bei allen anderen Arten von Schlafstörungen wirksam sein sollten. Stattdessen wurden meist einfach nur Marketingaussagen der Produzenten nachgebetet, für die beispielhaft der deutsche Anbieter therapiedecken.de zitiert werden soll: „Die Therapiedecke ist eine Wunderwaffe gegen Angst, Schlafstörungen und Stress.“ Sie soll auch helfen „bei psychophysischen Störungen wie ADHS, Down-Syndrom, Asperger-Syndrom oder Autismus“. Das einer herzlichen Umarmung entsprechende Glücksgefühl nicht zu vergessen: „Die Therapiedecken werden auch Gewichtsdecken genannt, da sich ihr Gewicht gleichmäßig über Ihren gesamten Körper verteilt und Sie sanft und liebevoll umarmt. Ihr ganzer Körper ist entspannt, Ihr Stress- und Angstlevel sinkt, und Sie können friedlich einschlafen oder entspannen.“ Das Magazin stern.de ritt Ende Oktober in seiner Gesundheits-Rubrik auf der Therapiedecken-Euphorie-Welle: „Das Gewicht hat eine ähnliche Wirkung auf Ihren gesamten Körper wie eine herzliche Umarmung.
Als therapeutisches Hilfsmittel entwickelt
Doch inwiefern können Gewichtsdecken dann bei Angst- und Schlafstörungen oder gar Depressionen helfen? Studien haben ergeben, dass ein gleichmäßiger Druck auf den Körper unser vegetatives Nervensystem anregt. Genauer gesagt hat der ‚Deep touch pressure‘-Effekt eine beruhigende und entspannende Wirkung auf unseren Körper. Die Erklärung dafür ist denkbar einfach: Durch den Tiefendruck, der mit einer Umarmung vergleichbar ist, wird die Serotoninproduktion angeregt – also die Ausschüttung des Glückshormons. Es wirkt nicht nur dem Cortisolspiegel (Stresshormon) entgegen, sondern vermittelt Ihnen ein Gefühl von innerer Ruhe, Sicherheit und Gelassenheit. Ihre Gelenke, Muskeln und Sehnen entspannen sich, sodass auch Angstgefühle, Stress und Kummer reduziert werden. Und das ist noch nicht alles: Das Schlafhormon Melatonin, welches unseren Tag-Nacht-Rhythmus steuert, wird aus Serotonin produziert. Durch die Serotoninausschüttung wird also auch vermehrt Melatonin im Körper produziert – was wiederum dazu führen soll, dass wir schneller einschlafen können. Und das ist genau der Effekt, den Gewichtsdecken erzielen sollen.“
Genau an dieser Stelle ist dem Autor des Magazins aber scheinbar eingefallen, dass es für all die schönen zuvor aufgeführten Sachverhalte bislang keine sattelfesten wissenschaftlichen Belege gibt. Deshalb verwies er auf einen früheren kritischen Einwand des renommierten deutschen Neurowissenschaftlers Prof. Martin Ekkehard Keck gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“: „Das Melatonin muss erst einmal auch im Gehirn ankommen. Das ist nicht automatisch gegeben, nur weil der Körper möglicherweise mehr Serotonin produziert.“ Darüber hinaus bezeichnete Prof. Keck die Studien, die von den Decken-Produzenten immer wieder als Verkaufsargument ins Feld geführt werden, als wissenschaftlich kaum aussagefähig: „Dafür wären objektive Parameter aus dem Schlaflabor nötig, etwa wie oft sich ein Patient nachts bewegt und ob er überhaupt Tiefschlafphasen erreicht.“ Etwaige Ergebnisse müssten dann noch mit den Erkenntnissen verglichen werden, die beim Schlaf unter einer normalen Decke gewonnen werden können.
Insgesamt ist die Forschungslage bezüglich der Wirksamkeit von Therapiedecken als überschaubar bis spärlich zu bezeichnen. Wenn überhaupt, dann konnten hilfreiche Folgen durch wenige Studien bislang nur bei neuropsychiatrischen Patienten nachgewiesen werden. So konnte ein Team um den klinischen Neurowissenschaftler Dr. Mats Adler vom Karolinska-Institut in Stockholm Ende 2020 eine Verbesserung der Schlafqualität durch den Einsatz von Gewichtsdecken bei psychiatrischen Patienten feststellen. An der Untersuchung hatten 120 Probanden teilgenommen, die neben Schlafstörungen zusätzlich eine Depression, eine bipolare Störung, eine generalisierte Angststörung oder ADHS aufgewiesen hatten. Nach vier Wochen, in denen die Testpersonen entweder eine Therapiedecke oder eine normale Decke benutzt hatten, hatten 60 Prozent der Probanden mit Therapiedecken von einer deutlichen Verbesserung ihrer Schlafqualität durch die Gewichtsdecken berichtet. Eine einfache Übertragung ihrer Ergebnisse auf mental gesunde Menschen mit gänzlich anderen Formen von Schlafstörungen hielten die Wissenschaftler allerdings für unzulässig.
Forschungslage bisher spärlich
Wieder aus Schweden, wo die Gewichtsdecken laut eines kritisch-informativen Beitrags auf spektrum.de schon besonders häufig bei erwachsenen Patienten in psychiatrischer Behandlung zum Einsatz kommen und auch in Seniorenheimen erprobt werden sollen, stammt eine ganz aktuelle, Anfang Oktober im „Journal of Sleep Research“ veröffentlichte Studie eines Teams der Universität Uppsala unter Leitung von Elisa M. S. Meth. Hierdurch geriet die von einem Großteil der Medien übernommene werbliche Argumentationskette der Gewichtsdecken-Hersteller doch erheblich ins Wanken. Einzige von den Forschern selbst genannte Schwachpunkte der Schlaf-Labor-Untersuchung waren die kurze Forschungsdauer von gerade mal zwei Tagen und die mit 26 jungen erwachsenen Probanden vergleichsweise kleine Zahl der Teilnehmenden.
Das klar definierte Ziel der Studie bestand darin herauszufinden, ob die Gewichtsdecken als potenziell nicht-pharmakologische Interventionsmöglichkeit zur Linderung von Schlaflosigkeit und Angstzuständen eingestuft werden können, wozu vor allem die „trotz fehlender experimenteller Belege“ immer wieder behaupteten Effekte der verminderten Aktivität der körpereigenen Stress-Systeme oder der erhöhten Ausschüttung von Hormonen wie Oxytocin und Melatonin auf den Prüfstand gestellt wurden. Die Probanden, 15 Männer und elf Frauen, mussten sich eine Nacht lang mit einer schweren Decke, die zweite Nacht mit einer leichten Decke zur Ruhe begeben. Vor dem Einschlafen wurden bei ihnen Speichelproben entnommen, die anschließend von den Forschenden auf die Konzentration des schlaffördernden Melatonins, des Ängste dämpfenden, stresshemmenden und als Kuschelhormon bekannten Oxytocins, des Stresshormons Cortisol und des Enzyms Alpha-Amylase (das als Maß für die Aktivität des sympathischen Nervensystems gilt) untersucht wurden. Zur Kontrolle befragten die Wissenschaftler die Probanden nach ihrer Schlafdauer und baten um eine subjektive Bewertung eines Gefühls der Schläfrigkeit nach dem Aufwachen.
In der einstündigen Studienphase zwischen 22 und 23 Uhr konnten die Forschenden bei Verwendung einer Gewichtsdecke einen deutlichen Anstieg des Melatonins im Speichel von rund 32 Prozent im direkten Vergleich mit der Versuchsanordnung unter Einsatz einer leichten Decke ermitteln. Bei den übrigen überprüften Hormonen konnten hingegen keine wesentlichen Veränderungen festgestellt werden. Auch was Schlafdauer oder ein Schläfrigkeitsgefühl betraf gab es keine Unterschiede. Das Fazit der Forscher lautete: „Unsere Studie ist die erste, die darauf hindeutet, dass die Verwendung einer Gewichtsdecke zu einer signifikanten Freisetzung von Melatonin vor dem Schlafengehen führen kann. Künftige Studien sollten untersuchen, ob die stimulierende Wirkung auf die Melatoninsekretion nächtlich beobachtet werden kann, wenn eine Gewichtsdecke häufig über Wochen bis Monate verwendet wird.“ Welchen genauen Zusammenhang es zwischen der Verwendung der Gewichtsdecke und der erhöhten Melatonin-Ausschüttung gibt, ist den Wissenschaftlern noch unklar. Sie vermuten, dass durch den erhöhten Druck bestimmte Nerven angeregt werden, die über Signale dafür sorgen, dass der Körper das Schlafhormon vermehrt ausschüttet.