Sabine Lisicki stand einst im Wimbledon-Finale und war ein gefeierter Tennisstar. Nach vielen Rückschlägen kämpft sich die Berlinerin nun mühsam zurück. Aufgeben kommt für sie nicht infrage.
Nach Sabine Lisickis größtem Spiel und schmerzhaftester Niederlage zugleich hatte Trainer-Guru Nick Bollettieri einen Rat für seinen ehemaligen Schützling parat. „Sie hatte schon immer alle Schläge, die man braucht“, sagte Bollettieri über die deutsche Tennisspielerin: „Sabine muss jetzt an sich glauben, sie muss daran glauben, dass sie in den Kreis der Besten reingehört.“ Lisicki, die gerade in ihrem ersten Grand-Slam-Finale in Wimbledon gegen die Französin Marion Bartoli chancenlos war, hätte noch eine entscheidende Schwäche: „Jeder Spieler hat in einem Match Tiefen, aber bei ihr hält man jedes Mal den Atem an, ob sie da noch einmal herauskommt. Sie muss lernen, wie man gewinnt, auch wenn man schlecht spielt. Das macht einen Champion aus.“
Jene Worte sind im Juli 2013 gefallen. Ein Champion im klassischen Sinne ist aus Lisicki nicht geworden. Verletzungsprobleme und schwere Erkrankungen haben das einstige Toptalent in die Niederungen der Tennis-Szene zurückgeworfen. An Bollettieris Ratschläge dürfte sich die Berlinerin in den vergangenen Tagen verstärkt erinnert haben. Der Tod ihres einstigen Lehrmeisters, der auch Ausnahmekönner wie Boris Becker, Andre Agassi, Jim Courier und Monica Seles unter seine Fittiche hatte, berührte die 33-Jährige sehr. „Danke Nick! Du hast so vielen Kindern einen Platz gegeben, um ihre Träume zu leben. Du hast sie unterstützt mit deinem Wissen und dem Glauben, dass alles möglich ist“, huldigte sie dem US-Amerikaner auf Twitter: „Du hast das Tennisspiel geformt. Du wirst sehr vermisst. Ruhe in Frieden, Nick.“
Verletzungen und schwere Erkrankungen
Unmittelbar nach Lisickis Finalniederlage in Wimbledon hatte Bollettieri der Deutschen eine SMS geschickt. In dieser schrieb er: „Sabine, dein Tag wird kommen.“ Der große Tag kam aber nie. Und er wird wohl auch nicht mehr kommen. Zu groß ist die Leidenszeit, die hinter ihr liegt. Eines der vier Grand-Slam-Turniere gewinnen? Die Nummer eins der Weltrangliste zu werden? Olympiagold zu holen? Solche Ziele hat sich Berlins Sportlerin des Jahres 2011 und 2013 mehr oder weniger abgeschminkt. Für „Bum Bum Bine“, wie Sabine Lisicki vom Boulevard wegen ihrer Aufschlagstärke genannt wird, geht es inzwischen um andere Dinge. Doch auch diese geht sie mit großem Ehrgeiz an. „Natürlich setzt man sich viele Ziele. Als Profisportler kannst du nicht einfach nur wahllos dahertrainieren und spielen“, sagte sie dem RBB. Doch Lisicki schob schnell hinterher: „Aber ich glaube, das Allerwichtigste für mich ist, gesund zu bleiben.“
Denn das war seit ihrem phänomenalen Finaleinzug auf dem „heiligen“ Rasen von Wimbledon nicht oft der Fall. Immer wieder machte der Körper ihr einen Strich durch die Rechnung, der negative Höhepunkt war die schwere Knieverletzung im Jahr 2020 bei einem Turnier in Linz. Lisicki krümmte sich auf dem Boden und schrie auf, „ich hatte niemals annähernd so starke Schmerzen verspürt“, sagte sie später. Ihr erster Satz nach dem Unfall? „Da ist alles gebrochen.“ Und der zweite? „Ich will Wimbledon im nächsten Jahr spielen.“ Ihre erste Vermutung bewahrheitete sich: Nicht nur das Kreuzband war gerissen, sondern auch Meniskus, Außen- und Innenband in Mitleidenschaft gezogen. Ihre im zweiten Satz zum Ausdruck gebrachte Hoffnung erfüllte sich nicht: 18 Monate konnte Lisicki kein Tennis spielen.
„Es war eine sehr, sehr schwierige Zeit, da diese Knieverletzung wirklich alles von mir abverlangt hat“, berichtete sie: „Man musste gehen lernen, nachdem man zwei Monate mit Krücken unterwegs war. Und die Muskulatur aufbauen, um überhaupt normal zu funktionieren.“ Als sie nach einer unendlich langen Zeit von 508 Tagen endlich wieder in einem Wettbewerb mit dem Tennisschläger in der Hand stand, wusste sie, dass sich die Mühen gelohnt haben. Der Comeback-Sieg in der Qualifikation von Bonita Springs fühlte sich für die frühere Weltklassespielerin wie ein Turniersieg an. Doch der beschwerliche Weg zurück war da noch nicht beendet. Zwischenzeitlich war Lisicki in der Weltrangliste aus den Top 600 gefallen, inzwischen hat sie sich mühsam auf Platz 352 hochgearbeitet. Das ist noch immer weit weg von ihrer Top-Platzierung, dem 12. Rang im Mai 2012.
„Ganz unten noch mal anzufangen ist brutal schwierig. Ich glaube, das zeigt aber auch, was für eine Leidenschaft und was für ein Feuer noch in mir steckt“, sagte Lisicki. Ob sie jemals wieder zu alter Stärke zurückfindet? „Ich traue es mir definitiv zu.“ Mit einem erfolgreichen Comeback wolle sie auch ein Vorbild für alle Leute sein, die nach Rückschlägen nicht aufgeben wollen. Immer wieder bekommt sie diesbezüglich Nachrichten geschickt. „Es ist schön zu wissen und zu spüren, dass ich Menschen zeigen kann, was man mit viel Arbeit, Fleiß und einem großen Kämpferherz alles schaffen kann.“
„Ich will zurück auf die großen Plätze“
Ihre Vorbilder sind Martina Hingis, Serena Williams, Andre Agassi, Andy Murray und Rafael Nadal – aber nicht wegen ihrer spielerischen Klasse, sondern wegen ihrer Leidenschaft. „Generell war es bei allen auch das Feuer, das sie hatten“, begründete Lisicki, „die Leidenschaft für den Sport“. Diese ist es auch, die Lisicki immer weitermachen lässt. „Ich wollte und will zurück auf die größten Plätze der Welt und vor Zuschauern spielen. Das war und ist mein größter Antrieb“, sagte sie. Als die viermalige WTA-Turniersiegerin im vergangenen Juni in Bad Homburg mit zwei Siegen ins Viertelfinale einzog, kam sie aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. „Ich stand echt auf dem Platz und habe in mich hineingelächelt, weil ich wusste: Genau hierfür habe ich so hart gearbeitet“, berichtete Lisicki: „Und ich habe mir bewiesen, dass ich wieder Matches gewinnen kann auf dem höchsten Niveau. Aber das soll nur der Anfang gewesen sein.“ Lisicki will zurück auf die ganz große Tennis-Bühne, sie will bei Grand-Slam-Turnieren dabei sein und für die ein oder andere Überraschung sorgen. Und dann ist da ein Lebenstraum, den sich die Berlinerin noch erfüllen möchte. „Es wäre mein größter Wunsch, in Berlin vor heimischem Publikum in meinem Heimatverein zu gewinnen“, verriet sie. Das Turnier wird im Frühling auf der Anlage des LTTC Rot-Weiß ausgetragen, also dort, wo ihre Karriere einst begann. „Hier hat meine Reise auf der Profitour angefangen als ich 14, 15 war. Da habe ich mein allererstes Profi-Match hier im Club gespielt, beim WTA-Turnier“, erinnerte sich die gebürtige Westfälin. Und das Turnier findet auch noch auf ihrem Lieblingsbelag, Rasen, statt, als Vorbereitung auf Wimbledon. „Das ist schon ein Anreiz.“
Sabine Lisicki ist aktuell die einzige noch aktive Vertreterin der sogenannten Goldenen Generation im Frauen-Tennis, die nach der Ära von Steffi Graf für Aufsehen gesorgt hat. Doch Andrea Petković und Julia Görges sind inzwischen zurückgetreten, und Angelique Kerber befindet sich in einer Schwangerschaftspause.
Lisicki findet es zunächst einmal „herrlich, dass wir die Goldene Generation genannt werden“. Doch auch sie hat bemerkt: In Deutschland wächst eine neue Generation heran. Beim Klassenerhalt in der Weltgruppe des Billie Jean King Cups waren die Youngster Jule Niemeier (23) und Eva Lys (20) für Deutschland dabei.