Kleine Geschichten aus dem kubanischen Alltag oder Ausdruck unbändiger Lebensfreude virtuos vertanzt, dafür steht Ballet Revolución. Die Kompagnie tourt jetzt wieder durch Deutschland.
Kuba durchlebt momentan eine der schwersten Wirtschaftskrisen seiner postrevolutionären Geschichte. Mangel herrscht an fast allem, von Lebensmitteln über Dinge des täglichen Bedarfs bis zu Kleidung, falls sie nicht ohnehin zu teuer für den Normalbürger sind. Die Inflation erklimmt Höhen, der Schwarzhandel blüht, es gibt kaum Infrastruktur, Proteste wurden niedergeschlagen. Niemand weiß, wohin sich die Inselrepublik mit ihren rund elf Millionen Einwohnern entwickeln wird. Woran indes nach wie vor kein Mangel besteht, ist die ungebrochene Daseinsfreude der Kubaner. Ihr Leben findet auf der Straße statt, und wo immer mehrere Menschen zusammenkommen, sind Musiker nicht weit – und es wird im Rhythmus von Salsa, Son oder Rumba getanzt. Tanz sei für Kubaner so notwendig wie der Atem, heißt es. Es ist daher kein Wunder, dass aus der multiethnischen Nation immer wieder grandiose Tänzer hervorgehen. Ausgesiebt werden sie in beinah flächendeckenden Testverfahren, jedes Dorf soll über besondere Talente verfügen. Wer Interesse am Tänzerberuf hat, kann eine lokale Escuela Elemental de Ballet (Ballett-Elementarschule) besuchen, neun existieren im Land. Die begabtesten Schülerinnen und Schüler haben sich nach fünf Jahren für eine Escuela Nacional de Ballet qualifiziert, deren berühmteste an Havannas Prado in einem historischen Gebäude untergebracht ist, die andere im südöstlich gelegenen Camagüey. Dreieinhalb, für Späteinsteiger viereinhalb Jahre dauert dann die ausgesprochen harte Ausbildung und endet mit einem Pädagogen-Zertifikat. Namentlich im Männertanz ist die kubanische Schule unübertroffen, doch auch die Frauen drehen und springen mit Furor. Wer dieses Studium erfolgreich absolviert, dem stehen Kubas Ballett- und Tanzkompagnien offen.
Zahlreiche namhafte Tanzkompagnien
Um die 50 Gruppen soll es auf der Karibikinsel geben, vom weltberühmten Ballet Nacional de Cuba, gegründet durch die 2019 mit knapp 99 Jahren verstorbene „Primaballerina assoluta“ Alicia Alonso, bis zu namhaften Folklorekompagnien und kleinen Experimentalensembles. Auf einen reichen Fundus an Tradition können sie zurückgreifen, denn was vom Tanz der großteils ermordeten Ureinwohner, der Taino und Kariben, blieb, mischte sich mit dem Erbe der eingeschleppten Sklaven aus Afrika und der Kultur der spanischen Eroberer. Aus diesen Zutaten und dem europäisch-klassischen Tanz entstand das, was heute als „kubanische Schule“ bezeichnet wird: ein explosiver, geschmeidiger, einzigartig kraftvoller Tanzstil. Kubas beste Tänzer sind als Exportschlager bei fast allen großen internationalen Kompagnien heiß begehrt, doch für die Inselrepublik selbst bedeutet das einen steten Aderlass an Talenten, nicht zuletzt wegen besserer Entlohnung im Ausland.

In diesem Spannungsfeld ist die Entstehung von Ballet Revolución zu sehen. Gegründet wurde es 2012 zwar in Kuba, doch als kubanisch-australische Gemeinschaftsproduktion: Kuba leiht seine famosen Tänzer, aus Australien kommt das Geld. Zwei Choreografen zeichnen für das Programm verantwortlich: der weltweit auch als Schauspieler und Sänger wirkende Australier Aaron Cash und der umtriebige Kubaner Roclan González Chávez. Er absolvierte, wie viele der Tänzer von Ballet Revolución, die Escuela Nacional de Arte in Havanna, eine mehr auf zeitgenössischen und folkloristischen Tanz spezialisierte Schule, und er ist auch Choreograf beim kubanischen Fernsehballett. Seit der australischen Weltpremiere 2012 und dem anschließenden Europa-Debüt in Zürich tourt die Show, die nur für das Ausland konzipiert ist, durch alle Kontinente. Die Statistik vermeldet über eine Million begeisterter Zuschauer in 60 Städten in zwölf Ländern. Zehn Wochen wird vor jeder Tournee acht schweißtreibende Stunden täglich geprobt, etwa 80 Paar Tanzschuhe verschleißen auf Tour pro Monat. Zu 60 internationalen Chart-Hits wurde während der zehn Jahre getanzt, denn für jedes neue Programm werden aktuelle Tophits choreografiert. Fünf Titel sind indes als Kernrepertoire ständig dabei, darunter „El Panadero“, „Roxanne“, „It’s a Man’s Man’s Man’s World“ und „Purple Rain“.
Die Qualität von Ballet Revolución machen auch die Begleitband und ein Gesangstrio aus. Letzteres sind diesmal die Soul-Interpretin Janine Johnson, der Ex-Schlagzeuger Weston Foster und die Singer-Songwriterin Rachel Matthews. Alle drei stammen aus England, sind sehr vielseitig und auch mit anderen Projekten unterwegs. Aus Drums, Gitarre, Congas und Percussion, Bass und Trompete besteht die fulminante Liveband unter Thommy Garcia Rojas, Musiker, die nicht nur in Kuba auf beeindruckende Erfolge verweisen können. Hierzulande aus diversen TV-Sendungen wohlbekannt ist Kostümdesigner und Paradiesvogel Jorge González, nicht zuletzt durch seinen sicheren Gang auf 18 Zentimeter hohen Absätzen, was ihm den Spitznamen „König der High Heels“ eingebracht hat. Seine Kostümentwürfe bringen raffiniert, extravagant und sehr sexy das Können der Tänzerinnen und Tänzer zur Geltung.
Weltweite Auftritte seit 2012
Denn sie sind es, die Ballet Revolución zu dem aufregenden Erlebnis machen, das nun bereits seit zehn Jahren Markenzeichen der Show ist. Die 20 Kompagniemitglieder haben renommierte kubanische Schulen absolviert, Preise bei Wettbewerben gewonnen und in den großen Ensembles der Insel getanzt, bevor sie sich der Show anschlossen. Raúl Abreu Milán beispielsweise tanzte die Hauptparts in großen Ballettklassikern wie „Schwanensee“, „Giselle“, „Don Quixote“, „Der Nussknacker“ und „Raymonda“. Amauris Arguelle Alvarez studierte in seiner Heimatstadt Guantánamo und arbeitet auch als Choreograf; Pável Pérez Yanes gehört der Kompagnie von Laura Alonso an, Alicias Tochter, und gastierte bereits in China. Im Unterschied zu den meisten europäischen Ensembles sind in Ballet Revolución mit 14 Tänzern die Männer in der Überzahl. In ihrer Exzellenz müssen sich die sechs Tänzerinnen jedoch durchaus nicht verstecken. So tanzte Elena Alvarez Aguiar zahlreiche klassische Hauptrollen im In- und Ausland. Allesamt repräsentieren sie die ethnische Vielfalt der Karibikinsel.
Was macht vor diesem Hintergrund die Besonderheit von Ballet Revolución aus? Ihre namensgebende „Revolution“ besteht darin, auf keinen Bewegungsstil festgelegt zu sein. Klassischer Spitzentanz steht gleichberechtigt neben modernen Elementen, Akrobatik verschmilzt mit Hip-Hop und Breakdance, und alles zusammen bildet jenen unnachahmlich virtuosen, physisch enorm zehrenden Mix, der die Zuschauer so sehr elektrisiert, dass es sie kaum auf den Stühlen hält. Hinzu kommt die Qualität der Choreografien, die kleine Geschichten aus dem Leben junger Menschen erzählen oder einfach nur Ausdruck sprühender Lebens- und Tanzfreude sind. Welches Programm die Truppe diesmal im Gepäck hat, bleibt bis zur Premiere geheim. Nur so viel ist sicher, dass Nummer-eins-Hits von Justin Timberlake, Prince, Ed Sheeran, Camila Cabello und Dua Lipa dabei sein werden.