Eigentlich sollte die Klimakrise 2022 politische Priorität sein. Doch dann erklärte Putin der Ukraine den Krieg. Ein Jahr, das mit guten Vorsätzen begann, endete mit halbherzigen Kompromissen.
Direkt zu Beginn des Jahres 2022 wurde die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) auf den Weg gebracht. Erst vor einigen Wochen segnete die EU-Kommission den deutschen Strategieplan ab. „Damit geht ein intensiver Verhandlungsprozess zu Ende", so Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Zum 1. Januar 2023 soll die GAP-Reform starten.
Der deutsche Strategieplan sieht EU-Fördermittel im Umfang von 30 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2023 bis 2027 vor. Cem Özdemir hält fest: „Wir stärken die ökologisch nachhaltige Agrarwirtschaft, um auch in Zukunft unsere Ernährung zu sichern und gleichzeitig die natürlichen Ressourcen zu schützen." Deshalb stehen Maßnahmen zu Umwelt- und Klimaschutz sowie zur biologischen Vielfalt im Fokus. So drehten sich auch Anfang 2022 noch einmal die Diskussionen um eine Verringerung von synthetischen Düngemitteln sowie den Ausbau erneuerbarer Energien. Bis 2030 sollen 30 Prozent der deutschen Landwirtschaft aus Ökolandbau bestehen.
Die Förderung der GAP-Reform steht auf zwei Säulen. Sie soll nicht nur die Landwirtschaft resilienter machen, sondern auch die Zukunft von Landwirten sichern. Die Reform will deshalb die Attraktivität der Landwirtschaft steigern, indem sie Wachstum fördert und für eine bessere Infrastruktur sorgt.
Von Ernährungssicherheit zu Energiesicherheit
Der Ukrainekrieg lenkte den besorgten Blick neben Ernährungssicherheit viel mehr noch auf Energiesicherheit. Sie war quasi das gesamte Jahr über das beherrschende Thema. Doch zu Beginn des Jahres – noch vor den Diskussionen um russisches Gas – lag der Fokus auf der Windkraft. Eine der ersten großen Amtshandlungen des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) im April war die Verkündigung des sogenannten „Osterpaketes" (mit darauffolgendem „Sommerpaket"). Dabei handelte es sich laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz um das „größte Beschleunigungspaket für den Erneuerbaren-Ausbau seit Jahrzehnten". Das dazugehörige Gesetz tritt am 1. Januar 2023 in Kraft und erklärt den Ausbau erneuerbarer Energien zum „vorrangigen Belang".
Als Teil des Entlastungspaketes der Bundesregierung mussten Stromkunden bereits seit dem 1. Juli 2022 keine EEG-Umlage mehr zahlen. Offiziell wurde die EEG-Umlage zum Jahr 2023 abgeschafft. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Stromversorgung Deutschlands bis 2035 nahezu vollständig auf erneuerbaren Energien aufzubauen. Bis 2030 sollen 80 Prozent des deutschen Bruttoverbrauchs an Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen werden.
Mit einer eigenen Klausel wurden zwei Prozent der Bundesfläche für Windkraft ausgewiesen. Dazu erhielt jedes Bundesland ein verbindliches Flächenziel. Vor allem das „Sommerpaket" legt seinen Fokus auf die Erleichterung von Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsverfahren, an denen zahlreiche Akteure auf verschiedenen Ebenen beteiligt sind. Solche Verfahren enden nicht selten vor Gericht. Die Bundesregierung will mit der rechtlichen Aufwertung erneuerbarer Energien mehr Tempo in die Gerichtsverfahren bringen.
Hilfsprogramm gegen Artensterben
Zwar kündigte Habeck an, andere Schutzgüter wie der Artenschutz seien nun der Windkraft untergeordnet. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) verkündete jedoch, Artenschutz und Windkraft seien zukünftig keine Gegner, sondern „Alliierte". So sind in einem Eckpunktepapier zu standardisierten Genehmigungsverfahren von Windrädern neben einheitlichen Listen für betroffene Vogelarten hohe Standards für Artenschutz vorgesehen. Dazu strebt die Bundesregierung ein Hilfsprogramm zum Populationsschutz an. „Wir gehen damit bei der Bekämpfung der doppelten ökologischen Krise, der Klimakrise und des Artenaussterbens, entschlossen voran", sagte die Bundesumweltministerin.
Von Wind und Erde zu Feuer und Wasser
Der Sommer war geprägt von einer enormen Dürre in weiten Teilen der Welt. So wurden in Europa in diesem Sommer laut „Tagesspiegel" so viele europäische Wälder durch Feuer zerstört wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2006. Bis zum 3. September verzeichnete das „European Forest Fire Information System" 750.000 Hektar durch Brände zerstörten Wald. Betroffen waren Länder wie Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland, Polen, Slowenien, Rumänien und auch Deutschland. Besonders schlimm traf es den französischen Nachbarn im Département Gironde. Einsatzkräfte aus Deutschland, Griechenland, Polen und Rumänien wurden zur Hilfe nach Frankreich geschickt.
In Spanien ist mit 283.000 Hektar mehr Wald verbrannt als in jedem anderen europäischen Land. Rumänien verzeichnete 2022 die höchste Anzahl an Bränden in Europa und Slowenien hatte die größten Waldbrände in der Geschichte des ganzen Landes. In Deutschland wurden rund 4.293 Hektar Wald bei insgesamt 32 Bränden zerstört. Insgesamt verursachten die diesjährigen Waldbrände in Europa nach Angaben des Copernicus-Atmosphären-Überwachungsdienst der EU einen Ausstoß von 6,4 Megatonnen Kohlenstoff.
Laut Experten wie Christopher Böttcher, Meteorologe und Waldbrandexperte des Deutschen Wetterdienstes, und Michael Müller, Forstwissenschaftler, sind Waldbrände vor allem menschengemacht. Von Dürren strapazierte Wälder begünstigen allerdings die Brandentstehung – egal, ob durch vorsätzliche Brandstiftung oder Unfälle.
Der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung zeigt, dass sowohl die Jahre 2018, 2019 und 2020 als auch 2022 von starken Dürreperioden geprägt waren. Diese Tatsache hat weitreichende Folgen. Im Sommer 2022 herrschte plötzlich Wasserknappheit und erneut traf es Frankreich, diesmal im Département Moselle, wo ein Wassernotstand ausgerufen wurde. Dort mussten Tanklaster französische Gemeinden mit Frischwasser versorgen und es wurden Verbote verhängt. In der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur war für ganze vier Tage das Zähneputzen, Kochen oder Trinken von Leitungswasser verboten.
Dürreperioden nehmen deutlich zu
Auch in Deutschland wurde über Wasserknappheit diskutiert, und vor allem Thüringen, Sachsen-Anhalt, das östliche Brandenburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern machten sich Sorgen um ihre Grundwasserneubildung (GWN). Denn in weiten Teilen Deutschlands herrschte den ganzen Sommer über Trockenstress, was bedeutet, dass die Wasserentnahmen 20 Prozent des zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Wasserdargebots übersteigen.
Das Wasserdargebot setzt sich zusammen aus dem Grundwasser und dem Oberflächenwasser, das theoretisch genutzt werden kann. In welchen Mengen dieses vorhanden ist, hängt davon ab, wie der Boden beschaffen ist, wie viele Mengen Niederschlag über welchen Zeitraum fallen und wie viel davon abfließt, versickert oder verdunstet. Laut Experten wie Dr. Hans Jürgen Hahn, Grundwasserökologe an der Uni Landau, wird die GWN in den kommenden Jahren sinken. Der Deutsche Klimaatlas prognostiziert zwar einen gleichbleibenden jährlichen Mittelwert an Niederschlag, allerdings werde sich dieser sowohl zeitlich als auch regional anders verteilen. Die Sommer werden zunehmend trocken und die Winter zunehmend feucht.
Das Trinkwasser in Deutschland macht laut Umweltbundesamt nur rund 5,4 Milliarden Kubikmeter von insgesamt 188 Milliarden Kubikmetern aus und ist damit erst einmal gesichert. „Je älter ein Wasser ist, desto länger dauert es, bis sich dieses erneuert. Insofern hört sich das zwar mit der absoluten Menge sehr beruhigend an, ist es aber nicht – zumindest nicht, wenn ich in Nachhaltigkeitskategorien denke", sagt Hahn. Deshalb rät er zu Anpassungsmaßnahmen, die die Landwirtschaft resilienter machen und dazu beitragen, dass weniger Wasser verdunstet und mehr gespeichert wird. Solche sieht beispielsweise die GAP-Reform vor. Doch auch in Städten sollten zunehmend Flächen entsiegelt und Wasser aufgefangen werden.
Ein Fluss aus toten Fischen
Die lang anhaltende Hitze beeinflusst allerdings nicht nur die Menge an Wasservorkommen, sondern auch seine Beschaffenheit. So traf eine Umweltkatastrophe Anfang August sowohl Deutschland als auch Polen: das Fischsterben in der Oder. Entdeckt wurde der Vorfall auf deutscher Seite erst am 9. August, während in Polen bereits Ende Juli große Mengen toter Fische nahe der südwestlichen Stadt Oława aufgefallen waren. Die Kommunikationskanäle für solche Fälle versagten – die Meldung aus Polen kam erst am 11. August. Deshalb existieren zu den Ursachen des Vorfalls zwei getrennte Berichte.
Am 9. August entdeckte ein deutscher Schiffskapitän mehrere hundert Tonnen tote Fische bäuchlings an der Oberfläche der Oder schwimmen und meldete dies an das Schifffahrtsamt Oder-Havel. Daraufhin wurde der Fall untersucht und der Kontakt zur Oder in Form von Angeln, Baden und ähnlichem verboten. Es dauerte fast zwei Monate, bis die Ursache für die Umweltkatastrophe geklärt werden konnte.
Als ursächlich vermutet wurden zwischenzeitlich giftige Blaualgen, Quecksilber oder auch andere Schwermetalle im Wasser. Es stellte sich auch die Frage, ob beim Ausbau für die Oder-Schifffahrt Schadstoffe aus Bodenablagerungen aufgewirbelt worden seien.
Am 30. September, fast zwei Monate, nachdem der Vorfall in Deutschland entdeckt wurde, legten Polen und Deutschland ihre Berichte zur Ursache des Fischsterbens vor: Es stellte sich heraus, dass mehrere Faktoren zu einer Blüte der giftigen Goldalge Prymnesium parvum geführt hatten. Die Alge erzeugt ein Gift, das die Kiemen von Wassertieren zerstört und diese ersticken lässt. Sie kommt normalerweise im Brackwasser vor, also dort, wo Salz- und Süßwasser aufeinandertreffen. Die Ursache hierfür war eine erhöhte Salzkonzentration im Wasser der Oder.
Die wurde durch den niedrigen Wasserstand und die hohe Wassertemperatur wegen des heißen und trockenen Sommers begünstigt, was letztlich zur Algenblüte geführt hat. Wer genau die Verantwortung für den hohen Salzgehalt trägt, ist bis heute noch ungeklärt. Die Umweltorganisation „Greenpeace" sieht Salzeinleitungen der Bergbau-Industrie als Auslöser. Auch zu klären bleibt, wie die Brackwasseralge überhaupt in den Fluss gelangen konnte.
Algen lagern sich dauerhaft ab
Der Vorfall aus diesem Sommer wird langfristige Auswirkungen auf die Oder als Ökosystem haben, dessen Gleichgewicht gestört wurde. Neben Fischen starben nämlich auch kleinere Wassertiere wie Muscheln oder Schnecken, die wiederum die Nahrungsgrundlage anderer Lebewesen sind.
So wirkt sich das Ganze beispielsweise auch auf die Wiederansiedlung des Baltischen Störs in der Oder-Region aus, die dadurch massiv zurückgeworfen werden könnte. Deswegen liegt der Fokus nach Angaben des Bundesministeriums für Umwelt und Naturschutz künftig auf der Renaturierung der Oder. Dabei muss gegebenenfalls auch das Abkommen zum Oderausbau für die Schifffahrt hintangestellt werden. Zur Erholung des Ökosystems darf noch bis Mai 2023 in der Oder nicht gefischt werden. Diese Maßnahme wird auch vom Landesfischereiverband unterstützt, wobei ein Ausgleich für die finanziellen Schäden der Fischer geplant ist.
Die Situation bleibt kritisch: Im Oktober stieg die Salzkonzentration erneut auf den gleichen Stand wie im Sommer während des Fischsterbens. Eine Gefahr der Algenblüte bestand zu diesem Zeitpunkt wegen niedrigerer Temperaturen und einem höheren Wasserstand aber nicht. Weil sich die Algen jetzt jedoch dauerhaft im Sediment ablagern, könnte die Algenblüte im nächsten Sommer wiederkehren.
Kein zufriedenstellender Jahresabschluss
Im November stand die 27. „Conference of the Parties" (COP27) auf dem Plan. Seit 1995 findet die Konferenz der Vertragsstaaten der UN-Klimarahmenkonventionen jährlich statt, in diesem Jahr im ägyptischen Scharm al-Scheich. Eine Gelegenheit, noch einmal Bilanz zu ziehen – allerdings mit einem ähnlich bitteren Beigeschmack wie bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Denn auch hier konnte sich ein Land als Veranstaltungsort der UN-Klimakonferenz brüsten, das eine prekäre Menschenrechtslage aufweist und nach Schätzungen von Amnesty International weltweit an dritter Stelle bei der Anzahl an Hinrichtungen steht.
In diesem Jahr waren mehr als 30.000 Teilnehmer an der Konferenz registriert. Eine besondere Rolle kam der Klimaschutzbeauftragten der Bundesregierung und Staatssekretärin des Auswärtigen Amtes Jennifer Morgan zu. Sie sollte gemeinsam mit der chilenischen Umweltministerin Maisa Rojas die Verhandlungen zu „Loss and Damage" offiziell begleiten.
Der Begriff „Verlust und Schaden" steht für die Tatsache, dass die Klima-krise in vielen Staaten unumkehrbare Zerstörung anrichtet. Dabei sind am stärksten diejenigen Menschen betroffen, die am wenigsten zur globalen Erderwärmung beitragen. Bei den Verhandlungen der COP27 ging es daher unter anderem um Schadensersatz für genau diese Länder. Einzig Dänemark hatte schon im Voraus angekündigt, 100 Millionen Dänische Kronen (13,5 Millionen Euro) zur Kompensation an ärmere Länder zu zahlen. Zwar konnten sich die Mitgliedsstaaten auf einen Ausgleichsfonds einigen, allerdings ist noch unklar, wer genau dort einzahlen wird. Diese Details sollen bis zur nächsten COP geklärt werden. „Am Ende dieser Klimakonferenz klebt somit ein kleines Pflaster auf einer riesigen klaffenden Wunde", so formulierte es Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland.
„Kleines Pflaster auf riesiger Wunde"
Die weiteren Ergebnisse der Klimakonferenz sind ernüchternd. Das Bekenntnis zum Ausstieg aus Kohle und fossilen Subventionen bleibt, ebenso wie das Klimaziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung. Allerdings steuert die Welt nach aktuellen Prognosen bereits auf 2,8 Grad zu. Schon 2020 versprachen die Industriestaaten den Entwicklungsländern jährliche 100 Milliarden US-Dollar zur Finanzierung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen. Davon sind nur 83,3 Milliarden Euro zusammengekommen. Zwar halten die Staaten weiter an dem Entschluss fest, über eine Aufstockung konnte man sich aber nicht einigen.
Zudem gab es gezielte Blockaden einzelner Staaten: China konnte sich vor Zahlungen in den Ausgleichsfonds drücken, weil viele ärmere Länder sich aufgrund ihrer Abhängigkeit von China davor scheuen, mehr Druck auszuüben. Auch die USA sträubt sich vor Ausgleichszahlungen, da die wackligen Mehrheiten im Kongress keine zusätzlichen Staatsgelder für Klimahilfen mehr zulassen. Ägypten selbst und die Vereinigten Arabischen Emirate verhinderten den Beschluss zum Ausstieg aus allen fossilen Energiequellen.
Am Ende dieser Klimakonferenz ist nicht viel Positives oder Neues zu berichten. Immerhin warb Indien für den Ausstieg aus allen fossilen Energien. Einige Inselstaaten wie Barbados machten konstruktive Vorschläge für den Umbau des internationalen Finanzsystems. Und vor allem Pakistan und die EU-Kommission zeigten starken Einsatz für Klima-Reparationen und -Kompensationen. Damit geht ein Jahr voller Krisen und Kompromisse zu Ende. 2023 wird sich zeigen, was die Welt daraus gelernt hat.