Das Wahldebakel 2021 hat ein Nachspiel. Der Verfassungsgerichtshof erklärt die Wahlen zum Abgeordnetenhaus für null und nichtig. Ein weiterer Tiefpunkt für die Kummer gewohnten Berliner. Zudem legen Klimaaktivisten Teile der Stadt lahm.
Das Fundament der erst im September 2021 gewählten, rot-grün-roten Berliner Landesregierung ist auf Sand gebaut. Noch Ende des alten Jahres, drei Tage vor Heiligabend 2021, hatte die neue Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sechs Senatorinnen und vier Senatoren vereidigt. Zu diesem Zeitpunkt liegt das Wahldesaster in der deutschen Kapitale schon drei Monate hinter ihnen. Die ersten Klagen dagegen sind längst eingereicht. Andreas Geisel (SPD) hingegen ist der erste, der kurz nach der Wahl vorprescht und versucht, die offensichtlichen Pannen herunterzuspielen. Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus war er noch Innensenator und damit auch für die Wahlen zuständig. Doch weder seine Beschwichtigungsversuche noch die anderer fruchten mittelfristig. Am 16. November 2022 erklärt der Berliner Verfassungsgerichtshof die Wahlen im gesamten Stadtgebiet für ungültig. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik muss eine Berliner Wahl wiederholt werden. Die Neuwahlen sollen am 12. Februar 2023 stattfinden.
Und so wittern die Oppositionsparteien in den dunklen Berliner Novembertagen Morgenluft. Die Berliner CDU etwa fordert nach dem Gerichtsbeschluss Geisels Rücktritt, dann stählt sie sich für den Wahlkampf. „Wir wollen stärkste Kraft werden", sagt der Landes- und Fraktionsvorsitzende Kai Wegner. „Ich will Regierender Bürgermeister werden." Erneut küren die Christdemokraten den 50-Jährigen zum Spitzenkandidaten.
Dabei ist die neu angetretene rot-grün-rote Berliner Landesregierung am Anfang des Jahres noch guter Dinge. Neben alten Hasen gibt es weniger bekannte und ganz neue Gesichter. So zum Beispiel treten mit der neuen Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (seit der Wahl SPD) und dem neuen Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos) zwei politische Quereinsteiger auf das Parkett der Berliner Landespolitik. Bettina Jarasch (Grüne) wird um ein Haar erste Regierende Bürgermeisterin. Doch die wenige Monate zuvor als Bundesfamilienministerin zurückgetretene Franziska Giffey macht das Rennen. Und sie macht von sich reden, als sie im Oktober nach dem Auslaufen des bundesweiten 9-Euro-Tickets das 29-Euro-Ticket für Berlin durchsetzt.
Bettina Jarasch ist inzwischen als „Super-Senatorin" (Info-Radio) für die Ressorts Verkehr, Umwelt, Klima und Verbraucherschutz angetreten. Mit einigem Presseaufwand beruft sie im Frühjahr den ersten „Berliner Klimabürger:innenrat" ein. 100 zufällig ausgeloste Berliner tagten wochenlang zu Klima- und Umweltfragen. Am 30. Juni überreichten sie der Umweltsenatorin ihre Empfehlungen. Kurz danach gehen Jarasch und die Berliner Abgeordneten in die parlamentarische Sommerpause. Danach geschieht: nichts. Um die Empfehlungen wird es mucksmäuschenstill. So als habe es sie nie gegeben.
Bürgerämter teilweise geschlossen
Stattdessen sorgten Klimaaktivisten der Gruppe „Letzte Generation" mit etlichen Straßenblockaden immer mehr für Aufmerksamkeit. Und unterdessen entpuppt sich das Vorzeigeprojekt der Verkehrswende um den autofreien Teil der Friedrichstraße als Super-GAU. Seit mehr als zwei Jahren war der Abschnitt zwischen Leipziger und Französischer Straße nur noch Fußgängern und Fahrradfahrern vorbehalten. Noch im Mai will Bettina Jarasch auch Radfahrer dort verbannen. Die Friedrichstraße solle einer „italienischen Piazza gleichen". Doch im Oktober kippt das Verwaltungsgericht Berlin das Autoverbot.
Die andauernde Sperrung der Friedrichstraße wird damit rechtswidrig. Während Franziska Giffey daraufhin dafür plädiert, die Straße schnell wieder für den Autoverkehr zu öffnen, kommt es zu einem offenen Disput zwischen der Verkehrssenatorin und der Regierenden Bürgermeisterin.
Zum Jahresendspurt dann stehen auch in den Bezirksämtern alle Zeichen auf Neuwahlen. Dort geht es weniger um Wahlkampf als um Wahlvorbereitungen. Weil die Ämter nur drei Monate Zeit bis zu den Neuwahlen haben, werden einzelne von ihnen vorübergehend geschlossen. So etwa in Kladow, in Reinickendorf, in Pankow, in Marzahn-Hellersdorf und in Lichtenberg. Andere Berliner Bezirke warten erst einmal noch ab. Aber es wird schnell klar, dass damit noch weniger Personal in den Bürgerämtern zur Verfügung steht, wenn es um die Ausstellung neuer Reisepässe, Personalausweise oder Wohnungsummeldungen geht. Doch die Berlinerinnen und Berliner kennen das. Sie sind warten gewohnt. Ob vor den Wahllokalen oder für einen Termin beim Bürgeramt.