Mit gleich zwei neuen Studien konnten bislang unbekannte Mechanismen nachgewiesen werden, durch die sich Darmkrebstumore im fortgeschrittenen Stadium einer wirksamen Chemotherapie widersetzen können.
Krebserkrankungen sind und bleiben auch künftig eines der größten Gesundheitsprobleme der modernen Gesellschaft. Da die Inzidenz dieser Krankheiten mit dem Alter exponentiell zunimmt und die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung steigt, wird sich das Problem weiter verschärfen. Trotz vieler Erfolge in der Krebstherapie sind die Behandlungsoptionen für Tumorpatienten gegenwärtig häufig noch immer unzureichend, sodass dringender Bedarf an neuen, besser wirksamen Medikamenten und Therapiekonzepten besteht. So auch beim Darmkrebs, der in der Regel im Bereich des Dickdarms oder Mastdarms auftritt und in der medizinischen Fachsprache als sogenanntes Kolorektales Karzinom bezeichnet wird. Dieses ist in Deutschland nach dem Lungenkrebs die zweithäufigste Krebstodesursache und bei beiden Geschlechtern die zweithäufigste Krebserkrankung.
Tumormikromilieu spielt entscheidende Rolle
In den letzten Jahren konnte die Krebsforschung die frühzeitige Diagnose und Therapie des Kolorektalen Karzinoms deutlich verbessern. Doch die Resistenz fortgeschrittener Darmtumore gegenüber den gängigen Chemotherapien stellt immer noch ein großes Problem dar und trägt dadurch ganz maßgeblich zur hohen Sterblichkeit von Patienten mit Darmkarzinomen bei. Dieses zentrale Dilemma stellt einen der Forschungsschwerpunkte des vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst 2008 ins Leben gerufenen und geförderten Loewe-Projekts dar. In diesem haben sich international ausgewiesene Wissenschaftler von der Medizinischen Fakultät und dem Biozentrum der Goethe-Universität Frankfurt sowie vom Institut für Tumorbiologie und experimentelle Therapie des Georg-Speyer-Hauses Frankfurt zur Unterabteilung „Onkogene Signaltransduktion Frankfurt“ (OSF) zusammengeschlossen. Ebenfalls eine wichtige Rolle im Rahmen des Loewe-Projekts spielt das Frankfurt Cancer Institute (FCI), besetzt mit Wissenschaftlern der Goethe-Universität, des Georg-Speyer-Hauses, des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenforschung sowie des Paul-Ehrlich-Instituts, die ein breites Spektrum verschiedener Disziplinen repräsentieren. Der Sprecher des FCI, Professor Florian Greten, hat sich in seiner Funktion als Direktor des Georg-Speyer-Hauses in den letzten Jahren die höchsten Forschungsmeriten verdient, 2021 erhielt er beispielsweise für seine Arbeiten rund um die Entstehung von Darmkrebs und zur Entwicklung neuer Therapieansätze den höchstdotierten EU-Wissenschaftspreis.
Anfang 2022 publizierte Florian Greten mit einem FCI-Team, dem auch die beiden Kollegen Professor Claus Rödel und Professor Emmanouil Fokas von der Klinik für Strahlentherapie und Onkologie Frankfurt angehörten, eine Studie im Fachmagazin „Cancer Cell“, die international Aufsehen erregte. Den Forschern war es, ausgehend von Patientenproben aus dem Universitätsklinikum Frankfurt, durch Laboruntersuchungen und den Einsatz präklinischer Modelle gelungen, einen neuen Resistenzmechanismus bei der Behandlung des Enddarmkarzinoms nachzuweisen. Das Ergebnis ihrer Untersuchungen war selbst für die Forscher überraschend, weil das Ansprechen auf eine Strahlentherapie offenbar nicht in erster Linie von den Tumorzellen selbst, sondern ganz wesentlich auch von den umgebenden, entzündlich veränderten und in einem sogenannten Tumormikromilieu angesiedelten Bindegewebszellen abhängig war.
Bei diesen Bindegewebszellen könne die Strahlentherapie weitere entzündliche Veränderungen auslösen, wodurch die Tumorzellen resistenter gegenüber Bestrahlungen werden könnten. Nur durch Hemmung eines bestimmten entzündungsfördernden Botenstoffs namens IL-1a könnten diese Veränderungen der Bindegewebszellen aufgehalten und der Krebs dadurch wieder für Bestrahlung angreifbar gemacht werden. „Wir hoffen“, so das Forscherteam, „dass wir durch diese neuen Erkenntnisse auch die resistenteren Enddarmtumore mit einem neuen Therapiekonzept erfolgreich behandeln können, indem wir während der Radiochemotherapie zugleich auch resistenzvermittelnde Entzündungsprozesse im Bindegewebe hemmen.“
Der praktische Nutzen des Studienergebnisses, das eine Kombination von Radiochemotherapie mit Hemmung des entzündlichen Botenstoffs als Therapiekonzept nahelegt, wurde bereits am Universitären Centrum für Tumorerkrankungen (UCT) in Frankfurt in einer ersten klinischen Studie überprüft. „Mit unserer Laborforschung“, so die Wissenschaftler, „konnten wir den Kolleginnen und Kollegen aus der Klinik gleich zweifach helfen: Wir konnten ihnen sowohl einen Angriffspunkt aufzeigen, wie sie resistentere Enddarmtumore wieder für die Therapie sensitiver machen könnten, als auch eine Methode, betroffenen Patientinnen und Patienten auf eine Therapieresistenz zu screenen und herauszufinden, bei wem voraussichtlich eine antientzündliche Begleittherapie hilfreich sein könnte.“
Auch bei der neuesten unter Federführung von Professor Greten durchgeführten Studie eines Teams des Georg-Speyer-Hauses und der Goethe-Universität ging es wieder um die Resistenz von fortgeschrittenen Darmtumorzellen bei einer Strahlenbehandlung. Die Untersuchung wurde, mit dem Krebsforscher Dr. Mark Schmitt von der Goethe-Universität als Erstautor, im November im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht. Das verblüffende Resümee der Studie, bei der aus Patienten isolierte Darmkrebszellen zu einem Tumor herangezüchtet und anschließend mit gängigen Chemotherapeutika behandelt wurden, lautete: Durch Bestrahlung sterbende Darmkrebszellen können Nachbar-Tumorzellen mit einer Strategie zum Überleben versorgen. Die durch die Chemotherapie getöteten Zellen können als letzter Akt ihre Nachbarzellen vor der Bedrohung gleichsam warnen. Sobald Chemotherapeutika Darmkrebszellen zum Absterben bringen, stoßen diese einen Botenstoff namens ATP (Adenosintriphosphat) aus, der an bestimmte Rezeptoren, sogenannte P2X4-Purinorezeptoren, auf der Oberfläche umliegender Tumorzellen andocken kann. Dadurch wird in diesen benachbarten Tumorzellen ein elementarer Überlebenssignalweg aktiviert, der sie vor dem Zelltod schützt und resistent gegen die Bestrahlung macht. Die sterbenden Tumore können dadurch gewissermaßen die Signalkaskaden in den benachbarten Tumorzellen umprogrammieren.
Unterbrechung der Kommunikation
Den Forschern ist allerdings auf Basis präklinischer Modelle der Beweis gelungen, dass durch Unterbrechung der Kommunikation zwischen den sterbenden Tumorzellen und ihren Nachbarzellen die Effizienz der Chemotherapie um ein Vielfaches erhöht werden kann und dadurch auch ursprünglich resistente Tumore sehr gut durch Chemotherapie behandelbar gemacht werden konnten.
„Unsere Forschungsergebnisse zeigen“, so Dr. Mark Schmitt, „dass trotz jahrelanger erfolgreicher Forschung immer noch unbekannte Mechanismen entdeckt werden, die uns zeigen, wie perfide sich Tumorzellen einer therapeutischen Kontrolle entziehen. Unsere Ergebnisse liefern nun einen neuen vielversprechenden Ansatzpunkt, mittels Kombinationstherapie die Ansprechrate fortgeschrittener Kolorektaler Karzinome auf gängige Chemotherapeutika erheblich zu verbessern.“
Als nächsten Schritt möchte das Forschungsteam gemeinsam mit den Kollegen des FCI das neue Therapiekonzept an Darmkrebspatienten testen. „Wir waren überrascht zu sehen“, so Professor Florian Greten, „dass Tumorzellen Mechanismen der Kommunikation entwickelt haben, die so weit gehen, dass selbst noch die sterbenden Tumorzellen aktiv daran mitwirken, bei einem therapeutischen ‚Angriff‘ das Überleben ihrer Nachbarn zu gewährleisten. Wir haben große Hoffnung, dass wir durch die Unterbrechung der Kommunikation zwischen den Zellen auch in Patientinnen und Patienten diese enorme Steigerung in der Wirkung der Standardtherapie erzielen können.“