Der Fantasy-Serienhype geht in die nächste Runde. Seit dem 23. November läuft „Wednesday“ auf Netflix und hat seither etliche Rekorde gebrochen. Wird die erste große Serie von Star-Regisseur Tim Burton dem Hype gerecht?
Als im Jahr 1938 der amerikanische Cartoonist Charles Addams den ersten Cartoon über die Addams Family in der Zeitung „The New Yorker“ veröffentlichte, konnte er nicht ahnen, dass die morbid veranlagte Familie Addams, ein satirisch überhöhter Gegenentwurf zum Ideal der perfekten amerikanischen Familie, innerhalb weniger Jahrzehnte zum absoluten Kult in Literatur, Kino und Fernsehen avancieren würde.
Von 1964 bis 1966 lief die erste Addams-Family-Serie, damals noch in Schwarzweiß, im Fernsehen und machte die etwas andere Familie, bestehend aus Mutter Morticia, Vater Gomez, Tochter Wednesday, ihrem kleinen Bruder Pugsley, Onkel Fester, dem eiskalten Händchen, dem haarigen Vetter Itt sowie dem Frankenstein-Verschnitt Butler Lurch, auf einen Schlag berühmt. Zahlreiche Verfilmungen sollten folgen, wobei vor allem die Addams-Family-Filme von Barry Sonnenfeld („Men in Black“, „Pushing Daisies“) erwähnt werden müssen, die Anfang der 1990er-Jahre die Kinofans begeisterten und nachhaltig prägten. Damals spielte die zehnjährige Christina Ricci Wednesday, die Tochter der Addams Family, und hier schlagen wir auch schon den Bogen zur neuen Serie, in der Ricci ebenfalls zu sehen ist. Nicht als Wednesday, sondern als Lehrerin.
Die Hauptrolle der Wednesday Addams wird indes ikonisch verkörpert von Jungstar Jenna Ortega, die vorher nur Insidern bekannt war, nun jedoch zum Role Model des Gothic-Looks wird – hier soll exemplarisch Ortegas selbst choreografierte Tanzszene auf dem Schulball erwähnt werden, die die sozialen Medien seit Erscheinen der Serie flutet. Die schwarzen Haare, die großen dunklen Augen, das bleiche Gesicht und ihre ausdruckslose Mimik, die nur in manchen Momenten zu zerbrechen droht, aber nach außen stets aufrechterhalten wird, machen die neue Wednesday zu einer Superheldin der Außenseiter dieser Welt. Sie ist keine, die gut gelaunt anderen etwas vorgaukelt. Sie ist, wie sie ist: zynisch, anders und unangepasst. Das macht den Umgang mit ihr für andere nicht immer leicht, aber das ist ihr egal.
Faszinierende Antiheldin
Was macht die Serie „Wednesday“ aber nun so erfolgreich und so gut? Ist es die Hauptdarstellerin Jenna Ortega? Ist es Kultregisseur Tim Burton („Edward mit den Scherenhänden“, „Alice im Wunderland“, „Corpse Bride“, „Sleepy Hollow“), dessen düster-fantastischer Stil perfekt zum Addams-Family-Kosmos passt? Oder ist es doch die Story, in der man den Einfluss von Erfolgsformaten wie „Harry Potter“ und „Stranger Things“ eindeutig erkennt? Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus alldem und noch einigem mehr. Denn eine gute Serie ist eben mehr als die Summe ihrer Teile.
Sicher ist, dass die Handlung mit der Antiheldin Wednesday Addams im Zentrum des Geschehens zum Erfolg der Serie beiträgt. Nach einer von Wednesday inszenierten Piranha-Attacke auf schwimmende Schüler, die ihren Bruder Pugsley gepiesackt haben, wird sie ihrer alten Highschool verwiesen (es ist nur einer von zahllosen vorangegangenen Schulverweisen) und von ihren Eltern Morticia (Catherine Zeta-Jones) und Gomez (Luis Guzmán) an der „Nevermore Academy“, einem Internat für seltsame und monströse Außenseiter, angemeldet. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit ihren neuen Mitschülern, die sich, wie etwa Wednesdays immer gut gelaunte Zimmergenossin Enid, als Wesen mit unterschiedlichen übersinnlichen Fähigkeiten entpuppen, wird Wednesday in einen Kriminalfall hineingezogen. Bestialische Morde erschüttern die angrenzende Stadt Crackstone und ein grässliches Monster treibt sein Unwesen.
Mit jeder Folge wächst die Spannung, die sich daraus ergibt, dass die Zuschauer lange im Unklaren darüber gelassen werden, was es mit dem Monster auf sich hat und welche Geschichte dahinter steckt, in die auch Wednesdays Eltern Morticia und Gomez verstrickt zu sein scheinen.
Ein wichtiger Faktor für den Erfolg der Serie geht jedoch über die Handlung hinaus, denn Wednesday Addams verkörpert wie erwähnt nicht nur eine satirisch überzeichnete Figur, sondern sie ist auch ein selbstbewusster Gegenentwurf zu einer oberflächlichen Welt, in der man sich nach außen perfekt und gesellschaftskonform präsentieren muss, um allgemein akzeptiert zu werden. Gepaart mit den inneren Kämpfen und moralischen Konflikten, mit denen Wednesday in der Serie sich dennoch immer wieder auseinandersetzt, wird der bisher eher skurril anmutende Addams-Family-Kosmos um eine Komponente erweitert, die vorher nicht so explizit thematisiert wurde: das Zurechtkommen in einer Welt, in der man die eigene Identität erst finden und behaupten muss. Damit können sich viele – nicht nur junge – Menschen wohl gut identifizieren.
Eine zweite Staffel von „Wednesday“ ist noch nicht bestätigt, ihr sollte aber nach dem riesigen Erfolg der ersten Staffel nichts im Wege stehen.