Lässig-elegantes Fine Dining mit allen Sinnen: „The Cord“ in Schöneberg verbindet vorrangig nachhaltige Küche mit ausgeklügelten Kompositionen.
Auch nach Jahrzehnten noch bleibt diese Stadt ihren Prinzipien treu. Sie verbindet das Alte mit dem Neuen und das Hässliche mit dem Schönen. Und sie überrascht einen immer wieder neu. Diesmal tippt das Unerwartete einem mitten im tiefsten Schöneberg sanft auf die Schulter und flüstert einem etwas ins Ohr: Schau dich mal um, das hast du noch nicht gesehen. Und tatsächlich: Nur wenige hundert Meter vom abgeranzten Schöneberger S-Bahnhof an einer laut tösenden Straße mit wenig einladenden Schnell-Imbissen und grell beleuchteten Spätis führt hinter dem düsteren Tunnel eine Seitenstraße zum Euref-Campus und damit in eine komplett andere Welt.
Entlang einer kleinen Mauer gelangt man zu einer Stadt in der Stadt mitten auf der Schönberger Insel, wo auch „The Cord“ gelegen ist. 150 Unternehmen, Institutionen und Start-ups sind auf dem circa 5,5 Hektar großen Stadtquartier angesiedelt. Der Campus verfolgt die Idee eines Modellquartiers für die „klimaneutrale, ressourcenschonende und intelligente Stadt von morgen“. So lautet zumindest die Selbstbeschreibung des Europäischen Energieforums (Euref). Und dort ist auch „The Cord“ gelegen.
Von der Campus-Philosophie haben sich die Macher neu inspirieren lassen. Das Team rund um den gastronomischen Leiter Thomas Kammeier, Küchenchef Florian Peters sowie Restaurantleiter und Sommelier Olaf Rode hat seine Küchenpraxis jetzt umgestellt hin zu mehr Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein. „Wir haben mehr vegetarische und vegane Optionen und die Fleischgerichte reduziert“, erläutert Olaf Rode das neue Konzept. Das Rindfleisch etwa wird nicht aus Übersee, sondern aus Irland eingeflogen. Dadurch gibt es kürzere Flugrouten, weniger Kerosin, weniger Umweltbelastung. „Die Qualität ist genauso gut“, verspricht der Restaurantleiter und erzählt, dass auch viele andere Basics der Cord’schen Küche aus Berlin oder dem Umland kommen. Aber dazu später mehr.
Oldtimer von 1937 als Namensgeber
Zunächst führt der Restaurantführer die neugierige Testerin durch den kulinarischen Tempel. Gleich im Eingang begrüßt einen der Namensgeber: ein hochglanzpolierter „Cord 810/812“-Oldtimer von 1937. Der Wagen war das erste stromlinienförmige Fahrzeug und somit das fortschrittlichste Automobil seiner Zeit.
Die windschlüpfrige Karosserie und der Flugzeugmotor sorgten für weniger Benzin- und Energieverbrauch. Das Motiv der längst eingestellten amerikanischen Automobilmarke zieht sich mit Konstruktionszeichnungen und Fotos durchs ganze Restaurant. Der Architekt Reinhard Müller entdeckte den Oldtimer auf dem Areal um den stillgelegten Gasometer, als er im Jahr 2008 begonnen hat, das neue Quartier mit seinem Team zu errichten.
Hohe Decken und schlichte Designerleuchten von Occhio, Gold- und Erdtöne verleihen „The Cord“ ein Art-déco-Ambiente, das gekonnt oszilliert zwischen Eleganz, Klarheit und Behaglichkeit. Auch das abstrakte, farbensprühende Werk des Malers Peter Kuckei fügt sich gekonnt ins noble Ambiente. „Nahbar, aber nicht distanzlos“, beschreibt meine Begleiterin das Ambiente treffend, als sie ein paar Minuten später das Restaurant betritt und in einen der samtenen Sesselstühle am Tisch sinkt. Für eine Weile lassen wir unsere Blicke noch schweifen – hinaus über die Terrasse bis hin zum Gasometer-Turm. „Das hier ist wie eine Umarmung, ich fühle mich warm umschlossen“, befindet die Begleiterin schwärmerisch. Sie fühle sich aufgefangen, sagt sie, beschützt vor der grausam kalten Welt da draußen.
Darauf müssen wir natürlich anstoßen und starten auf Empfehlung des Sommeliers mit einem Bouvet-Ladubay in den gustatorischen Teil des Abends. Der fein-fruchtige, roséfarbene Crémant aus dem Loire-Tal prickelt zart auf der Zunge und hat feine Anklänge von Himbeere, Preiselbeere und einen Hauch von Zitrusfrucht.
Gut gelaunt und erwartungsfroh lassen wir uns weiter von Sommelier Olaf Rode und von Küchenchef Florian Peters kulinarisch durch die Gänge des Fine Dining geleiten und begleiten.
Wir beginnen mit Kräuterquark, Olivenöl und englischem Meersalz mit knusprig-warmem Roggenmischbrot und Dinkelkornbrot, angeliefert aus zwei Berliner Bäckereien. Das hundertprozentige Bio-Dinkelmehl stammt aus Brandenburg, erklärt uns der Küchenchef. Beim aromatisch-intensivem Kerbelgeschmack des Kräuterquarks juchzen meine Geschmacksknospen bereits. Dabei ahnen sie noch nichts von den Geschmacksexplosionen, die uns in den nächsten Minuten und Stunden noch erwarten.
Weißwein-Skeptikerin wird überzeugt
Zum ersten Gang kredenzt uns Florian Peters Kanapees mit zart schmelzendem Tatar aus irischem Rinderfilet mit einem süß-salzigen Popcorn-Krönchen on top. Der ausgeklügelte Appetizer erinnert die kosmopolitische Begleiterin an die Küche Persiens, die Süßes und Saures oft miteinander kombiniert. Sommelier Olaf Rode reicht dazu einen Riesling-Cuvée mehrerer Jahrgänge von Jochen Dreißigacker. Sein blumiger Duft und seine Leichtfüßigkeit schaffen es, selbst eine überzeugte Weißwein-Skeptikerin wie mich derart zu bezirzen, dass ich nach dem ersten zaghaften Schluck nach mehr verlange. Chapeau! Das hat vor diesem Cuvée noch kein Weißer geschafft. Auch die Food-Begleiterin ist sichtlich angetan.
Noch begeisterter ist sie vom karamelligen Charme des Chardonnay Tetuna von Robert Goldenits aus dem österreichischen Burgenland, den wir später gereicht bekommen. Ehe wir uns versehen, steht schon cremige Büffelmilch-Burrata aus dem brandenburgischen Kremmen als nächster Gaumenschmeichler vor unseren Nasen. Schwanengleich thront die Burrata auf einem Essig-Gemüsesud. Dazu gibt es Apfel-Chutney, Karotten-Fenchel-Paprika-Mousse, eine filetierte Honig-Pomelo und einen krossen Tramezzini-Streifen. Aus den Farbklecksen auf dem Teller sprießen Pimpernelle sowie rotes und grünes Zwergbasilikum. Die zarten Pflänzchen stammen von Gourmet-Greens, einem Weddinger Start-up, das mehr als 40 Sorten Mikrogrün in Vertikalfarmen anbaut.
Gerade noch ist uns die Burrata auf der Zunge zergangen, da schmelzen unsere Gaumen auch schon mit dem Joselito-Iberico-Schinken dahin. Dabei ist er eigentlich nur der Komparse in der nächsten Folge der kulinarischen Serie, die mit einem Knollenselleriesüppchen an weißer Trüffelbutter und ausgebackenen Bio-Eigelb aufwartet. Doch der spanische Statist mit seinem kräftig-nussigen und zugleich süßlichen Geschmack ist der heimliche Star dieser Episode. Schließlich gilt er als der beste Schinken der Welt. Die Schweine, aus denen der Schinken gemacht ist, so weiß die kundige Begleiterin, kriegen bei der Aufzucht nur das Beste zu fressen, nämlich vorrangig Eicheln und ein wenig Gras.
Ausgeklügeltes Dessert-Ensemble
Dann wird es wieder vegetarisch, und der Küchenchef wartet mit seiner „Signature“ auf: handgemachte Karotten-Tortelloni mit fruchtigem Passionfruchtessig mit schwarzem Trüffel, Kerbelknolle und gerösteten Bröseln. Auch hier überrascht unsere Gaumen wieder angenehm die Kombination von Süßem mit Saurem. Wir sind schon so beglückt und fast satt von den kleinen, aber feinen Vorspeisen des Cord’schen Fine Dining, dass unsere Sinne fast schon ausgereizt sind, bevor die beiden überaus köstlichen Hauptgänge vor uns stehen: Das knusprige Saiblings-Filet mit Perlgraupen, Schmorgurken an Fenchel-Salat mit Estragon und Senfsaat überzeugt mit seiner Ausgewogenheit aus luftig-leicht und nahrhaft-erdend. Der Saibling kommt fangfrisch aus der Region, genauer gesagt aus der nahe gelegenen Rottstocker Fischfarm „25 Teiche“. Der nächste Hauptgang wird fleischig: Das geschmorte Ochsenbäckchen kommt wie das Tatar aus den Vorspeisen ebenfalls von der Grünen Insel. Das irische Weiderind wird mit Kürbis, Petersilienwurzel und schwarzem Trüffel angemacht. Auch das ist wieder wunderbar zart und passt perfekt zum Winter. Zum Ausklang gibt es noch ein Gläschen des 2015er-Dessertweins Lions de Suduiraut aus Bordeaux. Ein passendes Pendant zur samtig schmelzenden weißen Schokoladen-Mousse aus Tofu mit Vanille. Die fluffige Creme ist wieder einmal nur ein Teil eines perfekt ausgeklügelten Ensembles. Denn hinzu kommen noch Haselnuss-Krokant und Birnen-Hagebutten-Sorbet. Am liebsten würden wir uns reinlegen und aus dem Traum des süßen Lebens nie wieder aufwachen. Oder wenigstens eine kleine Spritztour mit dem Cord am Eingang machen. Den legendären Schlitten bekommen wir tatsächlich als Abschlussgeschenk – und das sogar im Plural! Denn auf unserem Tellern stehen ein paar Miniatur-Schlitten als „Signature Pralinen“ in ihren Startlöchern. Sie wurden von den niederländischen Moldbrothers von ihren eigens dafür angefertigten Silikonformen in das passende Cord-Format gebracht. Besser in Form kann man diesen perfekten Abend gar nicht beenden.