Gabi Schenkel überquerte ganz alleine im Ruderboot in 75 Tagen den Atlantik. Eine Zeitung im Zug brachte die Schweizerin auf diese außergewöhnliche Idee.
Ein Boot, ein Ozean und rund 5.000 Kilometer zwischen Kanaren und Karibik: 2019 startete die Schweizerin Gabi Schenkel das Abenteuer ihres Lebens. In 75 Tagen überquerte sie allein den Atlantik – in einem Ruderboot! Dabei hatte die frühere Leistungssportlerin mit Rudern ursprünglich gar nichts am Hut. Nach nur einem Jahr Training auf dem Zürichsee ging es für die Eidgenossin los. Der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass es sich bei Gabi Schenkels Kahn um die Komfortversion eines Ruderboots handelte: mit Schiffsstabilisatoren, GPS, Innenkabine und allem Pi-papo. Es ist kein Boot, in dem man mal gemütlich über den Wannsee schippert.
Rund zehn Wochen erlebt die Schweizerin im Rahmen des Wettstreits „Atlantic Challenge“ nicht nur traumhafte Sonnenuntergänge und süße Delfine. Sie kämpft auch mit Naturgewalten, Sturm und wochenlanger Seekrankheit. Einmal haut sie eine Welle von Bord, mehrfach bricht das Ruder, kurz vor der Ankunft in Antigua wird sie durch die starke Strömung südlich abgetrieben. „Da habe ich so richtig gespürt, dass ich ganz allein da draußen bin.“ Zu den schönsten Momenten zählt sie dagegen den Besuch eines Begleitboots, um Fotos zu machen. Nach 65 Tagen wieder von Angesicht zu Angesicht mit Menschen zu sprechen, sei „unbeschreiblich schön“ gewesen. „Dass gleichzeitig noch eine Walfamilie mit und um mich schwamm, war wie das Sahnehäubchen.“
Eine Welle haute sie von Bord
Mehr als drei Millionen Mal schlägt Schenkels Ruder ins Atlantikwasser: „Mit jeder Seemeile veränderte sich meine Einstellung zum Leben und zur Natur. Mir wurde klar: Jede und jeder kann seinen eigenen Atlantik überqueren“, so Gabi Schenkel etwas pathetisch. Doch wie kam sie überhaupt auf die verrückte Idee, allein den Atlantik zu überqueren? „Durch eine Gratiszeitung, die ich im Zug zur Arbeit las. Ich fand das gleich cool, auch wenn ich das Rudern erst lernen musste“, lächelt die Osteopathin mit eigener Praxis. Nach erfolgloser Suche nach Teammitgliedern entschloss sie sich kurzerhand, die Ozean-Tour allein zu wagen. „Ein Warum gab es nicht. Es war ein Bauchgefühl, das zu tun.“
Komplett allein fühlte sich Gabi Schenkel den eigenen Worten nach aber nicht. Besonders, wenn die Stimmung mies wurde, waren die eigene Schwester und Debby vom Wetterteam per Funk oder Telefon mit aufmunternden Worten zur Stelle. „Nicht zu vergessen war da auch noch eine Sturmschwalbe, die ein- bis dreimal täglich vorbeikam und mich tatsächlich die ganze Tour begleitete.“ Ansonsten sorgte auch Musik für Motivation – Klassik, italienische Schlager sowie ganze Playlisten voll mit Beatles.
An gemütliche Mahlzeiten war an Bord natürlich nicht zu denken: Auf dem Speiseplan standen vielmehr Snacks in Form diverser Nussriegel sowie eine bis vier gefriergetrocknete Mahlzeiten am Tag. „Durch meine Seekrankheit in den ersten Wochen aß ich anfangs aber recht wenig“, blickt die groß gewachsene Frau zurück. Zu Hause sei alles ganz anders: „Da beginnt mein Morgen meist mit einem Glas Leitungswasser. Dann bereite ich mir in aller Ruhe einen Kaffee zu. Das ist bei mir fast ein Ritual. Die Kaffeebohnen kommen aus der Dose, die schon meine Eltern nutzten.“ Insgesamt sei das Frühstück für sie aber eine kleine Mahlzeit, sagt Gabi Schenkel. Erst viel später bereite sie sich gern ein Omelette mit Gemüse und Avocado zu oder mische Beeren mit Vanillejoghurt.
Wie beim Morgenmahl hat sie nun auch sonst das ganz normale Leben wieder. Die Schweizerin arbeitet in der eigenen Züricher Praxis und geht im heimischen Einsiedeln Hobbys wie Laufen, Lesen und Stricken nach. Im Winter schnallt sie gern Langlaufskier unter die Füße und genießt die oft tief verschneite Heimat. Kochen kann die Eidgenossin aus dem Kanton Schwyz eigener Aussage nach aber auch. Nur Rudern falle wegen einer Schulter-OP in diesem Jahr flach. „Mitglied im ortsansässigen Ruderclub bin ich aber nach wie vor“, lächelt die Gesprächspartnerin.
Ostdeutschland kennt sie nicht, wie sie auf Nachfrage einräumt. Ausgenommen sei davon Berlin. Letztens fuhr sie im Zug von der Hauptstadt nach Hamburg. Es sei eine „schöne Fahrt“ gewesen. In Berlin kenne sie sich schon eher aus. „Vor der Wende war ich schon mal in der Stadt und beim Besuch Ostberlins etwas ängstlich. Mein Gedanke war, wie schön es sein müsste, wenn man durch dieses große Tor (Brandenburger Tor; Anm. d. Red.) gehen könnte. Zwei Jahre später war das dann möglich und ich habe Berlin seitdem jedes Mal anders erlebt. Zuletzt lernte ich im Mai nette Leute kennen und verbrachte viel Zeit in der grünen Oase Tiergarten“, so die 45-Jährige.
„Ich bin ruhiger geworden“
Zum Schluss kommt sie noch mal auf ihre unglaubliche Rudertour zu sprechen. „Sie hat mich wirklich verändert. Ich bin ruhiger geworden und lasse mich nicht mehr so schnell aus der Mitte katapultieren.“ Die Sportsfrau versuche einerseits, ihr Verhalten nicht mehr einer allgemeinen Harmonie unterzuordnen, andererseits ihre Bedürfnisse, Sorgen und Wünsche klarer zu benennen. „Ich versuche, deutlich zu kommunizieren, wenn ich mich nicht wohlfühle. Erstaunlich oder vielleicht auch logisch, dass die Harmonie so fast natürlich entsteht.“ Was Gabi Schenkel im Meer am meisten fehlte? „Das war der physische Kontakt zu anderen Menschen. Was ich nicht vermisste, waren Licht- und Luftverschmutzung sowie große Menschenansammlungen.“
Ihre Erlebnisse im Atlantik schildert die Schweizerin auch im Buch „Solo auf See“ (Eden Books). Die mit vielen Details und Internas gespickte Lektüre dürfte vor allem etwas für Ruderfans sein. Interessant sind aber kurze Rückblenden aufs eigene Leben. Die Autorin erinnert sich unter anderem an Mobbing in der Schule, schmerzhafte Beziehungen sowie Schwierigkeiten, akzeptiert zu werden.
„Meine Vergangenheit wird immer ein Teil von mir sein. Ich denke, ich konnte durch die Zeit auf See und das nachträgliche Bearbeiten des Videomaterials meiner täglichen Aufzeichnungen vom schweren Teil loslassen. Was passierte, prägte mich und ich werde nichts vergessen. Das Leben hält bestimmt noch weitere Herausforderungen für mich bereit. Da bin ich ganz sicher.“