Im besten Tennis-Alter von gerade mal 26 Jahren gab der Schwede Björn Borg im Januar 1983 nach elf Siegen bei Grand-Slam-Turnieren völlig überraschend seinen Rücktritt vom aktiven Sport bekannt.
Am 23. Januar 1983 versetzte der schwedische Champion Björn Borg, der seit seinem Auftauchen auf der ATP-Tour im Jahr 1973 einen kometenhaften Aufstieg zum ersten Tennis-Superstar der Geschichte hingelegt hatte, die Fangemeinde in einen regelrechten Schockzustand. Völlig überraschend kündigte der 1,80 Meter große Modellathlet mit den wallenden blonden, auf dem Platz immer durch ein Frottee-Stirnband gezähmten Haaren seinen Rücktritt vom aktiven Sport an. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits als „perfekte Geld-Maschine“ – so der seinerzeit wichtigste Sport-Marketing-Spezialist Cino Marchese – ein Gesamtvermögen von damals astronomischen 75 Millionen Dollar angehäuft. In seinen zehn Profi-Jahren hatte er nicht nur in seinem Heimatland, sondern auch weltweit einen veritablen Tennisboom ausgelöst.
Mit Borgs Abdankung kam die wilde, an die besten Zeiten der Beatles erinnernde Hysterie rund um seine wie ein Rockstar gefeierte Persönlichkeit, abrupt zum Stillstand. Das britische Boulevard-Blatt „Daily Express“ hatte dem Aussehen des Schweden, der in seiner Freizeit am liebsten nur Fernsehen glotzte und Comics las, geradezu gehuldigt: „Er ist wirklich wunderschön. Ein Gesicht, wie Raphael es gemalt haben könnte, mit blauen Augen, die man nie vergisst.“
Borg hatte die Tennisszene mit seinem Holzracket, seinen unnachahmlichen Topspin-Schlägen, seiner variablen Griffhaltung, seiner gefürchteten beidhändigen Rückhand und seinen schnellen Beinen nach zwei Titelgewinnen bei den French Open 1974 und 1975 und seinem ersten Wimbledon-Triumph 1976 dominiert. Er litt offensichtlich an einem Syndrom, für dessen Beschreibung sich damals der Begriff Burn-out einzubürgern begann. Nach 109 Wochen an der Spitze der ATP-Weltrangliste, deren ersten Platz er 1977 (wenn auch nur für eine Woche) schon einmal erklommen hatte, war Borg seelisch ausgebrannt. „Keine Karriere bei den Herren in der modernen Ära ist so kurz und strahlend gewesen“, äußerte der Verband ATP in einer offiziellen Würdigung.
Spielstil wie beim Tischtennis
Seinen Rücktritt ließ Borg durch die schwedische Zeitung „Kvallposten“ übermitteln: „Ich kann nicht mehr 100 Prozent geben. Und wenn ich das nicht tun kann, wäre es nicht fair mir selbst gegenüber, weiterzumachen. Tennis sollte Spaß machen, wenn du auf dem Weg an die Spitze bist. Ich fühle diesen Spaß aber nicht mehr. Deshalb höre ich auf.“ Ehemalige Tennis-Stars zollten Borg höchsten Respekt. Beispielsweise Arthur Ashe: „Er war größer als das Spiel. Er war wie Elvis Presley oder Liz Taylor.“ Auch Ilie Năstase fand nur bewundernde Worte: „Wir spielten Tennis, er hat irgendetwas anderes gespielt.“
Womit Năstase fraglos die Innovation angesprochen hatte, die der am 6. Juni 1956 in Stockholm geborene Björn Rune Borg in die Tenniswelt eingeführt hatte. Seine spezielle Schlagtechnik soll sich der Schwede von seinem Tischtennis spielenden Vater abgeschaut haben. Als dieser seinem neunjährigen Sprössling erstmals einen Tennisschläger geschenkt hatte, soll der kleine Björn beim täglichen Training am heimischen Garagentor den Topspin-Schnitt des Balles in Tischtennis-Manier nachgeahmt haben. Björn spielte Tennis, als ob es Tischtennis wäre – mit viel Handgelenk-Einsatz. Das schlug sich später in seinem Topspin nieder, wodurch er das Tennis zu einem Spiel von der Grundlinie aus verwandelte. Dazu kam, dass Borg seine Holzrackets mit bis zu 38 Kilogramm Zugkraft extrem besaiten ließ, was deren Lebensdauer arg einschränkte. Rund 600 Schläger soll er pro Saison verschlissen haben!
Betreut wurde Borg während seiner ganzen Erfolgszeit von Lennart Bergelin. Er hatte seinen Schützling schon im Alter von 15 Jahren ins schwedische Davis-Cup-Team geholt und durfte sich dank zwei Einzelsiegen von Borg Ende 1975 über den ersten schwedischen Sieg im Davis Cup freuen. Bergelin: „Das einzig Wichtige, das ich je für ihn getan habe, war, seinen Stil in keiner Weise anzutasten.“
Borgs Karriereende Anfang 1983 kam für Außenstehende schon ziemlich überraschend. Denn seine letzte richtige Saison, 1981, war für ihn gar nicht schlecht gelaufen. Bei gleich drei Grand-Slam-Turnieren hatte er im Finale gestanden und einmal mehr den Nachweis erbracht, dass das ihm anfangs übergestülpte Image eines reinen Sandplatzspezialisten völlig falsch war. Bei den French Open hatte er 1981 seinen sechsten Titel auf Sand gewonnen. Noch dominanter war allerdings sein Auftreten auf dem heiligen Rasen von Wimbledon, wo er zwischen 1976 und 1980 gleich fünfmal in Folge triumphierte. Beim Versuch, diesen Rekord zu toppen, scheiterte Borg allerdings im Wimbledon-Endspiel 1981 am exzentrischen US-Amerikaner John McEnroe, mit dem er sich eine ganze Reihe geradezu epischer Duelle geliefert hatte. Der angriffslustige Hitzkopf aus den USA war in die Fußstapfen seines Landsmanns Jimmy Connors getreten und zum einzigen ernsthaften Konkurrenten des Schweden geworden. Einige Monate später wurde McEnroe im September 1981 auch im Finale der US Open in New York der große Spielverderber für Borg, der damit schon zum vierten Mal im Endspiel der US Open als Verlierer den Court verlassen musste, wo er zunächst auf Rasen, zwischen 1975 und 1977 auf Sand und ab 1978 auf einem harten Belag hatte antreten müssen.
Comeback-Versuche scheiterten
Die Australian Open spielten für die meisten Tennisprofis – die überhaupt erst seit 1968, mit Beginn der sogenannten Open Era, bei den bis dahin Amateuren vorbehaltenen Grand-Slam-Turnieren startberechtigt waren – noch keine große Rolle. Mit ihrem Rasenuntergrund, der erst 1988 durch harten Belag ersetzt wurde, galten die Australian Open lange als billige Wimbledon-Kopie, zu der anzureisen sich Borg nur ein einziges Mal im Alter von 17 Jahren 1974 entschlossen hatte. Der heute häufige Grand-Slam-Traum des Gewinns aller vier großen Turniere innerhalb eines Jahres war in der Borg-Ära daher noch kein Thema.
1981 hatte Borg bereits elf Grand-Slam-Turniere gewonnen. Entsprechend wurde allgemein angenommen, dass er die vom Australier Roy Emerson gehaltene „ewige“ Bestmarke von zwölf Titeln bald übertreffen würde. Dass der für sein emotionsloses Auftreten auf dem Platz berühmt-berüchtigte Schwede – was ihm Spitznamen wie „Iceborg“, „Iceberg“ oder „Ice Man“ eingetragen hatte – auch Gefühle zeigen konnte, wurde erstmals 1980 in Wimbledon offenkundig, als er in der Kabine einen Weinkrampf erlitt. Zudem war durchgesickert, dass er bei großen Turnieren oftmals nächtelang keinen Schlaf finden konnte. Wie sehr selbst der „Iceborg“ unter dem wachsenden Erfolgsdruck gelitten haben muss, war auch schon bei den Masters 1979 zu erkennen – dem Vorgänger der heutigen ATP-Finals –, als Borg in einem Match gegen McEnroe im New Yorker Madison Square Garden für ihn völlig untypisch eine Entscheidung des Stuhlschiedsrichters offen angezweifelt und dafür eine Verwarnung sowie Strafpunkte kassiert hatte.
Zwar gewann er die Masters 1979 ebenso wie die Masters-Auflage des Jahres 1980, aber dennoch hatte er dort erstmals einen Blick hinter seinen harten äußeren Panzer gewährt, den er sich schon im Alter von 13 Jahren zugelegt hatte. Damals war er infolge rüpelhaften Verhaltens auf dem Platz monatelang aus dem Verkehr gezogen worden. Borg: „Danach habe ich nie mehr den Mund geöffnet, weil ich Tennis spielen und nicht mehr gesperrt werden wollte.“
Bis heute hält er Rekord in Wimbledon
Dass Borgs Niederlage gegen McEnroe im Finale der US Open 1981 „das letzte ernsthafte Match des Schweden“ sein würde, wie es die „Süddeutsche Zeitung“ einmal formulierte, konnte damals niemand ahnen. Wenig später gewann Borg zwar noch das Turnier in Genf – laut offizieller ATP-Angabe der insgesamt 64. Einzeltitel seiner Karriere –, doch nach Saisonende 1981 hatte Borg eine mehrmonatige Auszeit vom Tennis-Zirkus verlautbaren lassen. 1982 war er nur bei einem einzigen Turnier in seiner Wahlheimat Monte Carlo an den Start gegangen, wo für ihn allerdings bereits im Viertelfinale Schluss war.
Nach dem offiziellen Karriereende gab es schon 1983 zwei wenig erfolgreiche Comeback-Versuche in Monte Carlo und Stuttgart. Danach war Ruhe bis zum April 1991, als der inzwischen 34-Jährige nochmals in Monte Carlo antrat und noch einige Turniere spielte. Bis zum endgültigen Abschied im November 1993 konnte er allerdings kein einziges Match mehr für sich entscheiden. Die Gegner hatten längst ihren Respekt vor Borg verloren, der zudem eisern an seinem veralteten Holzschläger festhielt und damit gegen die neuen, größeren Kunststoffschläger hoffnungslos unterlegen war. „Ich wusste, dass es Blödsinn ist“, sagte Borg einmal, „aber ich kann es nicht anders erklären als damit, dass ich wieder spielen wollte.“Sein Einstieg in die Geschäftswelt – unter anderem als Namensgeber einer schwedischen Unterwäsche-, Kleidungs- und Parfum-Marke – wurde durch verschiedenste private Skandale überschattet. Borg gelangte an den Rand der Privatinsolvenz, kam aber an der Seite seiner dritten Ehefrau Patricia Östfeld nach und nach wieder auf die Beine. Die Strahlkraft der Marke Björn Borg ist trotz allem bis heute ungebrochen, der Mythos Borg lebt weiter – nicht zuletzt in Form einer ganzen Reihe von Rekorden für die Ewigkeit. Dazu gehört etwa die höchste Siegquote in Wimbledon mit 92,7 Prozent – 51 Triumphe, denen lediglich vier Niederlagen gegenüber standen.