Auch wenn die allgemeine Inflationsrate nicht mehr an der Zehn-Prozent-Marke kratzt, liegt die Verteuerung der Lebensmittel im mittleren bis oberen zweistelligen Bereich. Gleichzeitig führen Industrie und Handel weiterhin einen erbitterten Preiskrieg.
Wo man auch geht und steht, ob in Kiel oder in Konstanz, überall hört man schon seit Monaten dieselben Klagen: „Die Lebensmittel sind aber teuer geworden!“ Und wer in diesen Tagen durch die Supermärkte und Discounter streift, kann sich über die offiziellen Zahlen des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg nur wundern. Dort heißt es, die Teuerung in Berlin habe sich zuletzt „spürbar“ abgeschwächt.
Spürbar? Ein 250-Gramm-Block Butter ist mittlerweile nur noch sehr selten unter 2,50 Euro zu finden, und so manch eine Markenbutter kratzt manchmal schon an der Vier-Euro-Marke. Laut den Notierungen der Süddeutschen Butter- und Käse-Börse lag der Einkaufspreis vor einem Jahr noch bei einem Viertel weniger. Teurer geworden sind auch andere Milchprodukte sowie Brot, Fleisch und Gemüse. Klar ist, dass Energie- und Nahrungsmittelpreise immer die Inflationstreiber sind.
Die Verteuerung betrifft alle Gruppen von Lebensmitteln. Spitzenreiter waren „Stiftung Warentest“ zufolge im November 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat Sonnenblumen- und Rapsöl (plus 82 Prozent), Weizenmehl (plus 63 Prozent) sowie Sahne (plus 43 Prozent) und Ketchup (plus 41 Prozent). Die extremen Preissteigerungen haben jedoch schon im Juni 2021 begonnen. Wenn man den Vergleichszeitraum um ein knappes halbes Jahr erweitert, ergeben sich für manche Produkte „deutlich höhere Teuerungen“. Zieht man einen Vergleich über 17 Monate hinweg von Juni 2021 zu November 2022 heran, ist Weizenmehl um 70 und Butter sogar um 74 Prozent teurer geworden. So hoch lag die Teuerungsrate für Lebensmittel hierzulande seit 20 Jahren nicht mehr. In den Jahren zwischen 2000 und 2019 pendelte sie sich durchschnittlich noch auf knapp unter 1,5 Prozent ein.
Hohe Teuerungsrate für Lebensmittel
Auch weltweit haben die Lebensmittelpreise im Jahr 2022 ihren bisherigen Rekord erreicht. Laut der Welternährungsorganisation Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) ergab sich im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg von mehr als 14 Prozent.
Doch durch gestiegene Preise für Energie und Vorleistungen allein ist das Ausmaß der Inflation hierzulande nicht erklärbar. „Die Unternehmen scheinen in einigen Wirtschaftszweigen die Preissteigerungen dazu genutzt zu haben, ihre Gewinne auszuweiten“, sagt Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) der Dresdener Zweigniederlassung.
Dies legten die Daten der amtlichen Statistik zur Wirtschaftsleistung nahe. Daraus hat das Dresdener Institut Unterschiede zwischen nominaler und preisbereinigter Wertschöpfung ermittelt. Damit lassen sich Rückschlüsse auf Preisanhebungen ziehen, die nicht durch höhere Vorleistungskosten verursacht wurden.
Dass im Windschatten der Inflation das eine oder andere Unternehmen die Gunst der Stunde genutzt und besonders hohe Margen abgeschöpft hat, wurde schon im vergangenen Jahr offenbar. 2022 waren diesbezügliche Preisdiskussionen der Zankapfel zwischen Teilen der Industrie und dem Handel, was stellenweise auch leere Regale in manchen Produktkategorien zur Folge hatte. Der Zwist um vermeintlich oder tatsächlich ungerechtfertigte Preissteigerungen geht seit Jahresanfang ungebremst weiter. Nach Informationen der „Lebensmittelzeitung“ ist eine Reihe von Herstellern mit den Handelskonzernen Edeka und Rewe im Clinch. Marktführer Edeka soll eigenen Angaben zufolge für 2023 bereits zusätzliche Forderungen der Industrie in Höhe von 1,2 Milliarden Euro auf dem Tisch haben. Zwar sei das Niveau von 2022 in Höhe von 1,5 Milliarden Euro noch nicht erreicht. Allerdings erwartete Edeka, dass weitere Lieferanten nachziehen und „viele weitere Forderungen“ folgen würden.
Für Zwist sorgen vor allem Verhandlungen mit dem US-amerikanischen Snack- und Softdrink-Konzern Pepsico. Dem Fachmagazin zufolge soll der Getränkehersteller Edeka eine „nicht verhandelbare Preiserhöhung von 30 Prozent angekündigt“ haben. Diese Erhöhung habe Edeka als den Kunden nicht zumutbar empfunden. Pepsico wiederum sei zu Zugeständnissen nicht bereit gewesen und soll die Belieferung sofort eingestellt haben, heißt es. Bereits im 2021 war das Lieferverhältnis der beiden Partner für viele Monate gestört. Erst im Frühjahr waren die Getränke in die Regale zurückgekehrt. Auch der Edeka-Konkurrent Rewe soll mit einer Eskalation der Gespräche rechnen und sich auf einen Lieferstopp vorbereiten.
Nicht zumutbare Preiserhöhungen
Der Softdrink-Produzent ist kein Einzelfall: Laut „Lebensmittelzeitung“ soll es auch zu Differenzen zwischen den Händlern und dem Nivea-Produzenten Beiersdorf, dem Reinigungsmittelhersteller SC Johnson, dem Zwiebackproduzenten Brandt und dem Marmeladen- und Honighersteller Göbber gekommen sein. Dass den Verbrauchern eine weitere Teuerungswelle bevorsteht, glaubt Lionel Souque, Vorstandsvorsitzender von Rewe: „Wir haben allein in Deutschland als Rewe Group für das erste Quartal von Markenartiklern Preiserhöhungen im Volumen von mehr als einer Milliarde Euro auf dem Tisch liegen“, sagte der französische Manager der Deutschen Presse-Agentur. Der Handelskonzern werde aber nicht mitmachen. „Wir können und wollen die Preise nicht so stark erhöhen, wie die Industrie das fordert. Die Menschen haben nicht so viel Geld.“
Bereits im Jahr 2022 habe Rewe durch hartes Verhandeln die Umsetzung von mehr als der Hälfte der Preisforderungen der Hersteller verhindert. Kritik übt Lionel Souque vor allem an den Markenriesen: „Gerade große, internationale Konsumgüterhersteller versuchen auch in der aktuellen Situation noch, ihre Gewinnmargen zu erhöhen, und fordern Preiserhöhungen, die nicht gerechtfertigt sind“, so zitierte „Business Insider“ Souque.
Konsequenzen solcher Konflikte seien dann „manchmal auch Regallücken durch Lieferstopps oder Auslistung“. Christian Köhler, Verbandschef der Markenhersteller, hält in einem offenen Brief dagegen: „Der Vorwurf von Teilen des Handels, die Industrie sei der Inflationstreiber, widerspricht eklatant den Tatsachen“. Die Preise für die Handelsmarken der Hersteller, also die Eigenmarken der Händler, seien zuletzt noch stärker gestiegen als die der Markenartikler. Christian Köhler appelliert an die Händler, dass sie bei „allem harten Verhandeln“ zu „lösungsorientierten und faktenbasierten Gesprächen“ zurückfinden sollten.
Wie dem auch sei: Ob (noch) höhere Preise oder leere Regale – Leidtragende sind am Ende der Wertschöpfungskette immer die Verbraucher.