Der tiefe Fall der Eisbären Berlin ist angesichts der Klasse und Erfahrung im Kader nur schwer zu erklären. Dennoch gibt es Gründe, warum das Team sogar um den Ligaverbleib bangen muss.
Kinder an die Macht – bei den Eisbären Berlin haben die Kleinsten das Sagen, zumindest für einen Tag: Im Rahmen des Heimspiels am kommenden Sonntag gegen die Grizzlys Wolfsburg veranstaltet der deutsche Eishockey-Meister einen großen „Kids Day“. „Sowohl im Umfeld der Partie als auch im unmittelbaren Ablauf des Spiels wird es für Kinder und Jugendliche die Möglichkeit geben, sich einzubringen“, teilte der Club auf seiner Internetseite mit. Geplant ist unter anderem, dass ausgewählte Kinder die Drittelpausen-Interviews durchführen, die Kameras bedienen, als Puck-Beauftragte zum Einsatz kommen, das Spiel auf einer Extra-Tonspur live beim übertragenden Sender MagentaSport kommentieren und den offiziellen Instagram-Kanal der Eisbären übernehmen. Spötter könnten jetzt sagen: Sollen die Kinder doch auch als Spieler aufs Eis – viel schlimmer als im bisherigen Saisonverlauf kann es fast nicht werden.
Fakt ist: Der Titelverteidiger ist in der Spielzeit 2022/23 tief gefallen, zwischenzeitlich war die Abstiegsangst sogar sehr groß. Vor dem Startschuss hatten die Eisbären noch selbstbewusst das Ziel „Titel-Hattrick“ ausgerufen, doch davon ist man meilenweit entfernt. „Und ihr wollt Deutscher Meister sein?“ – diesen von gegnerischen Fans oft angestimmte Spottgesang können die EHC-Profis ganz bestimmt nicht mehr hören. Der 13. Platz in der 15er-Liga – für den Rekordmeister ein Desaster! „So wie wir spielen, muss man sich auch eingestehen, dass es verdient ist, wo wir stehen. Da redet man nicht mehr über Pech oder Glück. Ich glaube, dass wir nicht gut genug waren“, hatte Nationalspieler Marcel Noebels kurz vor dem Weihnachtsfest gesagt. Seitdem hat sich die Situation nur unwesentlich verbessert, dank eines Doppelsieges bei den Nürnberg Ice Tigers (2:0) und zu Hause gegen die Augsburger Panther (4:3 nach Verlängerung) hat sich die Mannschaft von Trainer Serge Aubin aber immerhin der gröbsten Abstiegssorgen entledigt. Kaum auszumalen, was ein Absturz in die Zweitklassigkeit für den Eishockey-Standort Berlin bedeutet hätte.
Rund um die Weihnachtszeit hatte auch die Position von Meistertrainer Aubin gewackelt, doch der überzeugende 5:0-Heimsieg gegen Abstiegs-Mitkonkurrent Bietigheim Steelers brachte dem Kanadier eine neue Schonfrist. Dass Aubin in der Krise aber oft ratlos wirkt und mit seinen Personalentscheidungen mitunter auch Aktionismus verbreitet, haben auch die Verantwortlichen registriert. Doch das Vertrauen vor allem von Sportdirektor Stephane Richer, der mit Aubin einst schon in Hamburg zusammengearbeitet hat, ist nach wie vor groß. Zumal das Team nicht immer schlecht spielt. Nach einem guten und erfolgreichen Spiel war die Hoffnung auf die Trendwende immer groß – doch fast jedes Mal folgte sofort der nächste Rückschlag. „Der DEL-Rekordmeister ist zurzeit nur noch Meister in der Rubrik Selbstdemontage“, schrieb der „Berliner Kurier“: „Es ist so bitter. So frustrierend.“
Die fehlende Konstanz ist eklatant und angesichts der Qualität und Erfahrung im Kader eigentlich nicht zu erklären. Dennoch gibt es Gründe, die in jedem Fall zu der Misere beigetragen haben. Da wäre zum einen die Transferpolitik, die in dieser Saison nicht aufgegangen ist. Abgänge von Leistungsträgern wie Mathias Niederberger, Kai Wissmann, Blaine Byron, Dominik Bokk oder Frans Nielsen konnten nicht adäquat ersetzt werden. Vor allem Niederberger, der in der Vorsaison ein Fels in der Brandung war und die keineswegs überragenden Berliner mit seiner Klasse im Tor zum Titel geführt hatte, fehlt ganz offensichtlich. Die Verantwortlichen gingen bewusst das Risiko ein, dem sehr jungen Torhüter-Duo Tobias Ancicka (21) und Juho Markkanen (20) das schwere Niederberger-Erbe anzuvertrauen – es war im Nachhinein betrachtet ein Fehler.
Verfehlte Personalpolitik
Vor allem Ancicka zeigt zwar durchaus großes Talent und hat in einigen Spielen auch seine DEL-Tauglichkeit bewiesen. Doch dazwischen legte der Youngster auch schwache Auftritte mit Fehlern und Unkonzentriertheit hin. Völlig normal für einen Goalie seines Alters – deswegen ja lernen sie in der Regel als Back-up von einem erfahrenen Mann oft jahrelang. Ancicka lernt nun aber auf die harte Tour, dass das Profigeschäft brutal sein kann. „Ich bin sauer, wenn heute über ihn wie bei einer Hochzeit und am anderen Tag wie bei einer Beerdigung geschrieben wird“, wetterte jüngst sein Vater Martin Ancicka. Der ehemalige Nationalspieler verlangte von der medialen Öffentlichkeit etwas mehr Geduld für seinen Sohn: „Der Junge ist fleißig, wird seinen Weg gehen. Wenn er mit 21 so halten würde wie Mathias Niederberger bei den Finalspielen im Frühjahr, wäre er nicht mehr in der DEL.“ Sondern in der NHL. Doch vom Niveau in der besten Eishockey-Liga der Welt ist bei den Eisbären nicht nur Ancicka meilenweit entfernt.
Innerhalb der Mannschaft ist die Rückendeckung zumindest nach außen vorhanden. „Wir sind da für ihn und vertrauen allen Torhütern, die bei uns drinstehen. Alles auf die Torhüter zu schieben, wäre zu einfach. Wenn ein Schuss aufs Tor kommt, ist ja auch immer der Schuld, der den Schuss zulässt“, sagte Kapitän Frank Hördler. Auch für Hördler persönlich ist es eine schwere Saison, obwohl er sich auf diese so sehr gefreut hatte. Zum einen, weil er seinen Traum wahrmachen konnte, mit seinem Sohn Eric im gleichen Profiteam aufzulaufen. Zum anderen, weil er die Schallmauer von 1.000 DEL-Spielen durchbrechen konnte. Doch es passt ins Bild, dass die Eisbären ausgerechnet dieses Jubiläumsspiel Mitte Dezember gegen den ERC Ingolstadt verloren. „Ich bin froh, dass ich einen so besonderen Tag erleben kann und meine Familie dabei ist“, sagte der 37-Jährige hinterher: „Aber es ist schade, dass wir nicht drei Punkte geholt haben.“ Diesen Satz haben die Fans in dieser Saison oft gehört.
Neben der verfehlten Personalpolitik, die zum Großteil Sportdirektor Richer angelastet wird, weil er gerade bei den deutschen Profis kein gutes Händchen bewiesen hat, sind auch Verletzungen, Erkrankungen, Formkrisen und nicht zuletzt das schwindende Selbstvertrauen ausschlaggebend für den Niedergang. „Im Moment müssen wir Schwerstarbeit leisten, um als Meister nicht unterzugehen“, gab Angreifer Kevin Clark zu: „Zum Glück gehören wir zu den besten Powerplay-Teams der Liga.“ So wie beim eminent wichtigen 4:3-Sieg nach Verlängerung gegen Augsburg, als die Eisbären drei Tore mit einem Mann mehr auf dem Eis erzielt hatten. Clark selbst steuerte zwei Treffer bei. Mit 26 Scorerpunkten in seinen ersten 40 Saisonspielen ist der Kanadier einer der wenigen Lichtblicke im Team, was auch dessen Landsmann Aubin betont: „Clark bringt Struktur ins Spiel und ist enorm torgefährlich.“ Und Clark ist auch einer, der das Team wachrüttelt und in der Krise vorangeht. „Wir dürfen jetzt nicht nachlassen, um noch einigermaßen über die Saison zu kommen“, forderte der 35-Jährige.