Wenn eine Sozialarbeiterin und eine Naturpädagogin ein gemeinsames Vorhaben verwirklichen, dann profitieren vor allem Kinder von ihren großen Plänen. Ada Katharina Pöhland und Klara Domröse haben das Projekt „Farn-sehen“ gegründet. Da geht es in allen Facetten kreativ zu.

Heutzutage gilt gemeinhin als Quelle von Innovation und aufopferungsvoller Arbeit das Start-up-Unternehmen. Hippe junge Menschen aus aller Herren Länder lümmeln in umgebauten schicken Fabriketagen herum, auf ihren Oberschenkeln balancieren Laptops, sie trinken Energiedrinks, lassen sich Pizza kommen und ihre Meetings gleichen brodelnden Vulkanen, die jeden Moment die Lava der Kreativität ausspucken.
Wie ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt hingegen die Wohngemeinschaft, deren Bewohner an schweren Holztischen in voll gerammelten Küchen zusammensitzen, ihren Tee aus selbst gesammelten Kräuterblättern aufbrühen, sich in lange Diskussionen verstricken und auffallend gesund leben. Doch nicht die Attitüde entscheidet darüber, ob dieses Zusammenleben und Arbeiten fruchtbar ist, sondern wessen Geistes Kind die Bewohner sind. Treffen hier, wie im Berliner Bezirk Wedding, zwei junge, selbstbewusste und künstlerisch engagierte Frauen aufeinander, so ist dies für den Kiez rund um die Soldiner Straße ein Segen.
In der Kindheit viel und gern im Garten
Ada Katharina Pöhland (34) und Klara Domröse (36), beide in Berlin geboren und aufgewachsen, haben sich in solch einer Wohngemeinschaft kennen und schätzen gelernt. Das liegt gewiss auch daran, dass sich ihre Interessen und ihr sozialer Einsatz in vielen Bereichen überschneiden und beide schon als Kinder und Jugendliche begeistert waren von allem, was mit Theater, Kunst, Umwelt und Politik zu tun hatte.

Woran erinnert sich Ada in ihrer Kindheit? „Ich war viel im Garten und habe Kräuterhexe gespielt“, sagt sie und lacht. Und als sie älter wurde, war sie Schulsprecherin, organisierte Demonstrationen gegen Rechts und alternative Kulturfestivals und wollte eigentlich Theaterschauspielerin werden. Aber da war ihr dann doch zu viel Eitelkeit und Konkurrenzkampf im Spiel, sodass sie schließlich Kunstpädagogik in Weimar studierte, nach Berlin zurückkehrte und einige Zeit als Kunstlehrerin an einer Schule arbeitete. Ein Burn-out ließ sie umdenken, und sie absolvierte zahlreiche Fortbildungen in den Bereichen Umwelt und Naturpädagogik. Nachdem sie sich dieses Fachwissen angeeignet und in zahlreichen Initiativen ausreichend praktische Erfahrungen gesammelt hatte, machte sie sich selbstständig und bietet unter dem Label „Farn-sehen“ seit März 2016 vor allem Naturwanderungen, Waldtage und pflanzenpädagogische Exkursionen an.
Weniger Krankheiten durchs Draußensein
Es sind hauptsächlich Kita-Kinder oder Schulkinder von der ersten bis zur vierten Klasse, mit denen sie zu allen Jahreszeiten auf verschiedene Weise den Wald erkundet: Mal geht es darum, verschiedene Baumarten kennenzulernen, sie anzufassen und zu spüren, ein andermal darum, Tierspuren zu entdecken oder mit einer Becherlupe ins Visier zu nehmen, was da über den Boden krabbelt, kreucht und fleucht. Auch dass man Kräuter sammeln, aus ihnen Tee, Salate und sogar Salben zubereiten kann, steht auf dem Programm. Dabei genießen die Kinder, unter Aufsicht begleitender Eltern und Erzieher oder ganz allein in einer Gruppe, die Freiheit, zu entdecken, was ihre Neugier weckt. Sie können toben, herumlaufen, sich verstecken oder an einer Schnitzeljagd teilnehmen. Bei all dem können und sollen sie sich sogar dreckig machen und durch den Matsch zu waten, ist nicht verboten. Im Gegenteil, denn auch das ist ein sinnliches Vergnügen. Längst hat die Wissenschaft bewiesen, dass Kinder, die sich viel und ausgelassen im Wald und in der Natur bewegen, weniger unter Allergien leiden, weniger krank werden.
Natürlich gibt es auch Kinder, die sich anfangs ängstlich zeigen, sich vor Würmern oder Käfern ekeln. Aber wie sollte es auch anders sein, wenn sie mittlerweile durch Smartphone, Glotze und Computerspiele der Natur schon sehr entfremdet sind? Spätestens aber nach dem zweiten oder dritten Tag im Wald wächst die Begeisterung, aus herumliegenden Ästen Hütten und Verstecke zu bauen, in die Rolle eines Tieres zu schlüpfen oder einfach nur dicke Äste durch die Gegend zu schleppen. Kinder im Wald, von Ada naturpädagogisch begleitet, entdecken nicht nur eine neue, andere Welt, die sie zu schätzen beginnen, sondern sie entdecken auch sich selbst. Wer eine Hütte gebaut, ein Eichhörnchen beobachtet, einen Baumstamm umgewälzt und mit dem Messer aus Rinde ein kleines Boot geschnitzt hat, erfährt neues Selbstbewusstsein: Ich kann was!

Was hat Klara in ihrer Kindheit und Jugend gemacht? „Kreatives Zeug“, antwortet sie und zählt auf: Theatergruppe, Zeitungsprojekt, Keramik, Bauchtanz. Auch sie ist engagiert. Verschiedene Praktika im Altenheim und im Theater folgen nach dem Abitur, aber für den Kampf um einen Platz an der Schauspielschule fehlt ihr der rechte Biss. Sie studiert Sozialarbeit an der Alice Salomon Fachhochschule, aber nach dem Bachelor macht sie erst einmal eine zusätzliche, zweijährige Ausbildung als Clownin in Hannover. Slapstick, nonverbale Clownerie, damit tourt sie im Duett sieben Jahre durch das Land, tritt bei Stadtteilfesten und in kleinen Varietés auf. Und drei Jahre lang ist sie immer mal wieder in England, um als Mitglied eines Wandertheaters durch die Gegend zu ziehen. Zurück in Berlin arbeitet sie zunehmend wieder als Sozialarbeiterin, auch wenn sie weiter selbstständige Projekte im Theaterbereich vorantreibt.
Eines davon haben Ada und sie gemeinsam entwickelt, zur Aufführung gebracht und – bedingt durch Corona – als Film auf Youtube veröffentlicht. Sechs Kinder, Jungen und Mädchen zwischen zwölf und 14 Jahren stellen auf einer Bühne und vor selbst gebastelter Kulisse aus schwarz angemalten Bananenkartons ihren Alltag dar und kombinieren diesen mit Spielszenen aus längst zurückliegenden Zeiten im rauen Bezirk Wedding. Verkleidet in der (Hut-)Mode der 20er- und 30er-Jahre entsteht fast eine Revue: „Leben im Soldiner Kiez – damals und heute“.
Theaterprojekt steht in den Startlöchern
Daran wollen sie in den kommenden Monaten anknüpfen. Gem
einsam mit dem benachbarten interkulturellen Mädchenclub „Media“ starten Ada und Klara ein neues Projekt, das diesmal „Starke Frauen“ in den Mittelpunkt stellt und sich an Mädchen aus dem Kiez wendet. Am Anfang steht für alle Beteiligten die Recherche: Wer kennt starke Mädchen und Frauen, die als Vorbilder dienen können? Was ist ihnen in ihrem Leben wichtig, wie engagieren sie sich selbstbewusst vielleicht in ihrer Familie, der Nachbarschaft oder in sozialen Projekten? Was macht sie zu einer besonderen Persönlichkeit, die natürlich auch Schwächen haben darf? Was kann ich daraus für meine eigene Entwicklung lernen?

Es ist gewiss kein Projekt mit erhobenem Zeigefinger, sondern vielmehr eines der Ermutigung. Denn viele der Alten und Jungen, der Deutschen und Migranten, die im Soldiner Kiez leben und arbeiten, stehen nicht unbedingt auf der Sonnenseite des Lebens. Überdurchschnittlich hoch ist hier der Anteil der Sozialhilfeempfänger und zu den feinsten Adressen gehört das Gebiet rund um die Olsloer Straße ganz gewiss nicht. Für das neue Theaterprojekt „Starke Frauen“ braucht es einen langen Atem und die Mühen der Vernetzung. Beschlossen ist die Zusammenarbeit mit dem Mädchenclub, einen richtigen Theaterraum mit fester Bühne hat man auch schon gefunden und eine Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Wedding ist angedacht. Anträge auf Fördermittel müssen geschrieben und begründet werden, und um nicht von einem bestimmten Träger abhängig zu sein, haben sich Ada und Klara zu einer GbR zusammengeschlossen. Sie hoffen, auf diese Weise über einen längeren Zeitraum freie Theaterprojekte realisieren zu können. All dies wollen und werden sie stemmen, mit Leidenschaft und nebenbei, denn in ihren Hauptberufen als Naturpädagogin und Sozialarbeiterin sind sie ja auch noch gut beschäftigt.
Eigentlich braucht man bis zur Aufführung des neuen Theaterprojekts „Starke Frauen“ im Frühsommer auch gar nicht zu warten. Man kann Ada und Klara schon heute erleben und sogar ein bisschen bewundern – sie haben einen ganz eigenen Weg zu ihrem Start-up gefunden.