Mit 27 Jahren hat der Bariton Äneas Humm viel erreicht. Der „Nachwuchskünstler des Jahres“ spricht über Diversität in der Oper, musikalische Nischen und Lehren aus der Pandemie.
Herr Humm, was macht Ihnen an Ihrem Beruf am meisten Spaß?
Die Abwechslung, viele Leute kennenzulernen, zu reisen – und Musik zu machen.
Was können Sie am besten?
Ich denke, ich kann gut mit Menschen umgehen – und singen. Dabei liegt meine Stärke auf der Unterhaltung und darauf, das Publikum zu berühren.
Schon für Ihre erste CD „Awakening“ mit der Pianistin Judit Polgar wählten Sie Lieder von Viktor Ullmann, die er im Konzentrationslager Theresienstadt komponierte. War das eine musikalische Nische, in der Sie als Newcomer auffallen konnten?
Ich hätte auch die „Winterreise“ singen können – das habe ich schon getan –, aber ich denke, da gibt es größere Aufnahmen als meine. Viktor Ullmann war in der Tat ein Komponist, über den die Journalisten mal gerne schreiben sollten.
Auch auf Ihrem zweiten Album „Embrace“ kommt Ullmann wieder vor, dazu Liszt, Grieg und Fanny Hensel. Eine Zusammenstellung, die im Deutschlandfunk (der die Aufnahme unterstützte) „Lieder für die Seele“ genannt wurde …
Meine Pianistin Renate Rohlfing und ich, wir dachten: Jemand, der berührt werden will, hat eine Stunde lang ein solches schönes Hörgefühl. Es reicht von betrübt bis sehr viel Hoffnung. Plus die Musik von Fanny Hensel, die immer noch zu wenig bekannt ist.
Diese Lieder werden Sie im nächsten Jahr beim Heidelberger Frühling vortragen. Schaut man auf Ihren Kalender, dann kann einem schwindlig werden. Außer am Theater in St. Gallen singen Sie unter anderem an der Isarphilharmonie München, beim Davos Festival, beim Brandenburgischen Musiksommer, dem Lucerne Festival, beim Staatsballett Hamburg und nicht zuletzt am Grand Teatro Liceu in Barcelona. Wie weit im Voraus sind Sie gebucht?
Zurzeit bis Ende 2024. Die vielen Angebote sind der Grund, dass ich ab kommendem Jahr als freier Sänger unterwegs sein werde. Ich möchte selber entscheiden, was ich wann und wo singen werde. Als angestelltes Ensemblemitglied bekomme ich zwar jeden Monat ein festes, wenn auch bescheidenes Gehalt, doch interessanten Einspringer-Anfragen kann ich nicht nachgehen. Bald werde ich zum Beispiel mein Debüt am Theater an der Wien geben – so ein Angebot muss man annehmen können.
Es muss auch eine besondere Herausforderung gewesen sein, bei den Ludwigsburger Festspielen einzuspringen und eine Uraufführung auf Belarussisch zu singen, das Ganze wurde auf Arte übertragen. Wie plant man eine solche Karriere?
Aus einem Konzert wird vielleicht ein Gastvertrag, dann eventuell ein Festvertrag. Im Hintergrund arbeitet die Agentur und die Kontakte entwickeln sich wie ein Spinnennetz. Außerdem entwickelt man das zu einem passende Repertoire. Im März singe ich mein erstes Brahms-Requiem und freue mich darauf. Irgendwann muss man mit solch monumentalen Werken anfangen, um sich weiterzuentwickeln. Aber dass man bis zur Rente plant, ist nicht möglich.
Nach der Pandemie verzeichnet der Kulturbetrieb weniger Besucher. Und die Musikhochschulen bilden immer mehr junge Menschen aus. Hat da ein Einsteiger überhaupt noch eine Chance?
Die Kartenverkaufszahlen für Oper und Konzert sind in einigen Städten rückläufig. Kleinere Orte sind eher noch ausverkauft. Man muss wissen, was die Leute wirklich hören wollen. Außerdem ist die Aufmerksamkeitsspanne kürzer geworden. Mir geht’s gleich, ich bin bei einer Opernübertragung früher abgelenkt als zuvor und gehe schneller in die Küche. Wichtig ist, den Zugang zu den Leuten zu finden, deshalb moderiere ich meine Konzerte gerne selbst. Wer Lust und das Talent hat, Sänger zu werden, soll es probieren. Man darf aber nie mit der Erwartung ins Studium gehen, dass dort deine Karriere gemacht wird, dafür ist man selbst verantwortlich.
Bei aller Reiserei und dem abwechslungsreichen Leben, das Sie führen, gibt es trotzdem ein Tagesritual?
Wenn ich nicht gerade sechs Wochen lang geprobt und gespielt habe und völlig platt bin, stehe ich um 9 Uhr auf. Um 10 Uhr bearbeite ich E-Mails, dann übe ich bis mittags. Vielleicht lade ich am Nachmittag einen Pianisten ein oder studiere allein Stücke. Ich gehe viel Radfahren und trainiere mit einer Sport-App. Früher hat man gesagt, Sänger müssen dick sein, heute ist es schlank und beweglich. Nachmittags lege ich mich immer 20 bis 30 Minuten hin. Dann ist Kaffeeholen ein Ritual, die kleine Stärkung, bevor man am Abend alles gibt. Mein Mann Ben muss alles mitmachen und verstehen, dass ich vor einem Konzert nicht spreche. Wenn er mit mir unterwegs ist, haut er nach dem Mittag ab und lässt mich in Ruhe. Als Sänger ist man auf der Bühne besonders exponiert und zieht sich vor dem Auftritt zurück.
Fehlt Ihnen die Darstellung diverser Lebenswelten auf den Bühnen?
Die Opern, die wir kennen, sind gut und schön, aber wenn wir die Oper weiterentwickeln wollen, müssten wir neue Themen aufnehmen. Supertoll war für mich in St. Gallen „Der anonyme Liebhaber“ von Joseph Bologne, dem ersten schwarzen Opernkomponisten. Da ging es darum, Gegensätze zu interpretieren, und ich trat als Cross-Dresser in einem voluminösen Kleid mit Barockperücke auf.
Könnten Sie sich vorstellen, einmal selbst so ein Projekt zu realisieren?
Ja, eine Handlung wie die schwule Beziehung in „Call Me by My Name“ könnte jüngere Leute ansprechen. Oder was ich gerne realisieren würde: einen Liederzyklus über den Klimawandel aus der Sicht von Völkern, die weltweit auf Inseln bedroht sind – gesungen in ihrer Sprache.
Sie haben selbst in einem Chor angefangen. Hätten Sie noch Tipps für Hobby-Chorsänger?
Die meisten Leute nehmen zu viel Luft, mehr als nötig. Bis tief eingeatmet ist, ist der Einsatz schon vorbei – und ich habe gar nicht mehr so viel zu singen. Wenn es sich im Chor schlecht anfühlt, drückt man oft zu sehr mit der Stimme und muss sich fragen, ob man eigentlich die anderen hört. Und wer sich heiser oder angeschlagen fühlt, sollte Ingwertee trinken. Der versorgt die Stimme und den Körper mit Feuchtigkeit. Viele Sänger inhalieren vor dem Auftritt und früher haben einige lange geduscht.