Städte und Gemeinden klagen schon lange über Aufgaben, die sie von Bund und Ländern zugewiesen bekommen – ohne ausreichende Mittel. Wohngeld und 49-Euro-Ticket bringen zudem Verwaltungen an die Grenzen.
Die Schlangen vor den Türen der Bürgerämter in Deutschland sind lang im neuen Jahr. In den Metropolen der Republik ist es fast schon ein Sechser im Lotto, einen Termin zu bekommen. Neben Wohnort- oder Kfz-Ummeldungen sowie einem neuen Pass lockt nun auch das erweiterte Wohngeld die Menschen ins Rathaus. Doch die Kommunen sind rein personell völlig überfordert. „Der Kreis der Wohngeldberechtigten hat sich zwar mehr als verdreifacht, doch in den entsprechenden Referaten haben wir deswegen nicht von heute auf morgen auch dreimal so viel Personal, um die Anträge zu bearbeiten“, bringt es der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, auf den Punkt: Beschließen von Gesetzen ist das eine, die Umsetzung das andere.
Ortswechsel. Im Bundesrat ist der Plenarjubel groß, die Ausweitung des Wohngeldes ist beschlossene Sache. Nachdem der Bundestag der Gesetzes-Novelle zugestimmt hat, folgen nun auch die Länder. Sie beschließen am 16. Dezember vergangenen Jahres nicht nur die Verdoppelung des Wohngeldes, sondern auch die Verdreifachung des Kreises der Bezugsberechtigten. Von 600.000 im Jahr 2022 auf über zwei Millionen in diesem Jahr. Während sich vor allem die Spitzenpolitiker von SPD und Grünen, aber auch der Linken selbst loben, ist ihren ausführenden Kollegen auf der kommunalen Ebene nicht zum Feiern zumute. „Das war doch völlig klar, dass wir den erweiterten Wohngeldanspruch überhaupt nicht zum 1. Januar umsetzen können, weil wir überhaupt nicht das nötige Personal dazu haben“, so der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Uwe Brandl (CSU), im FORUM-Gespräch.
Brandl ist hauptberuflich Erster Bürgermeister von Abensberg an der Donau in Niederbayern. Das beschauliche Abensberg mit seinen 14.000 Einwohnern ist eine klassische Gemeinde, wie es sie in allen anderen Flächenländern der Republik gibt, von der Saar bis an die Ostsee. Gemeindebund-Präsident Brandl pflegt engen Kontakt mit seinen Bürgermeisterkollegen und -kolleginnen in ganz Deutschland. Egal, welches Parteibuch sie haben oder ob sie parteilos sind, politisch sind sich alle einig: Der Bund trifft mit den Ländern in Berlin Entscheidungen, die auf kommunaler Ebene nur schwer, teilweise auch schlicht gar nicht umzusetzen sind. „Das beste Beispiel dafür ist doch das bundesweite Deutschlandticket für 49 Euro. Wie bei der Wohngeldreform haben wir als Kommunen auch beim Deutschlandticket dringend gewarnt, dass so ein bundesweiter ÖPNV-Einheitspreis schon gar nicht zum ersten Januar, aber auch nicht zum 1. April umzusetzen ist.“
Uwe Brandl ist aufgebracht. Trotz der dringenden Warnungen der kommunalen Vertreter wurde das bundesweit gültige Deutschlandticket zum 1. April von Bund und Ländern versprochen. „Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, das wird nicht zum 1. April stattfinden, kann nicht stattfinden, weil die Umstellung der bundesweit fast 80 unterschiedlichen Tarifsysteme nicht so ohne Weiteres zu machen ist. Also werden wir am 1. April, wenn überhaupt, einen Deutschlandticket-Flickenteppich haben“, so Brandl.
Entscheidungen nur schwer umzusetzen
Was dann im Frühjahr von der Bevölkerung kommt, erleben bundesweit die Bürgermeister gerade mit der Wohngeldreform: Die Bürger sind sauer und lassen ihren Frust an den Kommunal-Politikern oder den Mitarbeitern auf dem örtlichen Amt aus. Genauso wird es auch mit dem Deutschlandticket laufen, den vorprogrammierten Frust dürfen dann Busfahrer und das Bahnpersonal vor allem in den ländlichen Räumen ausbaden, also dort, wo das Deutschlandticket nicht so schnell umgesetzt werden kann.
Ein weiteres Beispiel für die Bund-Länder-Entscheidungs-Herrlichkeit über die Köpfe der kommunalen Ebene hinweg ist für Brandl der Rechtsanspruch auf die Ganztagsbetreuung. In diesem Fall gibt es obendrein ein Ost-West-Gefälle. Die Kommunen in Mecklenburg, Brandenburg oder Sachsen können den Rechtsanspruch besser umsetzen, da es in der ehemaligen DDR diesen schon einmal gab. Doch im Westen stehen die Kommunen diesbezüglich noch ganz am Anfang. „Viele Kommunen, ob bei uns in Bayern, an der Saar oder in Niedersachsen, verfügen aber überhaupt nicht über die nötige Infrastruktur.“ Und am Ende bekämen Politiker und Mitarbeiter in den Gemeinden und Landkreisen wieder ihr Fett weg. „Ist ja kein Wunder. Familien mit Kindern haben einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung und den wollen sie auch umgesetzt haben. Wenn wir dann den Eltern sagen müssen, wir haben weder die Räumlichkeiten noch das nötige Personal dafür, ist der Ärger auch schon da.“ Nicht ausgeschlossen, dass der dann auch noch eine Klagewelle hinter sich her zieht.
Nicht nur der Bürgermeister von Abensberg muss dann zusehen, wie er das umgesetzt bekommt. Keine Räume, kein Personal und auch kein zusätzliches Geld, um Abhilfe zu schaffen. Hier sieht der Präsident des Städte- und Gemeindebundes die größten Probleme in diesem Jahr: Abgesehen von den zusätzlichen Kosten durch Wohngeldreform, Deutschlandticket oder Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung sorgen auch die Energiepreise für zusätzliche Belastungen. Die haben sich im Vergleich zum vergangenen Jahr für die Kommunen im bundesweiten Durchschnitt verdoppelt. Doch diese Mehrausgaben sind in den kommunalen Haushalten nicht vorgesehen. Was bleibt da anderes übrig, als beispielweise die Temperatur des Schwimmbadwassers um zwei, drei Grad abzusenken und dann im Zweifelsfall das Bad ganz zu schließen? Ähnlich sieht es bei den Sportanlagen aus: Wer duscht im Winter nach zwei Stunden Konditionstraining schon gern kalt? Damit macht man sich als Bürgermeister oder Landrat vor Ort nicht sonderlich beliebt.
Aktuell können sich auch die Kommunen über steigende Einnahmen freuen – auch ein Effekt der Inflation. Aber schon die laufenden Tarifverhandlungen, in denen Gewerkschaften zumindest einen Inflationsausgleich anstreben, zeigen, dass der Effekt nur vorübergehend sein dürfte und die Mehreinnahmen durch steigende Kosten aufgefressen werden.