Bessere Pünktlichkeit, mehr Züge, neue Trassen und digitale Organisation: Die Deutsche Bahn sieht sich vor einem gewaltigen Berg an Aufgaben. Daher muss jetzt mehr Personal her. Ab 2024 werden ganze Strecken für eine Sanierung gesperrt.
Die Deutsche Bahn kämpft mit gewaltigen Problemen: Die Nettoschulden erreichten 2020 mit 29,3 Milliarden Euro einen Höchststand und konnten 2021 nur leicht abgetragen werden. Das Schienennetz ist marode und hat keine Kapazitäten mehr, Deutschland investierte laut Allianz Pro Schiene 2020 umgerechnet 124 Euro pro Einwohner in die Trasse, liegt damit europaweit auf den hinteren Rängen und versorgt damit aber das mit 38.000 Kilometern längste Schienennetz Europas. Jetzt sollen Rekordinvestitionen und eine Einstellungsoffensive Abhilfe schaffen.
Immerhin ist die Bahn Teil der Mobilitätswende und muss, wie auch der öffentliche Nahverkehr, auf das geplante 49-Euro-Ticket reagieren – mit mehr Zügen, modernen Trassen und besseren Verbindungen. Wer dies alles jedoch finanzieren soll, ist noch nicht klar. Zunächst streckt der Staatskonzern vor. Ab 2024, so heißt es seitens der Bahn, wolle man dann zusammen mit dem Bund als Eigentümer an einer Finanzierung bis 2030 arbeiten. Die Grünen-Haushaltsexpertin Paula Piechotta fordert dafür bereits mehr Geld. Die Ampel wolle bis 2030 die Fahrgastzahlen der Bahn verdoppeln und den Güterverkehrsanteil deutlich steigern. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) müsse bei der Bahn entsprechend nachlegen, wenn er hier erfolgreich sein wolle. „Vor allem Schiene und Wasserstraße müssen noch stärker priorisiert werden – auch im nächsten Verkehrshaushalt.“ Mittel- und langfristig brauche es verbindlich festgeschrieben mehr Geld für die Schiene, damit die Mammutaufgabe Deutschlandtakt in den kommenden Jahrzehnten realisiert werden kann. Mit dem geplanten Deutschlandtakt will der Bund Fern- und Regionalverkehr künftig besser aufeinander abstimmen.
Für eine nachhaltige Finanzierung habe die von der Bundesregierung eingesetzte „Beschleunigungskommission“ bedenkenswerte Vorschläge für langjährig laufende Schienenfonds gemacht, die der Bahn Anschub und Planungssicherheit bieten würden, so Piechotta. Die Kommission, die ihren Bericht im Dezember bereits vorgelegt hatte, schlug zwei Fonds vor, die mehrjährig wirken sollen, nicht von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr: einen zur Sanierung des Bestandsnetzes sowie einen Ausbau- und Modernisierungsfonds.
Grundsätzlich soll die bundeseigene Deutsche Bahn eine Schlüsselrolle darin spielen, die gesteckten Klimaziele zu erreichen. Bisher klafft im Verkehrsbereich diesbezüglich eine große Lücke. Das marode Bahnnetz soll nun grundlegend saniert und Kapazitäten sollen erhöht werden. Es soll schneller gebaut und das Netz digitalisiert werden. Wissing hatte deutlich gemacht, er sei sich mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) einig: An der Finanzierung aus dem Bundeshaushalt solle dies nicht scheitern.
Das sind grundsätzlich gute Nachrichten, allein, es haperte bisher vor allem bei der Umsetzung. Geplant sind bei der Bahn bis 2030 unter anderem insgesamt 450 ICE, das sind 100 mehr als derzeit. Dafür stellt die Bahn zehn Milliarden Euro bereit. Damit die neuen Züge auf die ohnehin schon überfüllten Schienen passen, soll die Infrastruktur, bislang nur notdürftig repariert, erweitert werden, insbesondere die zentralen Strecken, ab 2024. Die Idee: Lieber einmal alles reparieren als immer wieder nur das Nötigste. Los geht es 2024 mit der Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim. Die Strecke zwischen Berlin und Hamburg soll 2025 folgen und wird daher für rund sechs Monate komplett gesperrt. Während der Bauphase dürfte der Schmerz vor allem für Pendler zunächst größer werden.
Gewerkschaft fordert höhere Löhne
Nach Aussagen der Bahn besteht jedoch ein Sanierungsstau in Höhe von 50 Milliarden Euro – kein Wunder, dass teils massive Verspätungen oder Zugausfälle jede Bahnreise mittlerweile zu einem Glücksspiel machen. Die Deutsche Bahn hat ihre Fahrgäste im Fernverkehr 2022 so oft warten lassen wie seit mindestens zehn Jahren nicht mehr. Die Pünktlichkeitsquote lag in den zurückliegenden zwölf Monaten bei 65,2 Prozent und damit zehn Prozentpunkte unter dem Vorjahresniveau, wie der Konzern mitteilte. Angestrebt wird für das laufende Jahr eine Pünktlichkeitsquote von 70 Prozent – immer noch weniger als in früheren Jahren.
Um all dies zu bewältigen, braucht der Konzern aber nicht nur viel Geld, sondern auch Personal. Die Bahn will in diesem Jahr daher rund 25.000 Beschäftigte rekrutieren. Schon im vergangenen Jahr startete sie diese Einstellungsoffensive und hat netto, also nach Verrentung oder dem Ausscheiden von Beschäftigten aus dem Konzern, 5.000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt.
Wenige Wochen vor den kommenden Tarifverhandlungen pocht die Gewerkschaft EVG deshalb auf höhere Löhne. „Alle Personaloffensiven werden zum Scheitern verurteilt sein, wenn die Unternehmen nicht endlich angemessene Löhne zahlen“, forderte die Bahngewerkschaft. Die jetzigen Rahmenbedingungen seien für die Einstellung von 25.000 Mitarbeitern nicht geeignet. Die EVG verwies auf die angespannte Personallage aufgrund hoher Krankenstände und einer hohen Fluktuation bei den Beschäftigten. Allein im vergangenen Jahr hätten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deshalb rund 7,1 Millionen Überstunden angehäuft – etwa 400.000 mehr als im Jahr davor. Der Personalvorstand der Deutschen Bahn mahnte an, bei den Gesprächen und Forderungen nicht die Verkehrswende zu vergessen. „Wir müssen sehen, was in dieser Wandelzeit möglich ist. Wir müssen berücksichtigen, dass wir die Zukunftsorientierung des Unternehmens nicht aus den Augen verlieren“, sagte Martin Seiler. Es brauche eine gute Balance zwischen kurzfristiger Anerkennung der Arbeit und dem, was man langfristig leisten könne, „ohne dass wir die Mobilitätswende in irgendeiner Form belasten“. Die Tarifverhandlungen mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG beginnen Ende Februar. Die EVG will am 7. Februar über ihre Lohnforderung entscheiden.
Der Eigentümer der Bahn muss jetzt Konsequenzen ziehen: Das über Jahrzehnte wegen globaler Konzernambitionen vernachlässigte System Schiene zu modernisieren wird eine Mammutaufgabe. Bahnchef Lutz wird sich daran messen lassen müssen, ob er diesen Waggon wieder aufs Gleis setzen kann – und ob der Anstieg seiner Bezüge von 900.000 Euro um zehn Prozent in diesem Jahr gerechtfertigt ist.