Der Speichel ist für die Gesunderhaltung des menschlichen Körpers genauso wichtig wie das Blut und die Tränenflüssigkeit. Prof. Dr. Matthias Hannig vom Uniklinikum Homburg erklärt seine Funktionen und wie das Gleichgewicht in der Mundhöhle gestört werden kann.

In der deutschen Sprache finden sich zuhauf Wendungen, in der ein unterschätzter Körpersaft vorkommt – der Speichel nämlich. Wenn ein Mensch vor Wut schäumt, deutet die Redewendung bereits an, wo der Speichel in dieser Gefühlslage erkennbar ist. „Gerät jemand in eine hochaggressive Haltung und schaltet in den absoluten Abwehrmodus, kann es sein, dass der Speichel überproduziert wird und aus den Mundwinkel tropft“, sagt Prof. Dr. Matthias Hannig, Direktor der Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und präventive Zahnheilkunde am Uniklinikum des Saarlandes. Wenn einem im wahrsten Sinne die Spucke wegbleibt, tritt das genaue Gegenteil ein. „Wenn jemand aufgeregt, wütend oder gestresst ist, kann das mit einem trockenen Mund einhergehen“, sagt Hannig. Obwohl im Alltagssprachgebrauch häufig von der Spucke die Rede ist, und man damit eher den Körpersaft meint, dem man sich entledigt, tun sich Zahnmediziner oft schwer mit diesem Begriff – zumal mit Spucke immer ein Abfallprodukt assoziiert wird. „Der Speichel ist eine essenzielle Flüssigkeit, die genauso wichtig ist wie das Blut und die Tränenflüssigkeit, um den menschlichen Organismus gesund zu erhalten“, stellt Universitätsprofessor Hannig klar.
Abwehr von Erregern
Welchen Stellenwert der Speichel für den menschlichen Organismus einnimmt, verdeutlicht die Vielzahl der Funktionen, die er erfüllt. Zunächst einmal hat er bei der Nahrungsaufnahme die Aufgabe, die Speisen zu verdünnen und uns das Kauen und Schlucken zu erleichtern. Der Speichel übernimmt zudem die Aufgabe, den Mund zu spülen, die Mundhöhle feucht zu halten und dafür zu sorgen, dass wir Geschmack empfinden. Daneben kommt ihm eine wichtige Rolle bei der Mineralisation zu, bei der Mineralstoffe in die Zahnhartsubstanz eingelagert werden. Die gleiche Aufgabe übernimmt er bei dem Vorgang der Remineralisation, wo Mineralien in den Zahnschmelz wieder eingelagert werden.
Mit Abstand seine entscheidende Funktion ist die Abwehr von Krankheitserregern. Dazu muss man die Zusammensetzung des Speichels kennen: Zu 99,4 Prozent besteht er aus Wasser, zu 0,5 Prozent aus löslichen anorganischen und organischen Stoffen und zu 0,1 Prozent aus Bakterien. Etwa 700 verschiedene Bakterien kommen in der Mundhöhle vor. „Bakterien sind in erster Linie nicht schädlich. Im Mund herrscht genauso ein Gleichgewicht zwischen dem Mikrobiom der Mundhöhle wie zwischen dem Mikrobiom des Darmes und dem Wirt“, erläutert Matthias Hannig. Wenn dieser Idealzustand gegeben ist, spricht man von einer Eubiose. Aber wenn die Balance zwischen dem Mikrobiom in der Mundhöhle und dem Wirt „Mensch“ gestört ist, können Krankheiten entstehen. Eine Störung dieses Gleichgewichts kann auftreten, wenn ein Patient über einen längeren Zeitraum hochdosierte Antibiotika einnehmen muss. Nach zwei- bis dreiwöchiger Einnahme eines Antibiotikums wirkt dieses auch auf das Mikrobiom in der Mundhöhle. Doch da das Antibiotikum über die Speicheldrüsen in die Mundhöhle gelangt, könnten auf diese Weise die gegen Krankheitserreger vorhandenen Bakterien im Speichel abgetötet werden. „Dadurch wird die Balance zwischen dem Wirt und dem Mikrobiom nachhaltig gestört“, bringt es Hannig auf den Punkt. Die Dysbiose, so der Fachterminus, hat zur Folge, dass einzelne Mikroorganismen in der Mundhöhle, wie zum Beispiel Pilze, sich ungehindert ausbreiten können. „Manchmal beobachten wir bei Patienten Pilzrasen, die die Schleimhäute bedecken und zu ganz ernsthaften Komplikationen führen können“, sagt Matthias Hannig. Das Phänomen der Dysbiose in der Mundhöhle ist vor allem aber verantwortlich für die Entstehung der beiden häufigsten zahnmedizinisch relevanten Erkrankungen: Karies und Parodontitis.
700 Milliliter Speichel am Tag
Zurück zu dem, was der Speichel zu bewirken vermag: Ist also die viel beschriebene antibakterielle Wirkung eine Mär? Auf diese Frage antwortet Prof. Matthias Hannig mit einem klaren Nein. Eine ganze Reihe von antibakteriell wirksamen Bestandteilen im Speichel sind im Stande gegen Bakterien zu wirken. Zwei Formen der Abwehr unterscheidet man dabei. Zur angeborenen Abwehr, die ab der Geburt eines Säuglings einsetzt, zählt beispielsweise das Enzym Lysozym. Letzteres findet man auch in der Tränenflüssigkeit. „Lysozym ist der Abwehrfaktor im Speichel, was die angeborene Abwehr betrifft“, sagt der Zahnmediziner. Im Laufe der ersten Lebensjahre entwickelt der heranwachsende Mensch die erworbene Abwehr heraus. Hier kommen die Antikörper ins Spiel, die gezielt gegen krankhafte Erreger wirken. „Immunglobolin A kann die unerwünschten Bakterien, die in die Mundhöhle gelangen, angreifen und eliminieren“, betont Hannig. Für Hunde, Katzen und Pferde beispielsweise hat der Speichel eine elementare Funktion nach einer Verletzung. „Man weiß von Tieren, dass sie ihre Wunden lecken“, erklärt der Mediziner. Falls die Wunde mit Sand verunreinigt ist, könne das Tier sie durch Einspeichelung säubern. Neben der Spülfunktion des Speichels machen sich Tiere auch dessen Abwehrfunktion gegen Krankheitserreger zunutze.
Im Allgemeinen wird immer nur so viel Speichel aus den Speicheldrüsen in die Mundhöhle abgegeben, wie wir brauchen. Mediziner sprechen in diesem Zusammenhang vom sezernierten Speichel. Wenn Patienten darüber berichten, dass sie ständig einen trockenen Mund haben, kann man zunächst die Schleimhäute untersuchen und überprüfen, ob diese von einem sichtbaren Speichelfilm überzogen sind. Überdies gebe es ein gängiges Verfahren, um die Speichelfließrate innerhalb von fünf Minuten zu messen. Die Patienten müssen dafür in ein Röhrchen hineinspeicheln. „Wenn wir nach ein paar Minuten einige Milliliter Speichel im Gefäß haben, bewegt sich der Patient im grünen Bereich. Wenn allerdings nach fünf Minuten gerade mal der Boden bedeckt ist, sprechen wir von einem reduzierten Speichelfluss.“ Unterm Strich lässt sich festhalten: Einen gesunden Speichel kennzeichnet, wenn er über die oben aufgezählten Bestandteile und die intakten Abwehrfunktionen verfügt.
Grundsätzlich wird in den drei großen Speicheldrüsen am Tage mehr Speichel als in der Nacht produziert. Über den Tag fließen etwa 700 Milliliter Speichel, davon 400 Milliliter während des Wachzustands ohne Stimulation und 300 Milliliter zum Beispiel während der Einnahme der Mahlzeiten. Während unseres Schlafs ist der Speichelfluss allerdings am geringsten. „Wenn wir unter normalen Bedingungen schlafen, ist es gar nicht notwendig, dass Speichel gebildet wird“, sagt der Speichelexperte. Da wir nachts in der Regel nichts essen, wird die Speichelzufuhr zurückgefahren. Andernfalls müssten wir im Schlaf ständig schlucken. Gerade das süße Betthupferl, das manch einer vor dem Einschlafen genießt, kann für die Zahngesundheit verhängnisvoll sein. Denn: Über Nacht fließt im Mund kaum Speichel und somit funktioniert auch seine Abwehr nicht. „Das kann für Bakterien, die darauf spezialisiert sind Säure aus Zucker zu produzieren, ein wunderbares Nahrungsreservoir sein und zur Kariesentstehung beitragen“, bringt es Hannig auf den Punkt.
Biomarker festgestellt, Studien fehlen

Dass eines Tages anhand des Speichels bestimmte Krankheiten diagnostiziert werden können, ist indes noch Zukunftsmusik. Auch das Uniklinikum forscht auf diesem Feld seit vielen Jahren, wie Prof. Matthias Hannig schildert. Das erklärte Ziel einer Arbeitsgruppe unter der Leitung des Universitätsprofessors, ist entsprechende Biomarker im Speichel nachzuweisen, mithilfe derer sich Rückschlüsse auf Karies und Parodontitis ziehen lassen. „Da bahnt sich an, dass da Musik drinsteckt“, ist Hannig überzeugt. In den kommenden Jahren stehe zu erwarten, dass dazu ein Essay veröffentlicht und ein Testverfahren für die zahnärztliche Praxis entwickelt werde. „Der Speichel wird auch seit Jahren dahingehend untersucht, ob er nicht möglicherweise Biomarker enthält, die zur Diagnostik und zur Bewertung des Erkrankungsverlaufs weit jenseits der Mundhöhle genutzt werden können“, berichtet Hannig. Dazu gehören beispielsweise neurodegenerative und kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, Krebs und virologische Erkrankungen wie HIV. Die Ergebnisse der bisher vorliegenden Studien sind aber insgesamt eher ernüchternd. Zwar wurden potenzielle Biomarker im Speichel festgestellt, doch es fehlten klinische Studien mit 100, 200 oder gar 1.000 Probanden, wie Hannig kritisiert.