Kreuzworträtsel könnten laut einer neuen Studie bei älteren Menschen mit einer leichten kognitiven Beeinträchtigung ein wirksames therapeutisches Hilfsmittel sein. Sie sollen beim Gedächtnistraining helfen und sogar zur Vorbeugung einer Demenz dienen.
Jedem dürfte der sprichwörtliche Allgemeinplatz „Wer rastet, der rostet“ geläufig sein, spätestens seit er in einer volkstümlichen Weisheiten-Sammlung aus dem Jahr 1837 publiziert worden war. Eigentlich ist der Spruch selbsterklärend und beinhaltet die Aufforderung zu körperlicher und geistiger Aktivität, weil ein Mangel daran negative Auswirkungen auf Gesundheit oder mentale Leistungsfähigkeit des Menschen haben kann. Dass ein ständiges Training des Gehirns helfen kann, einem kognitiven Abbau im Verlauf des Alterungsprozesses vorzubeugen, wird allgemein als gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis angesehen. Womit sich der Einzelne bei seinem Gehirnjogging geistig fit halten möchte, ist natürlich eine ganz individuelle Entscheidung. Das Lesen von Büchern oder Zeitungen kann dabei ebenso sinnvoll sein wie das Betreiben anspruchsvollerer Brettspiele wie Schach oder Dame. Oder eben auch die durchaus nützliche Vorliebe für die Lösung von Kreuzworträtseln, einem der am weitesten verbreiteten Denkaufgaben-Klassiker.
Bei älteren Erwachsenen kann schon eine leichte kognitive Beeinträchtigung, die im wissenschaftlichen Fachjargon häufig mit dem englischen Fachbegriff „Mild Cognitive Impairment“ (MCI) bezeichnet wird, über die harmlose und durchaus normale Altersvergesslichkeit hinaus zu einem erhöhten Risiko für die Ausbildung oder das Fortschreiten von Demenz-Krankheiten führen. Vor allem für das Entstehen von Alzheimer, der mit Abstand häufigsten Unterart aller verschiedenen Demenz-Krankheiten, einer neurodegenerativen Erkrankung, bei der sich die Gehirnzellen durch Ablagerungen sogenannter Plaques langsam und stetig abbauen. Das kann letztendlich zu einer Störung von Gedächtnis, Sprachvermögen und Orientierung sowie einer Beeinträchtigung des logischen Denkens führen. Eine schon 2006 veröffentlichte Meta-Analyse war nach Auswertung von 22 früheren Studien zu der Erkenntnis gelangt, dass kontinuierlich komplexe geistige Aktivitäten, wozu auch das Lösen von Kreuzworträtseln gezählt wird, das Gesamtrisiko zur Ausbildung von Demenz während eines Beobachtungszeitraums von sieben Jahren um 46 Prozent reduzieren konnte. Zusätzlich wurde in den letzten Jahren immer häufiger ein computergestütztes kognitives Training, „Computerised Cognitive Training“ (CCT), als sinnvolle vorbeugende Maßnahme gegen Demenz bei Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung gehandelt. Eine Anfang 2019 in der „Cochrane Library“ veröffentlichte Review nach Auswertung von acht früheren Studien konnte allerdings keine verlässlichen Beweise dafür erbringen, dass die Teilnahme an CCT-Programmen tatsächlich wirksam Demenz vorbeugen kann.
Eine Studie über 78 Wochen
Das war der Hintergrund für eine neue, Ende Oktober 2022 im Fachmagazin „The New England Journal of Medicine“ publizierte Studie. Bei dieser wurde eine etwaige Verlangsamung des geistigen Verfalls bei Menschen mit leichtem MCI durch Kreuzworträtsel-Training in direktem Vergleich mit einem speziellen CCT-Trainingsprogramm überprüft. Finanziert wurde die Untersuchung durch das US-amerikanische „National Institute on Aging“, beteiligt waren Wissenschaftler der Columbia University in New York unter Federführung von Prof. Davangere P. Devanand und des Duke University Medical Centers in Durham/North Carolina unter der Leitung von Prof. P. Murali Doraiswamy.
Die Forscher waren nach eigenem Bekunden vor Studienbeginn in ihrer Hypothese davon ausgegangen, dass das CCT-Training dem Lösen von Kreuzworträtseln als Hilfsmittel zur Erhaltung der kognitiven Fähigkeiten oder zumindest zur Verlangsamung des geistigen Verfalls bei Menschen mit MCI klar überlegen sein würde. Daher war das Ergebnis der Studie für sie selbst eine große Überraschung.
An der Studie hatten 107 Erwachsene im Alter zwischen 55 und 95 Jahren teilgenommen, die unter leichter kognitiver Beeinträchtigung gelitten hatten, der Altersdurchschnitt der Probanden lag bei 71 Jahren. Die Teilnehmenden, die allesamt zum Online-Zugriff auf die Studien-Webseite einen Home-PC besitzen mussten, wurden an beiden Untersuchungsstandorten in zwei Gruppen unterteilt. Eine Gruppe musste sich mit digitalem Kreuzworträtsel-Training beschäftigen, die andere Gruppe mit kognitiven Computer-Videospielen, beide Module wurden kostenlos von Lumos Labs, einem US-Spezialisten für Gehirntrainingsprogramme, zur Verfügung gestellt. Die Studiendauer belief sich über insgesamt 78 Wochen.

In einer ersten intensiven Phase über zwölf Wochen musste die eine Probandengruppe viermal wöchentlich ein digitales Kreuzworträtsel lösen, die Kontrollgruppe ihr Gehirn auf einer speziellen Online-Plattform für kognitives Training namens „Lumosity“ trainieren, wobei beide Aktivitäten jeweils einen Zeitaufwand von 30 Minuten erfordert hatten. Nach Ablauf dieser ersten Studienphase bis zum Ende der Untersuchung mussten die Probanden zur Auffrischung noch sechs weitere Male entweder ein Kreuzworträtsel lösen oder auf der CCT-Plattform trainieren.
Um etwaige Veränderungen der kognitiven Fähigkeiten der Teilnehmer im Verlauf des Studienprogramms feststellen zu können, wurde ein spezielles Mess-Programm namens ADAS-Cog verwendet, das mithilfe einer 70-Punkte-Skala Auskunft darüber geben kann, wie stark eine Person kognitiv beeinträchtigt ist. Ein Ansteigen der Werte beispielsweise wäre ein Nachweis für ein Fortschreiten der kognitiven Beeinträchtigung während des Studienzeitraums gewesen. Zusätzlich wurden körperliche Untersuchungen der Probanden durchgeführt, um beispielsweise mithilfe von MRT Veränderungen im Volumen des Hippocampus feststellen zu können, der Hirnregion, die besonders für das Gedächtnis und das Lernen zuständig ist. „Dies ist die erste Studie, die sowohl kurzfristige als auch längerfristige Vorteile für das häusliche Kreuzworträtsel-Training im Vergleich zu einer anderen Intervention dokumentiert“, so Prof. Devanand. „Die Ergebnisse sind wichtig angesichts der Schwierigkeit, Verbesserungen mit Interventionen bei leichter kognitiver Beeinträchtigung zu zeigen.“ Sein Kollege Prof. Doraiswamy formulierte das überraschende Ergebnis der Studie noch prägnanter: „Unsere Studie zeigt ziemlich schlüssig, dass Kreuzworträtsel bei Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung die computergestützten Spiele in mehreren Metriken schlagen.“
Weitere Studien vonnöten
Über den gesamten Studienzeitraum verschlechterte sich der ADAS-Cog-Wert der Gamer um durchschnittlich 0,4 Punkte, während sich dieser Wert bei den Kreuzworträtsel-Probanden um nahezu einen Punkt verbessert hatte. Das Auseinanderklaffen der Schere zwischen den beiden Hilfsmitteln wurde dabei umso größer, je weiter sich das Stadium des geistigen Abbaus entwickelt hatte. Sprich: Bei einem Voranschreiten der MCI Richtung Demenz waren Kreuzworträtsel im Vergleich zu geistigen PC-Trainingsspielen noch eine weitaus deutlichere Degenerationsbremse, während in einem früheren MCI-Stadium beide Methoden noch annähernd gleich wirksam gewesen waren. Auch die Schrumpfung des Gehirns war bei der Kreuzworträtsel-Gruppe nach 78 Wochen deutlich geringer als bei den Gamern. „Die Vorteile wurden nicht nur in der Kognition, sondern auch in den täglichen Aktivitäten mit Anzeichen einer Gehirnschrumpfung im MRT gesehen, die darauf hinweisen, dass die Auswirkungen klinisch bedeutsam sind“, so Prof. Devanand. „Den Dreier aus Kognition, Funktion und Neuroprotektion zu verbessern, ist der Heilige Gral auf diesem Forschungsfeld“, so Prof. Doraiswamy. „Weitere Arbeiten zur Skalierung des Gehirntrainings als digitales Therapeutikum für zu Hause zur Verzögerung von Alzheimer sollte eine Priorität für das Forschungsfeld sein.“
Auf jeden Fall müssten laut dem Forscherteam noch Studien mit einer größeren Probandenzahl durchgeführt werden und auch noch Kontrollgruppen über Kreuzworträtsel und CCT hinaus mit aufgenommen werden. „Wenn diese Effekte in zukünftigen Studien wiederholt und erweitert werden könnten, könnte das Kreuzworträtsel-Training zu einem skalierbaren häuslichen Instrument zur Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten werden“, so Prof. Devanand. Auch wenn nach wie vor unklar ist, warum das Lösen von Kreuzworträtseln für Probanden mit MCI offenbar die geeignetere Lösung ist. Eine mögliche Erklärung dafür könnte laut den Forschenden sein, dass viele ältere Personen mit Kreuzworträtseln ganz einfach vertrauter sind als im Umgang mit Computer-Plattformen. Allerdings warnte die Neuropsychologin Prof. Sylvie Belleville von der Universität von Montreal mit Blick auf die aktuelle Studie vor einer alleinigen Konzentration auf Kreuzworträtsel als vorbeugende Maßnahme gegen den geistigen Abbau: „Wenn Sie sehr gut in Kreuzworträtseln sind und immer nur das tun, befinden Sie sich immer noch in Ihrer Komfortzone und übernehmen keine neue Strategien, keine neuen Gehirnnetzwerke.“
Übrigens: Wer an sich selbst erste Anzeichen für ein Nachlassen seiner kognitiven Fähigkeiten feststellen sollte, kann sich bei seinem Arzt einem sogenannten Mini-Mental-Status-Test unterziehen. Der Test kann schnell Auskunft darüber geben, ob es sich dabei nur um eine ganz normale Altersvergesslichkeit handelt oder ob womöglich etwas Ernsteres wie eine Demenz-Vorstufe dahintersteckt. Schließlich leiden in Deutschland etwa 1,7 Millionen Menschen an Demenz, die meisten davon an Alzheimer.
Ein großer Hoffnungsschimmer könnte für Betroffene eine bereits im Frühjahr 2022 veröffentlichte Studie einer Forschergruppe der in Atlanta ansässigen Emory University School of Medicine werden. Den Wissenschaftlern war es bei Laborversuchen mit Mäusen gelungen, durch Blockierung des für die sexuelle Funktion wichtigen Hormons FSH, das sowohl für den Menstruationszyklus als auch für die Spermienproduktion elementare Bedeutung hat, sowohl die im Gehirn der Tiere bereits vorhandenen Plaques-Ablagerungen als auch die nachweisbaren Alzheimer-Symptome zu beseitigen. Das könnte wiederum darauf hindeuten, dass es einen Zusammenhang zwischen dem FSH-Spiegel im Blut und der Erkrankung an Alzheimer geben könnte.