Hannover 96 hat sich sportlich über die Hinrunde hinweg rehabilitiert, neben dem Platz ist es jedoch weiterhin unruhig. Dem Verein droht eventuell sogar der Lizenzentzug. Das ist bei Weitem nicht das erste Problem, sondern eine jahrelange Farce. FORUM beleuchtet die Hintergründe.
Hannover 96 und Martin Kind – das ist schon seit Jahren eine eher unruhige Posse. Sie gipfelte vor Gericht. Mit einem Sieg für Martin Kind. So geschehen im vergangenen Jahr in Hannover, wo der Geschäftsführer der Profifußballer von Hannover 96 vor dem Landgericht einen kleinen Erfolg erringen konnte: Martin Kind darf sein Amt nun doch weiter ausüben, obwohl ihm Anfang August noch mit großem Knall gekündigt worden war. Diese Kündigung sei vorschnell und unrechtmäßig erfolgt, urteilten die Richter, weil unter anderem die Zustimmung des maßgeblich entscheidenden Aufsichtsratsgremiums gefehlt habe. In einem Hauptsache-Verfahren soll die Angelegenheit endgültig geklärt werden; wann dieses eröffnet wird, ist jedoch unklar. Kind auf der einen Seite, der Mutterverein von Hannover 96 auf der anderen – so geht das schon seit Jahren, nun eben offiziell vor Gericht. Kind weiß, dass ihn der Vorstand um den Vorsitzenden Sebastian Kramer dringend loswerden möchte. Als Geschäftsführer werden Kind Weisungsverstöße vorgeworfen. Er hätte Fördergelder verspätet überwiesen und bei Großausgaben, etwa bei der Ablöse für den neuen Trainer Stefan Leitl, nicht zuvor den Aufsichtsrat kontaktiert. Kind bestreitet dies. Sein Glück ist es, dass er in den vergangenen Jahrzehnten bei 96 fast ohne Gegenwind schalten und walten konnte. Der vermögende Hörgeräte-Unternehmer hatte zeitweise die komplette Macht im Verein an sich gerissen; hätte ihn in dieser Zeit jemand entlassen können, dann nur Martin Kind selbst.
Und auch jetzt, da die Opposition im Hauptverein erstarkt ist und unter anderem das Präsidentenamt übernommen hat, ist seine Macht noch groß. Denn die Strukturen im Verein sind reichlich kompliziert. So ist Kind nicht nur Geschäftsführer der Profifußballer, sondern auch Mehrheitsgesellschafter der mächtigen Sales & Service GmbH & Co. KG, der die Profifußball-KGaA zu 100 Prozent gehört. Ohne Kind und seine befreundeten Geschäftspartner, zu denen der Drogerie-Großunternehmer Dirk Roßmann zählt, geht bei den Niedersachsen also nichts. Der Aufsichtsrat der Management GmbH, der Kind abberufen könnte, ist zudem paritätisch besetzt – zwei Aufsichtsräte stehen auf Kinds Seite, zwei auf der des Vereinsvorstands. Es sei „auch für Juristen eine spannende Frage, wie das Ganze hier ausgeht und keinesfalls eindeutig“, sagte Richter Carsten Peter Schulze. Möglicherweise steht am Ende des Hauptsache-Verfahrens tatsächlich die Ablösung Kinds. Und dann? Wird alles noch vertrackter. Dann stünde Kind, immer noch Hauptgeldgeber, in direktem Konflikt mit einem neuen 96-Geschäftsführer. Dieser dürfte, da ihn satzungsgemäß der Verein beruft, ein Freund der 50+1-Regel sein, die den Einfluss von Investoren grundsätzlich begrenzt. Martin Kind ist bekanntlich deren schärfster Gegner im deutschen Profifußball. Als im vergangenen Jahr in der Stadt der Name Andreas Rettig als Kandidat für den Geschäftsführerposten kolportiert wurde, ließ Kind prompt seine Ablehnung mitteilen. Gibt Kind sein Geld in Zukunft nur noch, wenn ihm die Entscheidungen der neuen Geschäftsführung genehm sind? Oder zieht er sich komplett aus dem Verein zurück, den er 1997 vor dem Ruin gerettet und zwischenzeitlich bis in den Europapokal geführt hat? In diesem Fall, da sind sich die Beobachter einig, müsste der Zweitligist dann augenblicklich um seine Lizenz fürchten, wird nicht ein anderer, ebenso solventer Geldgeber präsentiert.
Ohne Kind und seine Kumpels geht gar nichts
Mittlerweile könnte es für Hannover jedoch auch um die Lizenz gehen – und zwar nicht, weil Martin Kind kein Geld mehr in den Verein pumpt – sondern weil er eigenständig eine Personalentscheidung getroffen zu haben scheint. Um die Weihnachtszeit vermeldete Hannover 96, dass der Vertrag mit Sportchef Marcus Mann bis 2027 verlängert wurde. So weit, so gut. Daraufhin schrieb „Bild“, dass Geschäftsführer Martin Kind die Vertragsverlängerung allein durchgezogen habe. Die nötige Zustimmung des e.V.-Vorstands hatte sich der 78-Jährige nicht eingeholt und damit gegen die 50+1-Regel bei den Niedersachsen verstoßen. Die DFL beobachtet den Club ohnehin schon sehr genau und hat somit einen weiteren Grund, über den Lizenz-Entzug nachzudenken. Seit Sommer 2021 ist Marcus Mann bei den Roten zuständig und hat den Verein nun unverschuldet und unwissentlich arg in Bedrängnis gebracht. Denn sollte die Meldung der „Bild“ stimmen, dass Kind den Vertrag des 38-Jährigen im Alleingang durchgeführt hat, droht den 96ern großer Ärger. Seit Anfang Juni 2021 gilt die Weisung an Kind, dass diese Art von Vertragsabschluss abgesegnet werden muss, wenn ein Jahresgehalt von 100.000 Euro überstiegen wird. Eine Ausnahme gibt es nur bei Spieler-Verträgen. Damit hat Kind gegen die 50+1-Regel verstoßen. Der stellvertretende e.V.-Vorsitzende Robin Krakau bestätigte dies auf Nachfrage der Zeitung: „Die Zustimmung gemäß der Weisung wurde nicht eingeholt.“ Das Vorgehen Kinds verwundert, hätte es vom Vereins-Vorstand wohl ohnehin grünes Licht für die Verlängerung mit Mann gegeben. Doch darauf hatte der Unternehmer scheinbar trotzdem keine Lust. Dieser ließ ausrichten, dass man „mit Blick auf das laufende Verfahren bis zur endgültigen Rechtsklärung keine Stellungnahme abgeben“ werde, schreibt die „Bild“. Der mächtige Mann bat „um Verständnis“. Spannend wird nun, was die DFL aus diesem Sachverhalt macht. Denn diese betonte im August, „dass das uneingeschränkte Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung der H96 Management GmbH (der e.V.-Vorstand, Anm. d. Red.) gegenüber der Geschäftsführung (Kind, Anm. d. Red.) eine wesentliche Voraussetzung dafür ist“, dass die Strukturen der 96er „als noch mit der 50+1-Regel vereinbar angesehen“ werden. Sollte der e.V.-Vorstand dieses Recht nicht effektiv durchsetzen können, werde die DFL die 96-Verträge überprüfen und eventuell Änderungen einfordern. Nachdem es zuletzt schon einen monatelangen Streit zwischen Kind und Verein gab, zeigt die Causa Mann erneut, dass die 50+1-Regel in Hannover arg in Gefahr ist.
Unsägliche Posse um Zuber
Und wären all diese Umstände nicht schon chaotisch genug, steht Hannover 96 nun mit zwei Sportchefs da. Denn der ehemalige Sportliche Leiter Gerry Zuber hat vor Gericht gewonnen. Seine Freistellung ist unwirksam, und er muss bis Sommer weiterbeschäftigt werden. Nun stehen er und sein Nachfolger Marcus Mann unter Vertrag. Zudem muss 96 den 47-Jährigen auch finanziell entschädigen. „Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum 30. Juni 2023 als Sportdirektor der Lizenzspieler-Mannschaft zu beschäftigen. Die Freistellung ist unwirksam“, wird Richterin Christin Kloy vom Arbeitsgericht Hannover von der „Bild“ zitiert. Damit ist Gerry Zuber wieder Sportchef bei Hannover 96. Der 47-Jährige hatte gegen seine Freistellung vom Juni 2021 geklagt und gewonnen. Zuber könnte das Urteil „vollstrecken“. Heißt, er würde wieder in den Geschäftsräumen am Schreibtisch sitzen. „Hannover muss Herrn Zuber beschäftigen – wenn er das möchte“, so Kloy. Dann wäre Marcus Mann, dessen Vertrag bis 2027 läuft, zumindest teilentmachtet, ist er schließlich der Nachfolger Zubers. Und nun ist sein Vorgänger wieder im Amt. Außerdem bekommt Zuber insgesamt 68.894 Euro nachträglich ausgezahlt. Diese Summe ergibt sich unter anderem durch zurückgehaltene Prämien. Noch nicht entschieden hat das Gericht bezüglich einbehaltener Corona-Kürzungen des Vereins. Das sind insgesamt 31.802 Euro, heißt es. Für diesen Sachverhalt wird eine mündliche Verhandlung angesetzt, deren Termin noch nicht feststeht. Dann müsste auch Geschäftsführer Martin Kind vor Gericht erscheinen. „Wenn er sich weigert, würde das entsprechend bewertet werden“, so Kloy.
Klagen über Klagen, Streitereien in der Führungsebene sowie zwei Sportchefs. In Hannover herrscht seit Jahren mächtige Unruhe, die nun zu gipfeln scheint. Einzig sportlich scheint es zumindest bergauf zu gehen – bis jetzt. Doch das nächste Kapitel der Posse kommt bestimmt.