Im Katastrophenfall funktionieren Warn-Apps auf dem Smartphone leider nur mangelhaft, und die Netze brechen oft als Erstes zusammen. Ein Warnkanal im DAB+-Rundfunk soll Abhilfe schaffen, gemeinsam mit der Cell-Broadcast-Funktion der Mobilfunknetze, die hierfür vor 30 Jahren geschaffen wurde.

In Deutschland sind wir, was Naturkatastrophen betrifft, gegenüber anderen Ländern bislang vergleichsweise gut weggekommen. Im vorigen Jahrhundert gab es die Hamburger Sturmflut von 1962 und die Schneemassen des Winters 1978/1979, die im Norden Deutschlands nicht nur die Straßen blockierten, sondern auch Strommasten umknicken ließen.
Dass solche Katastrophen in Deutschland bislang selten sind und wir weder von Hurrikanen noch Tsunamis heimgesucht werden, ist keine Garantie dafür, dass es in der Zukunft ebenso glimpflich abläuft. Die Flutkatastrophe im Ahrtal, verursacht durch unvernünftigen Landschafts- und Hausbau in Kombination mit einer zukünftig häufiger möglichen Extremwetterlage zeigt, dass wir auch in Deutschland ein Alarmsystem benötigen, wie es in den USA bereits seit den 1950er-Jahren existiert; neben militärischen Angriffen und Naturkatastrophen drohen auch solche technischer Natur wie Chemie- oder Atomunfälle.
Trotz moderner Technik hat Deutschland aktuell kein zuverlässig funktionierendes Katastrophen-Warnsystem. Ein Radio muss erst eigens eingeschaltet werden und hilft bei nachts im Schlaf aufziehenden Gefahrenlagen alleine nicht. Die Luftschutzsirenen hatten neben der Warnung vor einem Luftangriff und der Alarmierung der Feuerwehr, die inzwischen andere, stille Alarme über Funkrufempfänger nutzen kann, die Funktion, die Bevölkerung aus dem Schlaf zu holen, damit diese für genauere Informationen das Radio einschaltet. Doch sie wurden in vielen Orten nach dem Ende des Kalten Kriegs abgebaut.
Vielerorts sind Sirenen abgebaut
Nina und Kat-Warn sind Apps, die auf Smartphones Katastrophenalarm auslösen sollen. Bei Tests klappte dies aber oft erst nach Stunden, denn die Daten werden im Alarmfall über das Mobilfunknetz an jedes Smartphone einzeln versandt und eine Rückmeldung abgewartet. Bei Millionen Mobiltelefonen, teils ohne LTE-Empfang mit langsamer Datenverbindung, dauert das. Bis dahin hat die Flut wie im Ahrtal, wo zudem noch zu spät alarmiert wurde, längst die Infrastruktur weggespült. Hier helfen nur Broadcast-Technologien ähnlich der klassischen Radiowarnung – aber automatisiert.
EWF, vom Fraunhofer-Institut entwickelt, steht für „Emergency Warning Functionality“. Es kann DAB+-Radios aus dem Standby ein- und auf einen Warnkanal umschalten, der dann eine kurze Sprachmeldung wiedergibt. Zudem kann für Fremdsprachige und Hörbehinderte eine Textmeldung angezeigt werden. Allerdings können bislang nur zwei DAB+-Radios des Unternehmens Telestar, die Modelle Dira M 1 A und M 1 A mobil, letzteres mit Akku auch bei Stromausfall, EWF tatsächlich wie beschrieben empfangen und verarbeiten. Alle anderen heutigen DAB+-Radios müssen manuell auf den Warnkanal geschaltet werden und können dann auch nur die Sprachmeldung wiedergeben, nicht die Textmeldungen. Wenn die zunächst einfachere (Wieder-)Einführung von Cell Broadcast abgeschlossen ist, soll EWF vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz jedoch stärker vorangebracht werden.
Cell Broadcast, eine Rundsendung an alle Handys, die gerade in einer Funkzelle eingebucht sind, kam mit den D-Netzen – die ersten Handys der 90er-Jahre beherrschten es bereits. Technisch ähnelt der SMS-CB genannte Standard dem normalen Short Message Service namens SMS-MT, MT steht für „mobile terminated“, also Kurznachrichten vom Netz an ein Mobilgerät. Bei SMS-CB wird aber kein einzelnes Telefon adressiert, sondern pauschal alle Telefone, die in einer Funkzelle eingebucht sind. Außerdem wird keine Empfangsbestätigung verlangt.
News mehrfach verschickt
Auf diese Weise können Hunderte, ja Tausende Telefone in einer Funkzelle auf einen Schlag erreicht werden und es kommt zu keinen Verzögerungen, die sich beim Versenden von normalen SMS in stark frequentierten Funkzellen bei Großveranstaltungen oder bei starker Auslastung wie bei den Gruß-SMS zum Jahreswechsel zu Stunden summieren. Auch überlastete Basisstationen, in denen keine Gesprächs- oder Datenverbindungen mehr aufgebaut werden können, können SMS-CB noch versenden. Es ist auch wie beim Notruf möglich, Telefone zu erreichen, die aktuell eigentlich „kein Netz“ haben, weil sie nur von Basisstationen erreicht werden, die nicht zu ihrem Netzanbieter gehören.
Dass die Warnung nicht an Endgeräte oder registrierte Accounts adressiert ist wie bei SMS-MT und den Warn-Apps, sondern anonym an eine bestimmte Funkzelle, ist ganz abgesehen vom Datenschutz auch praktisch ein großer Vorteil: So werden automatisch alle Nutzer erreicht, die sich aktuell in einem bestimmten Bereich aufhalten – egal, ob das ihr normaler Wohnort ist oder nicht. Man muss sich nicht vorab für Warnungen in diesem Bereich anmelden. Zudem lassen sich Warnungen so bei Bedarf auch sehr lokal eingrenzen – ein Brand in einer Fabrik muss ja nicht das halbe Land alarmieren.
SMS-CB-Nachrichten haben nur 82 Zeichen, sind also nur halb so lang wie normale SMS mit 160 Zeichen, doch können bis zu 15 Nachrichten aneinandergehängt werden. Spätestens bei 1.395 Zeichen ist aber Schluss. Das ist auch sinnvoll, eilige Warnungen müssen ja auch schnell gelesen werden können. Damit die Warnung nicht verloren geht, wenn das Telefon gerade keinen Empfang hat, wird sie bis zu fünfmal innerhalb von zwei Minuten verschickt und bei Mehrfachempfang trotzdem nur einmal angezeigt. Ist das Telefon ausgeschaltet, so kann die Meldung beim Einschalten nicht nachgereicht werden, da sie nicht wie normale SMS im Netz gespeichert wird. Man sollte das Mobiltelefon also nachts zwar nicht im Schlafzimmer haben, aber eingeschaltet lassen. Der Cell-Broadcast-Empfang wirkt sich wegen der minimalen Datenmenge auch nicht auf die Batterielaufzeit aus. Den normalen Datenverkehr kann man abschalten, wenn dieser in Bezug auf die Akkulaufzeit ein Problem darstellen sollte.
Weil die Netzbetreiber beim einzelnen Kunden für Cell Broadcast nichts abrechnen können, wurde es nicht favorisiert und um das Jahr 2000 gar in den deutschen Netzen abgeschaltet und durch die Nina-App ersetzt. Eine schicke, grafisch ausführliche Darstellung der Warnungen hielt man offenbar für wichtiger und die dafür höhere und auch abrechenbare Datenmenge versprach den Netzbetreibern mehr Verdienst. Es ist daher nicht klar, ob alle heutigen Basisstationen und aktuellen Telefone SMS-CB noch beziehungsweise wieder ausreichend unterstützen. Cell Broadcast verursacht aber keine großen Zusatzkosten beim Netzbetreiber. Die Meldungen „Sie nutzen nun das Netz von …“, die man vom Roaming im Ausland kennt, beruhen übrigens auch auf SMS-CB. Warnmeldungen höchster Warnstufe sollen sich nicht abschalten lassen und automatisch auch einen akustischen Alarm auslösen. Aktuelle Smartphones haben SMS-CB oft ab Werk aktiv, allerdings in der für die deutschen Notfall-Warnungen erforderlichen Varianten erst ab Android-Version 11 oder 12. Gegebenenfalls muss man noch SMS-CB aktivieren, ein Software-Update des Smartphone-Betriebssystems installieren oder die SIM-Karte austauschen. Bei iPhones finden sich die Einstellungen zum SMS-CB-Empfang unter „Einstellungen“ / „Mitteilungen“, bei Android-Geräten meist in der SMS-App mit einem Namen wie „Textnachrichten“ oder Messages“ unter „Weitere Einstellungen“.
Standard gibt es seit 30 Jahren
Es ist keine extra Warn-App zu installieren. Vorsicht ist bei alternativen SMS-Apps von Drittanbietern geboten: Diese sind oft betrügerisch und eventuell beherrschen sie auch SMS-CB nicht. In den Niederlanden ist SMS-CB seit 2012 aktiv für Notfallwarnungen in Gebrauch, bei einem Test im Juni 2020 wurden mehr als 90 Prozent der Bevölkerung erreicht. Andere EU-Länder haben in den vergangenen Jahren nachgezogen, aktuell nutzen es auch Italien und Großbritannien – und auch die USA, Kanada und Russland.

Am 8. Dezember 2022 war ein erster SMS-CB-Test in Deutschland angesetzt – wer diese Warnung empfing, hat also ein dafür geeignetes und richtig konfiguriertes Mobiltelefon. Ab Februar dieses Jahres soll SMS-CB in Deutschland sicher verfügbar sein. Da heute die meisten Leute unterwegs ein Telefon mit sich herumtragen, werden diese mit Cell Broadcast tagsüber zuverlässig erreicht, ohne dass sie sich registrieren und eine App installieren müssen. Es ist hierzu nicht einmal ein Smartphone notwendig, ein einfaches „Nur-Telefon“ genügt. Lediglich nachts und in Funklöchern kommt keine Warnung an. Zudem ist SMS-CB schnell flächen- und gerätedeckend umsetzbar und seit mehr als 30 Jahren ein genau für diesen Zweck eingeplanter GSM-Standard.
Am Bett für nächtliche Alarmmeldungen oder im Auto ist EWF über DAB+ eine sinnvolle Alternative, da man vernünftigerweise (Störfaktor!) kein Mobiltelefon am Bett haben sollte, doch dort meist ein Radiowecker steht. Ebenso lenkt das Mobiltelefon im Auto ab, doch ist auch hier ein Radio verbaut. Warn-Apps wie Nina und Kat-Warn sind für zeitkritische Alarmmeldungen weniger geeignet. Als Informationskanal mit ausführlicheren Detailinformationen zur aktuellen Notlage oder allgemeinen Ratschlägen können sie trotzdem nützlich sein.