Linus Straßer gilt als eine von wenigen deutschen Medaillenhoffnungen bei der Ski-WM in Frankreich. Beim Slalomfahrer haben sich die Perspektiven nach der Geburt seines Kindes etwas verschoben, doch langsamer ist er seitdem nicht geworden. Im Gegenteil.
So glänzende Augen kann kein sportlicher Sieg auslösen. Das Bild, das Linus Straßer Mitte Dezember auf Instagram postete, zeigt ihn im glückseligsten Zustand überhaupt: als frisch gebackener Papa. Im Arm hält er die gesunde Tochter. Und auch wenn es kitschig klingt: Die Geburt seines ersten Kindes hat beim alpinen Skirennfahrer ganz offensichtlich neue Kräfte freigesetzt. Der Saisonstart des Technik-Spezialisten verlief höchst durchwachsen – auch, weil der Fokus aufgrund der Schwangerschaft woanders lag. Er habe sich immer „auf Abruf“ befunden, erklärte Straßer, „in der Zeit war es nicht leicht, den vollen Fokus aufs Skifahren zu richten“. Doch kaum erblickte die Tochter das Licht der Welt, lief es auch beim Papa. Nur eine Woche nach der Geburt raste der 30-Jährige im Nachtslalom in Madonna di Campiglio als Dritter aufs Podest. „Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so stolz auf mich gewesen bin, es ist unglaublich schön“, sagte der Münchner hinterher. Noch in der Nacht fuhr er die rund 300 Kilometer nach Hause, um schnell wieder bei Kind und Frau zu sein.
Auch danach lief es für Straßer hervorragend, es folgten im Weltcup ein weiterer Podestplatz in Adelboden und zwei vierte Ränge. Seine neue familiäre Situation zeigte dem Athleten eine neue Perspektive auf. „Für mich war es wichtig, mal in den Spiegel zu schauen und nicht den Leistungssportler zu sehen, sondern den Menschen“, sagte er. In seiner Situation werden „viele Sachen im Sport nebensächlicher“. Ihm bereite es nach wie vor „extrem viel Spaß“, auf Brettern den Hang hinunterzurasen, „aber es ist nicht mein Leben“. Er habe nun „einen ganz anderen Bezug zum Sport bekommen“.
Und so lautet sein Motto auch beim Saisonhöhepunkt, den alpinen Ski-Weltmeisterschaften in den französischen Skiorten Courchevel und Méribel (6. bis 19. Februar): Alles kann, nichts muss. „Mir taugt die Art und Weise, wie ich gerade Ski fahre. Es ist extrem stabil, sehr solide, total unkompliziert und trotzdem immer schnell“, sagte Straßer: „Das ist eine Basis, mit der es sich total schön arbeiten lässt.“ Man merkt: Der Mann ruht in sich, er lässt sich auch von kleinen Rückschlägen nicht aus der Fassung bringen. Und das spiegelt sich auch in den Ergebnissen wider. Er meinte: „Ich habe guten Speed, stehe gut am Ski“. Und technisch ist Straßer ohnehin über jeden Zweifel erhaben.
Aufgrund seiner bisherigen Weltcupergebnisse im nacholympischen Winter geht Straßer zwar als einer von wenigen deutschen Medaillenhoffnungen an den Start. Doch unter Erfolgsdruck lässt er sich nicht mehr setzen. Das ist auch Teil seiner Arbeit mit einem Mentaltrainer, mit dem Straßer seit einiger Zeit versucht, im knallharten Verdrängungswettbewerb gerade in den Technik-Disziplinen die letzten Hundertstelsekunden herauszuholen. „Bei mir geht es viel um Selbstreflexion“, erklärte Straßer. Er schaue nur auf sich, nur auf seine Leistung, nur auf das, was er selbst beeinflussen könne. „Wie fühle ich mich? Wie kriege ich Ruhe und Selbstverständnis rein?“ – mit diesen Fragen beschäftige er sich viel intensiver als zu Beginn seiner Karriere. „Aber ich sehe es so, dass mir keiner die Lösungsformel geben kann. Ich muss an mich glauben, nur dann kann ich überzeugend Skifahren“. Und das ist ihm zuletzt wieder mehrfach gelungen.
Inzwischen zehnte Weltcupsaison
In seiner inzwischen zehnten Weltcupsaison ist Straßer erneut in die Weltspitze vorgefahren und bei nahezu allen Rennen ein Anwärter zumindest auf das Podium. In den Vorjahren waren ihm in Zagreb (2021) und Schladming (2022) sogar Slalomsiege gelungen, die er künftig nur zu gern auch einfahren würde. „Ich habe es die letzten zwei Jahre geschafft, um Siege mitzufahren“, sagte er. Doch darauf ausruhen dürfe er sich nicht. „Das Schwierigste ist die Konstanz. Die ist mir letztes Jahr ein bisschen abgegangen.“ Und schon waren die Konkurrenten zwischenzeitlich an ihm vorbeigefahren. „Es ist ein extrem hartes Business“, weiß Straßer. Doch Jammern will er deswegen nicht, er zieht daraus extra Motivation: „Es tut mir und dem Sport gut, dass die Konkurrenz so hart ist. Du brauchst nicht verwalten, du fährst jedes Rennen, was geht.“ Und so kann es auch mal passieren, dass Straßer überzieht – so wie beim prestigeträchtigen Nachtslalom in Schladming. Im Vorjahr hier noch Sieger, schied der Deutsche diesmal auf höchst seltsame Art im ersten Lauf aus: Nachdem er mit Vollgas aus dem Starthaus gekommen war, fädelte er schon am zweiten Tor ein. „Das ist mir noch nie passiert, und ich habe vor, dass es ein einmaliges Erlebnis bleibt“, sagte Straßer hinterher. Nach dem „unschönen Erlebnis“ habe er aber auch schnell wieder den Fokus nach vorne gerichtet: „Es gehört dazu. Ich kann’s nicht mehr ändern und hake es für mich ab.“
Künftig mit etwas weniger Risiko anzufahren, kommt für den Urbayer nicht infrage. „Es sind meistens Läufe, in denen du all in gehen musst, die den Erfolg bringen“, sagte er. Das „Vollgas“-Motto hat er mit Felix Neureuther gemein, seinem Vorbild, mit dem der 30-Jährige lange Zeit verglichen wurde. Auch sein steiler Aufstieg zu Beginn seiner Karriere – mit 18 Jahren wurde er deutscher Juniorenmeister im Slalom, mit 20 debütierte er im Weltcup – schleppte Straßer lange Zeit als Rucksack mit sich herum. „Es war für mich nicht einfach, wenn man die ganze Zeit gesagt bekommt, wie gut man eigentlich Ski fährt und jeder nur Podiumsplätze von einem erwartet“, sagte er einmal rückblickend. Auch deswegen sei er nach starkem Beginn irgendwann in ein Leistungsloch gefallen, aus dem er sich aber selbst wieder herausgekämpft habe.
Doch nicht nur die mentale Stärke ist ein Grund für Straßers Aufschwung. „Linus war früher sehr fehleranfällig“, gab Christian Schwaiger, Cheftrainer der Männer im Deutschen Ski-Verband (DSV), zu bedenken. In den vergangenen Jahren habe Straßer aber „stark an seiner Technik gearbeitet. Auch in seinem Kopf ist er stärker geworden, er hat sich zu einer richtigen Persönlichkeit entwickelt.“ Inzwischen schauen die jungen deutschen Skifahrer zu ihm auf – so wie er einst zu Neureuther oder zum Ausnahmeathleten Kjetil André Aamodt.
Mühsame Saison für Thomas Dreßen
„Wenn er seine Sachen beieinanderhat, kann er sehr schnell fahren“, sagte der fünfmalige WM-Medaillengewinner Neureuther über Straßer. Wenn dieser „seine Leistung abruft“, könne er auch bei Weltmeisterschaften eine Medaille gewinnen. Nach dem Tod von Neureuthers Mutter Rosi Mittermaier am 4. Januar trauerte auch Straßer. Bei seinem dritten Platz in Adelboden startete der Münchner mit einem Trauerflor und gedachte hinterher der Alpin-Ikone: „Die Rosi hat einen Grundstein für das gelegt, wo wir heute sind. Den Ski-Boom, den sie damals ausgelöst hat, den können wir uns alle gar nicht vorstellen. Sie ist einfach eine ganz tolle Frau gewesen.“ Es brauchte aber nicht Leute wie die „Gold-Rosi“, die zwei olympische Gold-Medaillen gewann und im Alter von 72 Jahren starb, damit Straßer sich für das Skifahren entschied. Seine Leidenschaft entdeckte er schon als Bub, der gerade mal laufen konnte. „Als Zweijähriger stand Linus einmal um 7 Uhr morgens im Ski-Overall an meinem Bett und fragte mich, ob wir jetzt zum Skifahren gehen können“, sagte sein Vater Georg Eisenhut einmal dem „Spiegel“. Der Sportwart der Ski-Abteilung des TSV 1860 München, für den Straßer bei Wettbewerben an den Start geht, erinnerte sich: „Sein Talent war ihm schon früh anzusehen, als er mit drei die Piste runterfuhr, schauten ihm die Ski-Touristen staunend hinterher.“ Dass es sein Sohn aber einmal in die Weltspitze des Sports schaffen würde, sei nicht abzusehen gewesen.
Zur Weltspitze gehört auch Thomas Dreßen – wenn er denn fit ist. Nachdem der Speedfahrer die Olympiasaison verletzungsbedingt ausgelassen hatte, sucht er aktuell noch nach dem Drive. Platz acht bei der Abfahrt im kanadischen Lake Louise und Platz 13 in Kitzbühel stehen als seine bislang besten Saisonresultate auf dem Papier – zu wenig für einen Mann seiner Klasse. Aber vielleicht verständlich angesichts seiner Krankenakte. Zuletzt warfen ihn Oberschenkelprobleme zurück. „Jetzt gerade fühlt sich alles gut an“, sagte er im Interview des BR, „aber ich habe am Anfang der Saison schon gemerkt, dass die ganzen Gelenke, ob das jetzt das Knie oder die Hüfte ist, die machen schon nach wie vor immer Probleme“. Es sei mitunter „extrem frustrierend“, dass sich die Erfolge nicht schneller wieder einstellen würden. „Natürlich fängt man dann schon irgendwann das Überlegen an, ob es das einfach noch wert ist.“ Spätestens am Start würden diese negativen Gedanken aber verfliegen. „Das Gefühl kriegst du nirgendwo anders“, sagte der 29-Jährige. Doch irgendwann will Dreßen auch wieder das Gefühl von Podestplätzen erleben. Bei seinem ersten Comeback nach der Kreuzbandverletzung war er mit drei Siegen höchst erfolgreich zurückgekehrt, jetzt ist alles mühsamer.
Vielleicht helfen ihm ja auch die Vaterfreuden, so wie bei Teamkollege Straßer. Mitten Im BR-Interview verkündete der Mittenwalder die Nachricht der bevorstehenden Geburt seines Kindes. „Meine Frau und ich erwarten Nachwuchs, im Sommer ist es so weit. Das ist eigentlich mit das Schönste, worauf ich mich brutal freue“, sagte Dreßen.