Regelmäßige Trainingseinheiten halten im Alter nicht nur länger fit, sondern verlängern unter Umständen auch das Leben. Das ist bereits hinreichend bekannt. Eine neue Studie zeigt nun: Durch Intensivierung alltäglicher Aktivitäten lässt sich ein ähnlicher Effekt erzielen.
Dass regelmäßiger Sport nicht nur dem persönlichen Fitness-Empfinden und der Gesundheit gut tut, sondern auch die Lebenserwartung erhöhen und das mit bestimmten Krankheiten verbundene Sterberisiko reduzieren kann, wurde in den letzten Jahren mehrfach durch wissenschaftliche Studien belegt. Die WHO empfiehlt Erwachsenen daher mindestens zweieinhalb bis fünf Stunden sportlicher Betätigung pro Woche. „Jede Bewegung zählt“, so WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Menschen ab 65 Jahren sollten möglichst an mindestens drei Tagen Gleichgewicht und Koordination trainieren und an mindestens zwei Tagen ihre Muskelkraft stärken. Krafttraining wird inzwischen nämlich als ebenso wichtig angesehen wie die auf Ausdauer angelegten Aktivitäten von Joggen über Radfahren bis hin zum Schwimmen. Laut der WHO könnten jährlich weltweit fünf Millionen vorzeitige Todesfälle vermieden werden, wenn Menschen körperlich aktiver wären. Mangelnde Bewegung und die daraus resultierenden Krankheiten kosten die Gesundheitssysteme laut WHO global 54 Milliarden Dollar pro Jahr.
Dabei könne regelmäßige Bewegung leicht dazu beitragen, der Ausbildung von Herzkrankheiten, Diabetes oder Krebs vorzubeugen, den Abbau geistiger Fähigkeiten zu verlangsamen oder auch belastende Symptome wie Depressionen und Angstzustände zu mildern. Allerdings halten sich leider viele Menschen nicht an die WHO-Empfehlungen. Schätzungen zufolge bewegen sich 1,4 Milliarden Menschen aus Gründen wie Zeitmangel, Trägheit oder wegen fehlender Motivation viel zu wenig. Dabei könnte aber gerade gemeinsames Sporttreiben nicht nur den inneren Schweinehund besiegen, sondern dank der sozialen Interaktion auch deutlich bessere Resultate bezüglich einer Verlängerung der Lebenserwartung zur Folge haben als das Betreiben einer Einzelsportart. Die immer wieder zitierte sogenannte Copenhagen City Heart Study hatte das überraschende Ergebnis liefern können, dass regelmäßiges Tennis- oder Badmintonspielen die Lebenserwartung im Vergleich zu Radfahren oder Joggen deutlich stärker erhöhen kann (9,7 beziehungsweise 6,2 Jahre versus 3,7 beziehungsweise 3,2 Jahre).
Eingefleischte Sportmuffel wird all das jedoch kaum überzeugen und aus dem bequemen Couchpolster herauslocken können. Allein schon der Gedanke daran, sich wöchentlich stundenlang bei mittlerer sportlicher Aktivität zu quälen oder alternativ, so die WHO-Empfehlung, zu kräftigen sportlichen Einheiten zwischen 75 und 150 Minuten aufzuraffen, wird sie womöglich abwinken lassen. Ein Hoffnungsschimmer und eine mögliche Motivationsspritze könnte für sie nun eine neue, im Fachjournal „Nature Medicine“ veröffentlichte Studie des Charles Perkins Centre der University of Sydney unter Federführung von Prof. Emmanuel Stamatakis sein. Hier wurden die Vorzüge und positiven Auswirkungen selbst kleinster, mit etwas höherer Intensität durchgeführter Aktivitäten aus dem normalen Alltagsleben für die Lebenserwartung herausgearbeitet.
Dies wurde bislang noch nicht erforscht, weil man davon ausgegangen war, dass kurze körperliche Aktivitätsschübe mit einer Dauer von weniger als zehn Minuten – beispielsweise schnelleres Gehen zur Bushaltestelle, etwas intensiveres Schlagtempo beim Putzen, wilderes Spielen mit den Kids oder flottes Treppensteigen – keinen wesentlichen gesundheitlichen Wert haben könnten. Doch überraschenderweise konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass eine – meist völlig unbewusste – tägliche Häufung solcher kurzweiliger Aktivitäten über ein bis zwei Minuten, von den Forschenden „Vilpa“ (Vigorous Intermittent Lifestyle Physical Activity) getauft, fast ähnlich positive Effekte für bestimmte Aspekte der Gesundheit haben kann wie regelmäßige sportliche Betätigung. „Für die meisten Erwachsenen ist ‚Vilpa‘ möglicherweise praktikabler als strukturiertes Training“, so die Wissenschaftler, „da es einen minimalen Zeitaufwand erfordert und keine spezifische Vorbereitung, Ausrüstung oder Zugang zu Einrichtungen erfordert.“
Vilpa-Einheiten durchschnittlich 45 Sekunden lang
Für die Studie stützte sich das Team auf Daten von 87.585 Probanden aus der UK-Biobank, in der gesundheitliche, ständig aktualisierte Informationen über etwa eine halbe Million britischer Freiwilliger gespeichert sind. Ihr Hauptaugenmerk richteten die Forschenden auf die 25.241 Personen zählende Gruppe der Nicht-Sportlerinnen und -Sportler, die im Schnitt bei Studienbeginn 61,8 Jahre alt waren. Sie waren sieben Tage lang ausgestattet mit am Handgelenk tragbaren Geräten, als Fitnesstracker genutzten Wearables. Damit konnten die täglichen und auf die Woche verteilten möglichen Phasen intensiverer Bewegung der Probanden, sprich die Zahl der Vilpa-Einheiten, ermittelt werden. Danach galt es herauszufinden, ob und welche Auswirkungen möglichst viele dieser Einheiten auf das Sterberisiko der Nicht-Sportlerinnen und -Sportler haben könnten. Dazu wurden die Probanden über einen Nachuntersuchungszeitraum von knapp sieben Jahren von den Forschenden beobachtet, wobei besonders das Auftreten von Herzerkrankungen oder Krebs sowie daraus resultierende Todesfälle registriert wurden. Die zweite, 62.344 Probanden umfassende Gruppe der Sport-Aktiven wurde hauptsächlich zur Kontrolle und zum Vergleich der aus der Nicht-Sportler-Gruppe gewonnenen Ergebnisse herangezogen.
Unter den Nicht-Sportlerinnen und -Sportlern absolvierten neun von zehn Probanden, genauer gesagt 89 Prozent, in ihrem Alltag quasi nebenbei einige Vilpa-Einheiten. Wobei 93 Prozent der Vilpa-Einheiten nicht länger als eine Minute dauerten, insgesamt lag der durchschnittliche Zeitrahmen aller Vilpa-Einheiten bei 45 Sekunden. Im Durchschnitt kamen die Probanden auf acht Vilpa-Einheiten pro Tag von jeweils bis zu einer Minute, was sich über den Tag hinweg auf sechs Minuten summiert hatte. Im Vergleich zu Probanden ohne Vilpa-Einheiten ergab sich ein auffallender Unterschied bezüglich des Sterberisikos. Bereits drei bis vier jeweils einminütige Vilpa-Einheiten pro Tag konnten das Sterberisiko und die krebsbedingte Mortalität um bis zu 40 Prozent verringern, ein ähnlich hoher Rückgang von bis zu 49 Prozent konnte im Zusammenhang mit Todesfällen aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ermittelt werden.
Je mehr Vilpa-Einheiten pro Tag absolviert wurden, desto positiver war der gesundheitliche Folgeeffekt. Das gemessene Maximum von elf Vilpa-Einheiten pro Tag war mit einer 65-prozentigen Verringerung des kardiovaskulären Sterberisikos und einer 49-prozentigen Reduktion des krebsbedingten Todesrisikos verbunden. Interessanterweise ergab eine vergleichende Analyse der Ergebnisse mit jenen der Sport-Gruppe durchaus ähnliche Werte. „Unsere Studie zeigt“, so Prof. Stamatakis, „dass ähnliche Vorteile wie bei hochintensivem Intervalltraining erreicht werden können, indem die Intensität der zufälligen Aktivitäten im täglichen Leben erhöht wird. Ein paar kurze Anstrengungen drei bis vier Minuten pro Tag können viel bewirken. Es gibt viele tägliche Aktivitäten, durch die sich die Herzfrequenz für etwa eine Minute erhöhen lässt. Und je mehr, desto besser.“ Aber schon läppische zwei Minuten täglicher Vilpa-Einheiten, auf die Woche hochgerechnet also gerade mal knapp 15 Minuten, können das Sterberisiko schon in erheblichem Maße reduzieren. „Da Zeitmangel am häufigsten als Hindernis für eine regelmäßige körperliche Aktivität angegeben wird“, so das Forschungsteam, „könnte dieser Ansatz vor allem für viel beschäftigte Menschen eine attraktive Alternative darstellen.“