Dr. Melanie Hümmelgen ist Fachärztin für Kardiologie und gefragte TV-Expertin. Mit FORUM spricht sie über Definition, Ursachen, Beschwerden und Behandlung von Bluthochdruck.
Frau Dr. Hümmelgen, es gibt den systolischen und den diastolischen Blutdruck. Was ist der Unterschied, was genau geben diese Werte an?
Ein gesundes Herz schlägt circa 60- bis 70-mal pro Minute. Der Herzmuskel zieht sich dafür jedes Mal zusammen, um so die Kraft zu haben, Blut circa 70- bis 100-mal pro Schlag über die große Körperschlagader, unsere Aorta, in den Körper auszuwerfen. Diese Phase nennen wir Systole. Anschließend entspannt sich der Herzmuskel wieder, damit neues Blut in die Herzkammern einströmen kann (Diastole). Systole und Diastole wechseln sich also immer wieder ab und sind zwei Anteile des Herzzyklus. In diesen verschiedenen Phasen herrscht ein unterschiedlicher Blutdruck im Herzen und auch in den Arterien. Diese Blutdruckwerte können wir mit verschiedenen Verfahren messen. Die meisten kennen die Messung mit einer Manschette am Oberarm und Bestimmung der Blutdruckwerte, indem wir mit einem Stethoskop die Geräusche in den Arterien hören und zu definierten Zeitpunkten den Druck auf dem Messgerät ablesen.
Der obere Wert ist der systolische Wert, der untere der diastolische. Der systolische Wert zeigt eine höhere situative Abhängigkeit – abhängig davon, ob wir Sport treiben, uns aufregen, unter Zeitdruck stehen et cetera.
Der Blutdruck sinkt in den Gefäßen nie auf null, sondern wird zur optimalen und kontinuierlichen Durchblutung unseres Körpers durch einen fantastischen Mechanismus in gewissen Grenzen gehalten und das jederzeit. Das ist der Grund, warum es einen höheren oberen und einen niedrigeren unteren Wert gibt. Wir Mediziner können daraus einen mittleren Wert errechnen. Natürlich kann der Blutdruck auch direkt gemessen werden mit einer invaliden Messung direkt in den Gefäßen – auf der Intensivstation oder im Herzkatheter-Labor zum Beispiel.
Ab wann spricht man von Bluthochdruck?
Optimal ist ein Blutdruck in Ruhe bei jungen gesunden Menschen von 120 zu 80 mmHg. Ab 140 mmHg systolisch und 90 mmHg diastolisch sprechen wir bereits von Bluthochdruck. Die Grenzen hierfür sind in unseren Leitlinien der Fachgesellschaften in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder herabgesetzt worden, da wir wissen, dass der Bluthochdruck ein wesentlicher Faktor bei der Entstehung von Gefäßschäden, Herzkreislauferkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall und anderen Organschäden ist. Bei älteren Menschen tolerieren wir unter Risiko-Nutzen-Abwägung etwas höhere Werte. Ein niedriger bis normaler Blutdruck ist der beste Schutz der Gefäße, solange wir uns dabei wohlfühlen.
Welche Beschwerden hat man bei Bluthochdruck?
Viele Patienten schildern typische Beschwerden: Kopfschmerzen, Unruhe, Konzentrationsstörungen, Brustenge, Luftnot, Nasenbluten, Erschöpfung, Herzklopfen. In Blutdruck-Krisen mit sehr hohen Werten kommt es auch zu neurologischen Ausfällen wie Sehstörungen und starken Schmerzen. Gefäße können einreißen oder sogar platzen. Das Typische ist, dass der Bluthochdruck sich oft schleichend entwickelt und Patienten sich initial gar nicht eingeschränkt fühlen, sondern eher agiler und energiegeladener. Dann wird der hohe Blutdruck oft nicht ernst genommen und als situativ verharmlost. Zunehmend schädigt der Bluthochdruck aber die Gefäße und Organe. Ich ermuntere meine Patienten immer, Vorsorgeuntersuchungen zu nutzen, um den Blutdruck immer mal wieder messen zu lassen – oft gibt es ja Gelegenheit dazu.
Welche Ursachen gibt es?
Die Ursachen für Bluthochdruck sind sehr unterschiedlich und vielfältig. Häufig besteht eine familiäre Veranlagung, eine genetische Disposition. Ich frage meine Patienten immer, ob auch andere Familienmitglieder Bluthochdruck haben und wenn ja, in welchem Alter er diagnostiziert wurde.
Was kann einen Bluthochdruck sonst noch auslösen?
Begünstigende und auslösende Faktoren liegen dann oft auch in unserer Hand: Übergewicht, Bewegungsmangel, falsche Ernährung. Stress und vor allem unser Umgang mit Stress spielen bei der Bluthochdruckentstehung, aber auch -behandlung eine wichtige Rolle. Ganz vermeiden können wir Stress alle nicht, aber oft können wir Konstellationen verändern, entschleunigen oder Strategien entwickeln, damit umzugehen – Stressbewältigung also. Gerade Sport und Bewegung helfen hier oft sehr.
Die meisten Patienten gehören zu der Gruppe der primären Hypertonie. Es gibt aber auch die sekundäre Hypertonie. Hier liegt eine andere Erkrankung dem Bluthochdruck zugrunde – zum Beispiel eine Verengung der Nierenarterien, ein hormonproduzierender Tumor der Nebenniere, schlafbezogene Atmungsstörungen et cetera. Hier müssen wir die Ursache finden und spezifisch behandeln.
Entsteht Hochdruck vor allem durch Stress?
Stress ist ja ein vielschichtiges Problem. Konflikte, die wir nicht lösen können, eine ständige Überforderung, Zeitdruck, keine Pausen sind typische Konstellationen. Kurzfristig kann unser Körper sehr gut mit Belastungssituationen umgehen und schüttet Stresshormone aus. Diese sind sehr nützlich und dazu da, dass wir zum Beispiel in Gefahrensituationen blitzschnell reagieren können und Bärenkräfte entwickeln. Herzfrequenz und Blutdruck steigen dadurch blitzschnell an, um uns zum Beispiel aus einer Gefahrensituation zu befreien. Denken Sie an Gefahren früherer Zeiten, wenn wir uns vor wilden Tieren wie dem berühmten Säbelzahntiger in Sicherheit bringen mussten. Da hat dies unser Überleben gesichert. Sie sind aber nicht dafür gemacht, von Termin zu Termin zu hetzen, ständig erreichbar zu sein oder dauerhaft Konflikte mit Vorgesetzten zu haben. Dann verselbstständigt sich dieses System und der Blutdruck bleibt dauerhaft erhöht und hilft uns nicht, sondern schädigt uns. Schlafstörungen sind oft ein erstes Stresssymptom und mit dem Auftreten von Bluthochdruck verknüpft.
Sind wir im gefühlten Stress, glauben wir oft, vermeintlich nicht die Zeit und Ruhe für gesunde, selbst gekochte Mahlzeiten zu haben. Wir glauben, dass Schokolade hilft, der Sport fällt aus, man fährt schnell mit dem Auto anstatt zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren, isst beim E-Mail-Checken et cetera – damit tritt oft ein Teufelskreis ein und andere bluthochdruckbegünstigende Konstellationen entstehen.
Viele klagen ab 50 über Bluthochdruck. Kommt er automatisch mit dem Alter?
Leider altern auch unsere Gefäße und werden auch unelastischer. Dies ist ein wichtiger Grund, warum ab 40 bis 50 Lebensjahren der Blutdruck ansteigt. Zudem haben Risikofaktoren wie Bewegungsmangel und Übergewicht dann eben auch schon länger Zeit gehabt, Schäden hervorzurufen. Bluthochdruck ist also auch eine Frage des Alters, aber nicht nur.
Wozu kann dauerhafter, unbehandelter Bluthochdruck führen?
Bluthochdruck ist eine wesentliche Ursache bei der Entstehung von Gefäßschäden und zwar überall im Körper. Er kann zu Durchblutungsstörungen der Herzkranzgefäße mit Herzinfarkt, koronarer Herzerkrankung, Herzschwäche, Schlaganfall, Hirnschäden, Augen- und Nierenschäden und vielem anderen führen.
Wie sollte man sich bei Bluthochdruck ernähren und welche Dinge sollte man meiden?
Übergewicht spielt eine große Rolle. Gewichtsabnahme geht ja immer nur, wenn die Kalorienaufnahme geringer ist als der Kalorienverbrauch – hier spielt die Ernährung eine zentrale Rolle.
Ein weiterer Punkt ist der Salzgehalt. Wir wissen inzwischen, dass ein zu hoher Salzgehalt der Nahrung ein Risikofaktor für die Entstehung des Bluthochdrucks ist. Dabei geht es nicht nur um das Salz auf dem Frühstücksei. Gerade in Fast-Food-Gerichten stecken oft enorm hohe Salzmengen. Hier kann eine Ernährungsumstellung sehr gut helfen. Ich rate meinen Patienten immer, ihren Salzkonsum gerade in industriell verarbeiteten Lebensmitteln zunächst zu hinterfragen und dann zu reduzieren. Kräuter können oft helfen, Salzeinsatz zu reduzieren. Oft hilft dies enorm in der Therapie.
Es gibt inzwischen auch Tests, die die sogenannte Salzsensitivität nachweisen können, denn nicht jeder Mensch reagiert auf einen hohen Salzkonsum mit Bluthochdruck.
Gibt es geschlechterspezifische Unterschiede bei Bluthochdruck?
Ja. Auch wissen wir hierzu inzwischen deutlich mehr. Hormone spielen in der Entstehung des Bluthochdrucks eine große Rolle, und gerade in den Wechseljahren entwickeln Frauen aus verschiedenen Gründen häufig einen Bluthochdruck. Auch bei den Nebenwirkungen der Medikamente sehen wir Unterschiede bei den Geschlechtern.
Inwiefern?
Frauen leiden häufiger unter Nebenwirkungen in der medikamentösen Bluthochdrucktherapie. Zum Beispiel entwickeln sie häufiger Reizhusten bei den ACE-Hemmern oder Wassereinlagerungen an den Knöcheln unter Calciumantagonisten. Bei Betablockern reichen zum Beispiel oft geringere Dosen als bei Männern.
Hat man bei zu hohem Blutdruck automatisch einen zu hohen Puls, sprich Herzrasen, und umgekehrt?
Prinzipiell sind dies getrennte Parameter, aber oft beeinflussen bestimmte Situationen beides. Wenn zum Beispiel Stresshormone wie Adrenalin ausgeschüttet werden, steigt sowohl der Blutdruck als auch die Herzfrequenz an – weil ja die Herzleistung insgesamt erhöht werden soll. Wenn ich mich aufrege oder unter Zeitdruck bin, passiert beides: Mein Herz beginnt schneller zu schlagen und der Blutdruck steigt. Andersherum gibt es auch Zusammenhänge: Sinkt der Blutdruck krankhaft, versucht der Körper, den Blutfluss in die Organe aufrechtzuhalten, indem das Herz schneller schlägt. Das Herzkreislaufsystem ist ein komplexes und für mich faszinierendes System des menschlichen Körpers, wie alles mit allem zusammenhängt. Auch unsere Emotionen haben großen Einfluss auf Herzfrequenz und Blutdruck. Früher dachten die Menschen deshalb, das Herz sei der Sitz der Seele.
Ist ein dauerhaft zu hoher Puls ebenfalls gefährlich?
Wir wissen inzwischen durch viele Studien, dass ein dauerhaft zu hoher Puls das Herz schädigt. Nur in der Diastole – also in der Phase des Herzzyklus, in der der Herzmuskel sich entspannt und neues Blut in die Herzkammern einströmen kann – wird der Herzmuskel auch selbst durchblutet. Schlägt das Herz zu schnell, fällt diese Phase dann zu kurz aus. Bei unseren Patienten mit Durchblutungsstörungen der Herzkranzgefäße achten wir sehr darauf, dass der Ruhepuls unter 70 Schlägen pro Minute liegt. Wir wissen, dass ein optimaler Ruhepuls lebensverlängernd ist.
Bei dauerhaftem Bluthochdruck werden etwa Betablocker verschrieben. Müssen diese dann ein Leben lang eingenommen werden?
Für die medikamentöse Behandlung stehen uns sehr viele verschiedene Medikamente unterschiedlicher Gruppen zur Verfügung, sodass wir in der Regel für jeden Patienten das richtige Präparat oder die richtige Kombination an Wirkstoffen finden. Wir geben heute lieber auch gleich eine Kombination aus verschiedenen Wirkstoffen. Typische Wirkstoffe sind Sartane, ACE-Hemmer und Calciumantagonisten in Kombination mit einem Diuretikum oder einem Aldosteron-Antagonisten. Betablocker sind zur reinen Behandlung des Bluthochdrucks in die zweite Reihe der Auswahl gerutscht. Liegt auch eine Herzschwäche oder eine koronare Herzerkrankung vor, finden sie aber weiterhin ihren festen Platz und sind sehr wichtig. Die Medikamente müssen immer wieder konkret an den Bluthochdruck in der jeweiligen Lebensphase angepasst werden, sodass wir die Medikation oft im Laufe der Jahre intensivieren oder reduzieren – je nachdem. Gelingt es den Patienten zum Beispiel Gewicht abzunehmen, Sport zu treiben und die Ernährung zu optimieren, kann ich Medikamente oft reduzieren oder manchmal sogar ganz absetzen.