Erstmals stehen sich zwei Brüder als Gegenspieler im Super Bowl gegenüber. Und auch zwei schwarze Quarterbacks als Starter sind einmalig in der NFL-Geschichte beim Duell Kansas City Chiefs gegen Philadelphia Eagles.

Donna Kelce ist eine Footballer-Mutter aus Leidenschaft. Sie versucht, kein einziges Spiel ihrer beiden Söhne Travis und Jason in der nordamerikanischen Profiliga NFL zu verpassen. Manchmal schaut sie sich den einen live im Stadion an und rennt dann in eine Bar in der Nähe, um das Spiel des anderen zu verfolgen. Beim diesjährigen Super Bowl hat Donna das Problem nicht, denn ihre beiden Söhne spielen zur selben Zeit am selben Ort. Dafür steckt sie in einem anderen, noch viel größerem Dilemma: Wem soll sie die Daumen drücken? Denn Jason kämpft mit den Philadelphia Eagles gegen seinen Bruder Travis von den Kansas City Chiefs um den Gewinn der wichtigsten Trophäe im American Football. Donna Kelce wird am Sonntag (12. Februar, ab 22.15 Uhr bei ProSieben) in Glendale, Arizona, im Stadion sitzen und versuchen, ihre Gefühlswelt in den Griff zu bekommen. Hin- und hergerissen ist sie schon vor dem „Kelce Bowl“, wie das NFL-Finale angesichts des ersten Bruder-Duells genannt wird.
„Es sind deine Hoffnungen und Träume, die wahr werden, aber es sind auch deine schlimmsten Befürchtungen“, sagte Donna Kelce über das Aufeinandertreffen ihrer beiden Söhne: „Du weißt, dass jemand als Verlierer nach Hause gehen wird.“ Und dann deutete sie an, warum das alles ein großes Problem werden könnte: „Keiner von ihnen verliert sehr gut.“ Der 33-jährige Travis freut sich über das „coole Szenario“ – vor allem für seine Mutter: „Sie wird auf jeden Fall gewinnen.“ Aber eben auch verlieren.
Auf dem Feld werden sich die beiden Brüder im Normalfall zwar nicht direkt begegnen, weil Jason als Center und Travis als Tight End jeweils zur Offensive ihrer Teams gehören. Doch natürlich werden sie sich sehen und sich sportlich besiegen wollen. „Es ist definitiv ein emotionales Spiel für uns“, gab Travis zu. Wer aber einen hässlichen Bruder-Kampf erwartet, weil sich beide in sozialen Medien gern gegenseitig foppen, werde enttäuscht: „Ihr werdet nicht erleben, dass ich zu viel Mist rede, denn ich respektiere und liebe meinen Bruder.“

Dabei sind die Kelce-Brüder in Sachen Trash-Talk mit Sicherheit keine Kinder von Traurigkeit. Travis flippte zum Beispiel nach dem Erfolg im AFC Championship Game aus, weil aus Kreisen der Cincinnati Bengals vor dem Duell verlautet worden war, dass das Arrowhead Stadium der Chiefs in Anlehnung an Bengals-Quarterback Joe Burrow in „Burrowhead“ umgetauft werden sollte. „Burrowhead mein Arsch!“, sagte Kelce in unflätigen Worten und verteidigte seinen Quarterback Patrick Mahomes: „Das ist Mahomes’ Haus!“ Auch für den Bürgermeister von Cincinnati hatte er „ein paar weise Worte“ parat: „Kenn deine Rolle und halt die Klappe, du Poser!“
Die Kelces sind aber nicht nur wegen ihrer emotionalen Art wichtig für ihre Teams, auch sportlich spielen beide eine gewichtige Rolle. Travis leitete den Sieg im Play-off-Halbfinale gegen Cincinnati (23:20) mit einem gefangenen Touchdown-Pass von Mahomes ein. Insgesamt fing er sieben von acht Bällen an diesem Abend, außerdem machte er 78 Yards. Travis Kelce ist nicht nur die wichtigste Anspielstation für Mahomes, sondern mittlerweile auch der zweiterfolgreichste Passempfänger in der Geschichte der NFL-Play-offs. Sein zwei Jahre älterer Bruder Jason war beim klaren Gewinn der NFC Championship Games seiner Philadelphia Eagles gegen von zwei Quarterback-Verletzungen personell stark geschwächte San Francisco 49ers (31:7) ein Garant. Er war mit wichtigen Blocks für gleich zwei Touchdowns mitverantwortlich.
Sorgen um Patrick Mahomes Knöchel
Einer, der beide Brüder sehr gut kennt, ist Andy Reid. Er ist Chefcoach der Chiefs und arbeitete früher auch lange für die Eagles. Reid war es, der die Kelces einst in die NFL geholt hatte: 2011 draftete er Jason in der sechsten Runde der Talente-Ziehung für Philadelphia, zwei Jahre später holte er in Runde drei Travis für Kansas City. Vorausgegangen waren natürlich unendlich viele Überzeugungsgespräche auch mit Mutter Donna. „Ich habe in beide viel Zeit investiert“, sagte der 64-Jährige: „Ich fühle mich wie ein Teil der Familie.“ Also wird auch ein kleiner Teil von ihm am Sonntag verlieren, selbst wenn er mit seinem Team triumphieren sollte. Ein Sieg der Chiefs hängt aber weniger an Reid oder Travis Kelce, sondern an Patrick Mahomes. Oder besser gesagt: am rechten Knöchel von Patrick Mahomes. Den hatte sich der Star-Quarterback im Play-off-Viertelfinale gegen die Jacksonville Jaguars, als ihm ein Gegenspieler mit vollem Gewicht aufs Sprunggelenk gefallen war, verstaucht. In dem Spiel und in der anschließenden Partie gegen Cincinnati konnte Mahomes zwar spielen, aber er lief alles andere als rund.

Es bestehen berechtigte Zweifel, ob der 27-Jährige so beweglich und laufstark wie gewohnt sein kann. Doch selbst wenn nicht: Mahomes kann auch mit eingeschränkten Kräften den Unterschied ausmachen, das bewies er gegen Cincinnati. Sekunden vor Schluss bereitete er mit einem Sprint das entscheidende Field Goal vor. „Ich werde das hier erst mal feiern“, sagte Mahomes, der aber vergeblich auf der Suche nach Zigarren war. Nicht weiter schlimm, denn die große Sause soll erst noch folgen: „Wir werden vorbereitet sein beim Super Bowl.“ Das treffe auch auf ihn selbst und seinen Knöchel zu.
„Vielleicht ist er wirklich Superman, wie wir es schon lange während seiner Karriere vermuten“, schrieb die englische Zeitung „The Guardian“: „Mahomes zeigte eine der mutigsten und inspirierendsten Leistungen, die wir je von einem NFL-Quarterback gesehen haben.“ Mehr als 300 Pass-Yards, ein paar Touchdown-Pässe und eine spielgewinnende Aktion seien für Mahomes zwar nichts Neues, „aber es auf einem Bein zu tun, ist unerhört“. Das Blatt legte sich fest: „Jede Debatte über die Identität des besten Quarterbacks in der NFL wurde endgültig beendet.“
So sehen es auch viele Experten und Fans. Im Super Bowl, der immer auch ein Duell der beiden Quarterbacks ist, trifft Mahomes auf Jalen Hurts. Erstmals stehen sich damit zwei schwarze Quarterbacks in einem Super Bowl gegenüber. Mahomes, der sich mit Kansas schon 2020 zum NFL-Champion küren konnte, wäre bei einem Triumph der erste schwarze Quarterback mit zwei Super-Bowl-Ringen an den Fingern. Hurts wäre der insgesamt vierte schwarze Quarterback, der die begehrte Lombardi Trophy gewinnt. Hurts gilt nicht als so hochtalentiert wie der Ausnahmeathlet Mahomes, der fast keine Schwächen hat, und er verfügt auch nicht über die Erfahrung seines Gegenübers. Doch an Einsatzwillen und Motivation mangelt es Hurts nicht. „Man arbeitet sehr hart, um sich in diese Position zu bringen“, sagte der 24-Jährige. Er wolle jedes Mal den Platz betreten und „immer mein Bestes geben, egal was passiert. Denn ich will meine Jungs nicht enttäuschen“.
„Davon träumst Du als Kind“
Hurts musste sich den Respekt seiner Mitspieler, des Teams und der Fans erst hart erarbeiten. „In meinem ersten Jahr wollten nicht alle Leute mich hier haben“, erinnerte er sich an die Zeit nach seinem Draft 2020 zu Philadelphia: „Aber solche Dinge erledigen sich oft von selbst.“ Dass es derzeit so gut bei ihm laufe, sei „für viele eine große Überraschung“ – für ihn selbst aber nicht. Um das zu veranschaulichen, zitiert Hurts gern einen Vers aus der Bibel: „Was ich hier tue, verstehst du jetzt noch nicht. Aber später wirst du es begreifen.“ Und auf seine Person bezogen hofft Hurts, „dass die Leute jetzt verstehen“. Die Eagles-Fans haben erkannt, dass Hurts da war, als der gesetzte Quarterback Carson Wentz, der nur zehn Monate vor Hurts Ankunft einen neuen, 128 Millionen US-Dollar dotierten Vierjahresvertrag unterschrieben hatte, schwächelte. In seinem ersten Jahr als Starter 2021 führte er sein Team gleich in die Play-offs und steigerte seine Leistungen in dieser Saison nochmals. Der Lohn: eine Hauptrunden-Bilanz von 14:3-Siegen, der Einzug in den Super Bowl und rosige Aussichten für einen Megavertrag. Sein aktueller Rookie-Vertrag läuft in einem Jahr aus, er könnte schon jetzt für viel Geld verlängern oder auf noch bessere Angebote warten. Auf jeden Fall wird Hurts ein gutes Geschäft machen.

„Eines ist Fakt: Es wird sich für ihn lohnen“, sagte Offensive Tackle Jordan Mailata: „Oh mein Gott, bezahlt diesen Mann!“ Warum? Weil er es draufhabe, meint der Teamkollege: „Sein zweites Jahr als Starter, und er bringt uns zum Super Bowl? Er hat wie viele Rekorde geknackt? Alles, was ich weiß, ist: Er ist einer der am härtesten arbeitenden Männer, die ich je in meinem Leben gesehen habe.“ Und Hurts hält das Team beisammen. Der beeindruckende Teamgeist führte dazu, dass die Eagles die Hauptrunde gewannen und damit in den Play-offs vom Heimvorteil profitierten.
Im ersten Super Bowl fünf Jahre nach dem Premierensieg gehen die Eagles als leichter Favorit ins Endspiel. „Davon träumst du als Kind“, sagte Eagles-Trainer Nick Sirianni: „Wir genießen das und bereiten uns dann auf den Super Bowl vor. Eins ist noch übrig.“ Personell ist die Lage bei Philadelphia deutlich entspannter, bei den Chiefs ist nicht nur Mahomes angeschlagen. Auch Travis Kelce, L’Jarius Sneed, Willie Gay Jr., Mecole Hardman und JuJu Smith-Schuster klagten zuletzt über Verletzungen. Auch deswegen meinte Mahomes: „Das wird eine großartige Herausforderung.“ Kansas City kann zum dritten Mal den Super Bowl gewinnen, das wäre „fantastisch“, sagte Chefcoach Reid, aber: „Die Arbeit ist noch nicht erledigt.“
Der deutsche Football-Profi Amon-Ra St. Brown wird sich das Spiel der Spiele nur am Fernseher anschauen. Der Wide Receiver hatte mit den Detroit Lions die Play-offs verpasst, er durfte sich aber mit seiner zweiten Teilnahme am Pro Bowl trösten. Das All-Star-Event der NFL in Las Vegas gilt als große Einstimmung auf den Super Bowl – oder in diesem Jahr den „Kelce Bowl“.