Der Partei nahe, aber in einigen Punkten kompromissloser, so sieht sich die Grüne Jugend. Umstrittene Themen wie das Braunkohlerevier Lützerath und den Umgang mit den NSU-Akten würde sie anders angehen.
Seit Wochen war es Thema Nummer eins bei der Grünen Jugend: die Demonstrationen um das Dorf im rheinischen Braunkohlerevier Lützerath. So war der Hashtag #LuetziBleibt einer der häufigsten Tweets, den Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend, in seinem Twitter-Kanal abgesetzt hat.
Mittlerweile ist das Areal geräumt. „Kein Grund zur Freude, aber auch erst keiner aufzugeben“, twittert Dzienus, und weiter: „Der Kampf für echte Klimagerechtigkeit hat gerade erst angefangen!“, so der 26-Jährige.
Fordern Bekenntnis zum Volksentscheid
Auch bei anderen Vertretern der Grünen Jugend bleibt das Thema präsent. „Lützerath darf nicht abgebaggert werden“, sagt Kasimir Heldmann, Berliner Landessprecher der Grünen Jugend, im Gespräch mit FORUM. Von den Grünen, die der Jugendorganisation nahestehen, fordert er ein „härteres Durchgreifen“ in der Causa Lützerath. Laut dem Pariser Klimaabkommen dürfe die Kohle nicht verbrannt werden. Klar müssten manchmal auch Zugeständnisse gemacht werden, aber den Braunkohleabbau zu tolerieren, sei „kein geiler Kompromiss“ gewesen und das hätte man auch ehrlich kommunizieren sollen, so der Sprecher. Kasimir Heldmann war schon eine Weile aktiv in verschiedenen NGOs, bevor er zur Grünen Jugend kam. Den Ausschlag habe die vergangene Europawahl gegeben, sagt er im Gespräch. Grundsätzlich politisiert sei er vor allem durch antirassistische und antifaschistische Kämpfe. „Die Grüne Jugend versteht sich ihrem eigenen Verständnis nach auch als Bildungsort, wo wir eigene Analysen vornehmen und gemeinsam neu Dinge lernen“, erklärt er das Konzept der Jugendorganisation.
Den Aspekt des Lernens findet David Lange wichtig. „Wir machen viel politische Bildungsarbeit. Das ist wichtig“, sagt der Lehramtsstudent im Gespräch. Er habe schon lange politisches Interesse am Klimaschutz, erzählt der 20-jährige Wahlberliner. Noch als Schüler beteiligte er sich an Fridays-for-Future-Demonstrationen. Dann kamen die Kommunalwahlen in seinem nordrhein-westfälischen Heimatort Kleeve. Sie gaben den Anstoß, sich auch auf anderer Ebene politisch für den Klimaschutz zu engagieren.
„Ich wollte Teil einer Partei sein, die am ehesten etwas für Klimaschutz tut“, sagt er. So habe er die Partizipationsmöglichen, die „unser demokratisches System hergibt“ genutzt und trat als 17-Jähriger sowohl bei den Grünen ein als auch bei der Grünen Jugend. Bei der Grünen Jugend sieht er einen anderen Spielraum als bei der Partei selbst. „Unsere Forderungen sind nicht so an reale Regierungspolitik gebunden. Anders als die Grünen müssen wir keine Kompromisse eingehen. Wir sind ein bisschen der Stachel an den Grünen.“ So wurde er bei beiden Organisationen in Kleeve aktiv. Allerdings wurde sein Engagement durch die äußeren Umstände gedämpft. Die Corona-Krise samt Lockdowns hatte gerade begonnen und die Treffen waren lange nur online möglich.
Mit Kompromissen ist der Berliner Sprecher Kasimir Heldmann schon etwas mehr beschäftigt, wenn er im Austausch mit der Partei ist. Aber gewisse Dinge sind einfach nicht verhandelbar und stoßen auf Unverständnis bei den Jungen. Nicht einverstanden ist die Grüne Jugend etwa mit dem Umgang der Partei hinsichtlich der NSU-Affäre. Sie wünschen sich eine Offenlegung der Akten. Die Landesverbände der Grünen Jugend haben sich immer wieder für eine komplette Aufklärung ausgesprochen. Bislang sollen die Akten über den rechtsradikalen Terror noch bis zum Jahr 2134 unter Verschluss bleiben.
Auch auf der Berliner Landesebene gibt es trotz der grundlegenden gemeinsamen Ausrichtung mit der Partei hier und da Dissens. „Einer der größten Streitpunkte zwischen der Grünen Jugend und den Berliner Grünen ist die Forderung der Initiative ‚Deutsche Wohnen und Co. enteignen‘“, sagt Kasimir Heldmann. Da wünschen wir uns ein klareres Bekenntnis zum Volksentscheid. Unverständnis bringt der Berliner Sprecher in diesem Punkt auch Bundeskanzler Olaf Scholz entgegen, der die Enteignungspläne vor Kurzem in einem Interview missbilligt hat. „59 Prozent haben dafür gestimmt. Das ist mehr, als jede Partei gewonnen hat, und ein demokratischer Volksentscheid“, so argumentiert Heldmann. „Es wäre undemokratisch, diesen Volksentscheid zu ignorieren.“
Zu den Themen, die den Berlinern unter den Nägeln brennen, gehört auch die von der Innensenatorin Iris Spranger (SPD) geplante Polizeiwache am Kottbusser Tor. Die Gegend im Stadtteil Kreuzberg ist bekannt als Drogenumschlagplatz und für Straßenkriminalität. Die Berliner Polizei stuft sie als sogenannten kriminalitätsbelasteten Ort ein.
Die Grüne Jugend Berlins steht der Sache sehr skeptisch gegenüber. „Mehr Polizei ist nicht gleich mehr Sicherheit, zumal Polizei vor Ort das einzige ist, was nicht fehlt.“ Am Kottbusser Tor gebe es viele Probleme, aber die SPD „interessiert sich nicht für eine Verbesserung“. Stattdessen plädiert die Grüne Jugend dafür, dass es in der Gegend mehr Jugend- und Familienzentren, mehr Sozialberatung und mehr sogenannte Drogenkonsumräume wie die von der Initiative „Fixpunkte“ geben soll.
Senat in die Pflicht in puncto Klima nehmen
Sehr an Klimathemen interessiert, haben die Akteure auch die Empfehlungen der Aktionen des Berliner Klimabürger:innenrats Mitte vergangenen Jahres verfolgt. „Es versteht sich von selbst, dass alle Empfehlungen des Berliner Klimabürger:innenrats übernommen und umgesetzt werden.“ Unter anderem sei es wichtig, dass Verbrenner „raus der Stadt“ kämen und dass leerstehende Gebäude in Wohnraum umgewandelt würden, so Kasimir Heldmann. Nach den Neuwahlen am 12. Februar wolle man auch Druck auf die Grünen machen, die Empfehlungen des Klimabürger:innenrats mit in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. „Der Senat muss hier in die Pflicht genommen werden“, erläutert der Sprecher.
David Lange, der jetzt seit seinem Umzug in die Hauptstadt bei der Berliner Grünen Jugend aktiv ist, hilft in diesen Tagen beim Wahlkampf aus. So verteilt er Flyer der Partei an Passanten in seinem Stadtteil. Dort wird er manchmal mit Anfeindungen konfrontiert. Etwa dann, wenn Menschen ihm und seinen Mitstreitern das Wort „Kriegstreiber“ entgegenrufen. Seit dem Ukrainekrieg stehen die Grünen, die sich noch im Wahlkampf 2021 mit ihrer Haltung gegen Waffenexporte exponiert hatten, bei einigen in der Kritik. Das ist weder für David Lange noch für den Landessprecher ein einfaches Thema. „Deutschland steht an der Seite der Ukraine. Da reichen keine Worte und klar ist, dass auch Rüstung geliefert werden muss“, sagt Kasimir Heldmann. „Bei den Sanktionen hätten wir uns Konkreteres und Besseres gewünscht. Allgemeine Sanktionen treffen die Bevölkerung. Dabei hätte man gezielt den kleinen Kreis der Entscheider in Russland treffen können. Fast jedes Kind der russischen Oligarchen studiert im europäischen Ausland oder in den USA. Dort wären gezielte Sanktionen sinnvoller gewesen.“
David Lange kann noch keine eindeutige Position zu diesem Thema beziehen. „Es ist klar, die Ukraine zu unterstützen. Aber anfangs war ich skeptisch, da ich Waffen ablehne“, sagt der 20-Jährige. „Aber jetzt verstehe ich auch den Punkt der Selbstverteidigung.“ Allerdings müsse man aufpassen, diesen Krieg durch Waffenlieferungen nicht noch größer zu machen.