Nancy Faeser ist SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Hessen – und bleibt Innenministerin. Das war ebenso erwartbar wie die Reaktionen und Spekulationen.
Nancy Faeser ist Ende Januar bei der Verleihung der Goldenen Sterne des Sports in der Volksbankzentrale am Brandenburger Tor richtig gut drauf. Gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier darf die Innen- und damit auch Sportministerin Freizeit-Sportler und ihre ehrenamtlichen Funktionäre für ihr Engagement ehren. Ein Wohlfühltermin – und vielleicht der letzte auf absehbare Zeit.
Eine Woche später erklärt die 52-Jährige dann offiziell, was längst klar schien: Nancy Faeser tritt am 8. Oktober bei der Landtagswahl für die hessische SPD als Spitzenkandidatin an. Doch ihren Job als Bundesinnenministerin will sie zeitgleich weiterführen und nicht vorzeitig nach Hessen in die Landespolitik zurückkehren. Dabei setzt Faeser noch einen drauf: Sollte sie bei der Landtagswahl nicht als zukünftige Ministerpräsidentin durchs Ziel gehen, dann will sie in ihrem Amt als Bundesministerin in Berlin verbleiben. Oppositionsführerin im hessischen Landtag ist demnach nicht ihre Option. Dafür habe sie „die absolute Rückendeckung des Bundeskanzlers“, so Faeser vor Hauptstadt-Journalisten.
Die Doppelgleisigkeit kann gutgehen, muss aber nicht.
Für die Opposition im Bundestag wie auch Medien ist es jedenfalls eine Steilvorlage. „Teilzeit-Innenministerin“ titelten die Boulevardblätter. Es folgte, was in diesen Zeiten unvermeidlich folgt, nämlich ein Shitstorm im Netz. Aber nicht nur von dort und von der Opposition kam Unverständnis und Kritik. Aus den Reihen des grünen Koalitionspartners meldete sich Fraktionsvize Konstantin von Notz vernehmbar: „Das Amt einer Bundesinnenministerin braucht die volle Aufmerksamkeit. Das ist kein Teilzeitjob.“ Damit ist ein Begriff gesetzt, der den Wahlkampf dauerhaft begleiten wird.
Viel Getöse zum Wahlkampfstart
Der Hessenwahlkampf ist mit der SPD-Spitzenkandidatur von Nancy Faeser bereits jetzt im Februar in der Ampel-Bundesregierung angekommen. Das ständige Hickhack, was bislang vor allem zwischen den Grünen und FDP bestimmend war, wird nun auch zwischen SPD und Grünen zunehmen.
Ganz abgesehen davon, dass es für das Experiment Doppelrolle keine Erfolgsgarantie gibt, sind es praktische Fragen, über die man sich im politischen Berlin und vor allem auch medial intensiv den Kopf zerbricht. Wie ist das zum Beispiel mit dem Twitter-Account von Faeser? Dieser wird von Mitarbeitern des Bundesinnenministeriums betreut. Zukünftig werden dort weiterhin Pressestatements zu Fragen der inneren Sicherheit verbreitet. In der Union fragt man sich, wieviel Wahlkampf wird sich in den kommenden Monaten da untermischen.
Auch über die Überwindung von Raum und Zeit macht man sich gern spekulative Gedanken: Will Faeser im Rahmen ihres eng getakteten Terminkalenders spätestens im Sommer vernünftig Wahlkampf machen, dann geht dies praktischerweise nur per Hubschrauber. Mal eben schnell von Berlin in den Main-Taunus-Kreis zu Wahlkampfveranstaltungen mit der Limousine wird nicht funktionieren. Gerade ihre hessischen Gegenkandidaten von CDU, FDP oder Grünen sehen darin einen klaren Wahlkampfvorteil für Faeser und haben dabei das Bild vor Augen, wie Faeser die große Berliner Bühne bespielt und dann eindrucksvoll mit einem Helikopter zum Wahlkampf einschwebt. Rein rechtlich ist die Sache im Grunde klar. Aber auch schon Angela Merkel musste sich in ihren Wahlkämpfen, die sie als Bundeskanzlerin bestritten hatte, derartige Vorhaltungen immer wieder gefallen lassen. So ist das eben mit dem Amtsbonus. Darum mutet die ganze Debatte um die „Teilzeitministerin“ auch etwas merkwürdig an. Bei Bundeskanzlerin Merkel und ihren Vorgängern wäre niemand auf die Idee gekommen, dass eine Regierungschefin nicht nebenbei auch noch ihre Wahlkampftermine absolvieren kann.
Natürlich wurden angesichts Faesers anstehender Doppelrolle prominente Beispiele aus der Geschichtskiste gezogen, um Chancen und Risiken zu diskutieren.
Als Erstes fällt einem sofort Norbert Röttgen (CDU) ein. Der hatte sich neben seiner Tätigkeit als Bundesumweltminister2012 als Spitzenkandidat um den Job als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen beworben. Allerdings damals mit dem Unterschied, dass „Muttis Bester“, wie er selbst von seinen Parteifreunden veralbert wurde, nicht „Muttis“ Segen für seine Doppelrolle hatte. Die NRW-Landtagswahl ging für Röttgen schief und Bundeskanzlerin Merkel schmiss ihn dann auch noch aus ihrem Kabinett, weil er nicht auf sie gehört hatte.
Ausgerechnet Hessen liefert aber zwei Beispiele mit gleicher Ausgangslage aus der Vergangenheit, die zeigen, wie es auch gehen kann. 1995 wollte der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) Ministerpräsident in Hessen werden, und hatte dafür die Unterstützung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Bei der Landtagswahl in Hessen scheiterte Kanther zwar, aber er blieb weitere drei Jahre Bundesinnenminister, bis zum Ende der Kanzlerschaft im November 1998. Das umgekehrte Beispiel liegt noch etwas weiter zurück. 1986 würde Walter Wallmann (CDU) Bundesumweltminister, im darauffolgenden Jahr kandidierte er in Hessen – und wurde 1987 Ministerpräsident.
Der Rückblick zeigt: Möglich ist alles, und so einzigartig ist die Situation nicht. Allerdings stellt sich die Frage, wie hilfreich solche Vergleiche sind, in einer Zeit und einem politischen Umfeld, wofür gemeinhin inzwischen das Wort von der Zeitenwende steht.
All das, was jetzt diskutiert wird, wird sich Nancy Faeser im Entscheidungsprozess allerdings auch angesehen haben, und damit auch das, was ihr jetzt entgegenschlägt, geahnt haben.
Offenes Rennen bei Wahl in Hessen
Erwartbar ist, dass es für die amtierende Bundesregierung mit Faesers Doppelrolle nicht unbedingt einfacher wird. Läuft im Bereich innere Sicherheit etwas schief – oder auch nur nicht ganz optimal – wird es automatisch heißen, die Bundesinnenministerin sei überfordert und Kanzler Scholz in der Verantwortung.
Interessant wird aber auch, welche Rolle die Grünen in diesem Zusammenhang spielen. In Berlin sind sie bekanntlich in einer Ampelkoalition, in Hessen regiert Schwarz-Grün – durchaus erfolgreich, zumindest gemessen daran, dass aus Hessen wenig an Koalitionsstreit zu hören war, weder zunächst mit CDU-Miniterpräsident Volker Bouffier, noch nach dessen Rückzug mit seinem Nachfolger Boris Rhein. Für die Grünen ist es strategisch nicht unklug, sich die Optionen sowohl mit Blick auf SPD wie auch CDU offen zu halten.
Hessen verspricht ein offenes Rennen für die Wahl im Herbst.
Die CDU mit Ministerpräsident Boris Rhein hatte zwar bei letzten Umfragen die Nase leicht vorn (27 Prozent), die Grünen mit Tarek Al-Wazir lagen mit der SPD gleichauf (beide 22 Prozent), aber die Zahlen sind schon etwas älter.
Der Spitzenkandidat der Grünen, amtierender Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident Al-Wazir, will endlich, im dritten Anlauf, Ministerpräsident werden. Er gilt bei den Grünen als Superpragmatiker, in Krisenzeiten keine schlechte Voraussetzung.
Boris Rhein (CDU) ist erst seit einem knappen Jahr im Amt, macht aber als eher liberaler Konservativer einen anerkannten Job. Mit Nancy Faeser wird es ein spannendes Triell.
Wie überhaupt der 8. Oktober mit der gleichzeitigen Wahl in Bayern die politischen Blicke auf sich zieht.
Für manche Beobachter ist der Tag dieser Doppelwahl in zwei großen Bundesländern so etwas wie das Zwischenzeugnis der Ampel-Regierung – und der Opppositon, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach der Bundestagswahl. Zugleich haben aber die vorherigen Landtagswahlen gezeigt, wie sehr landespolitische Aspekte den Ausgang bestimmt haben.