In der EU sind seit Januar vier Insektenarten als Bestandteile von Lebensmitteln zugelassen. Insekten-Food gilt als gesund, nachhaltig und umweltfreundlich. Doch die neue Marktnische ist nicht ganz unbedenklich.
Ganz gleich, ob im Mehrkornbrot, im Müsliriegel oder in Molkepulver, ob in Chips oder in Crackern – fast alle Fertigprodukte können jetzt angereichtert sein mit Hausgrillen oder den Larven des Getreideschimmelkäfers – bekannt auch als „Buffalowurm“. Beide Insektenarten hat die Europäische Union (EU) am 24. Januar als Bestandteile von Speisen zugelassen. Die EU-Verordnung sieht die beiden allerdings nur in pulverisierter oder anders getrockneter Form als Beigabe vor. Diese Zulassung gilt laut Verordnung der Staatengemeinschaft in Brüssel allerdings nur für das vietnamesische Unternehmen Cricket One Co. Ltd. Es hatte im Vorfeld einen Antrag gestellt. Erst nach fünf Jahren dürfen auch andere Produzenten Hausgrillen (Acheta domesticus) oder Getreideschimmelkäfer (Alphitobius diaperinus) pulverisieren und vertreiben. Dass die EU Insektenarten als Bestandteil von Lebensmitteln zulässt, ist indes nicht neu. Bereits im Jahr 2021 wurde im Frühjahr erst der Mehlkäfer (Tenebrio molitor) und im Herbst die Wanderheuschrecke (Locusta migratoria) in pulverisierter Form von der Behörde in Brüssel erlaubt.
Monika Walch, eine Vertreterin der Südtiroler Handelskammer „Confesercenti“ im italienischen Bozen, scheint keinerlei Bedenken hinsichtlich pulverisierter Hausgrillen in Pizzateig, Kuchen und Co. zu haben. „Warum nicht?“, zitiert die Medienagentur EFA-News (European Food Agency) die Südtirolerin. „Der Geschmack von Grillenmehl ist ausgezeichnet, mit einem leichten Hauch von Haselnuss, der gut zu vielen Zutaten passt, auch in traditionelleren Gerichten.“ Darüber hinaus sei das Mehl „sehr nahrhaft“. Es beinhalte „über 65 Prozent vollständige Proteine, die aus allen neun essenziellen Aminosäuren bestehen“. Der Verzehr von Insekten trage „positiv zur Umwelt und zur Gesundheit“ bei, heißt es in einer Erklärung der EU-Kommission. Auch die Verbraucherzentrale stuft den Nährstoffgehalt als gesundheitsförderlich ein. Essbare Insekten seien eine „exzellente Quelle“ von Omega-3-Fettsäuren, B-Vitaminen und wichtigen Mineralstoffen“, heißt es auf dem Webportal. Die Massenhaltung der Kriech- und Krabbeltiere gilt als umweltschonend, da Grillen, Käfer und Co. weniger Platz und Ressourcen benötigen als etwa Rinder oder Schweine.
Für alle Lebensmittel, die Insekten enthalten, gilt: Diese müssen in ihrer Zutatenliste klar und verständlich gekennzeichnet werden. Dabei müssen der lateinische und der deutsche Name genannt werden. Zusätzlich muss angegeben werden, in welcher Form das Insekt verwendet wurde, etwa Pulver oder Paste. Vorgeschrieben ist auch eine Allergenkennzeichnung und Keimreduktion. Bei Menschen, die gegen Chitin allergisch sind, könnte der Verzehr von beigemischten Insekten zu allergischen Reaktionen führen. Chitin ist der Hauptbestandteil von Krebstieren und Insektenpanzern. Für all die Insektenarten, die als Nahrung oder Nahrungszusatzstoffe vor dem Jahr 2018 nach Europa eingeführt wurden, gibt es laut Verbraucherzentrale weder eine Pflicht zur Allergenkennzeichnung noch eine zur Keimabtötung. Für sie gilt bislang noch eine Übergangsregelung.
Zoonosen nicht ausgeschlossen
Zudem besteht bei dem Konsum von Insektenfood die Gefahr von Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden. Zwar sei die „Wahrscheinlichkeit für Zoonosen“ relativ gering, aber nicht auszuschließen, heißt es auf dem Portal. Man wisse noch wenig über die Krankheiten, die Insekten befallen können. Bedenklich ist auch der Einsatz von Arzneimitteln wie Antibiotika, Hormonen oder anderen Chemikalien. „Die Züchter in Europa weisen darauf hin, dass die Insekten bisher ohne den Einsatz von Antibiotika, Hormonen oder anderen Chemikalien gezüchtet werden, doch neutrale Kontrollergebnisse gibt es bislang nicht“, heißt es bei der Verbraucherzentrale. Zudem gibt es bisher noch keine speziellen Hygienevorgaben für Speiseinsekten. So fehlen etwa klare Vorgaben zur Zulassung und Identitätskennzeichnung für Insektenproduzierende und -verarbeitende Betriebe. Unklar bleibt der Einsatz von Arzneimitteln wie Antibiotika oder Fungiziden bei der Insektenzucht.
Auch für Veganer und Vegetarier stellt der Verzehr von Insekten als angeblicher Fleischersatz keine Alternative dar. Zumindest wenn der Verzicht auf Fleischkonsum vorrangig aus ethischen Gründen erfolgt. Schließlich werden die Hausgrillen und Getreideschimmelkäfer eigens dafür gezüchtet, um später getötet und verzehrt zu werden. Bislang gibt es zum Beispiel keine Haltungsvorschriften für Insekten in Deutschland – etwa dazu, wie viel Platz welche Insektenart benötigt.
In der Zwischenzeit hat manches Start-up-Unternehmen Insekten als neuen Ernährungstrend für sich entdeckt. Die Münchner Firma Wicked Cricket vermarktet Delikatessen wie Grillen mit rosa Pfeffer, Wildkräutern, Chili oder Zimt und Zucker. Der Hype hat seinen Preis: Die 15-Gramm-Tütchen mit den Heimchen kosten knapp fünf Euro. Die Grillen werden auch nicht pulverisiert, sondern im Stück angeboten. „Nur die Beine verarbeiten wir nicht“, zitiert die Lebensmittelzeitung den Wicked-Cricket-Manager Michael Günter. Von den Käufern, meist 25- bis 35-jährige Männer, werde der Verzehr „häufig als Mutprobe angesehen“. Entsprechend liegt der Jahresumsatz auch nur im niedrigen vierstelligen Bereich.
Dabei scheinen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts You-Gov vom Juni 2021 viele Europäer gar nicht so abgeneigt, die proteinreichen Krabbeltiere zu kosten. Unter den Europäern scheinen Deutsche und Franzosen für diese Idee am empfänglichsten zu sein: Laut der Umfrage gibt fast jeder Fünfte ab 18 Jahren an, dass er bereit sei, gekochte Insekten zu konsumieren (19 Prozent). Etwa jeder Vierte würde zustimmen, Lebensmittel zu konsumieren, deren Zutaten Insekten enthalten. In Italien wären 17 Prozent der Befragten bereit, Gerichte zu essen, die Insekten enthalten. 13 Prozent erklärten, am Stück zubereitete Insekten zu verspeisen.