Halbleiterfabriken in der EU sind nichts Neues – gezielt politisch gesteuerte Investitionen in diese schon. Sie sollen den europäischen Markt resilienter gegen Schwankungen und unterbrochene Lieferketten machen.
Verbände, Gewerkschaften und die Politik – allesamt sind sie voll des Lobes angesichts des Projekts einer neuen Halbleiterfabrik im Saarland. Wegweisend ist dieses zum einen regional für den saarländischen Strukturwandel: Industrie ja bitte, aber weg von der Automobilzulieferermonokultur, die (etwas überspitzt formuliert) derzeit die Wirtschaft des kleinsten Flächenbundeslandes dominiert. Denn die Halbleiter könnten auch Verwendung in anderen Starkstromanlagen finden. Zum anderen hat die Ansiedlung Bedeutung über das Saarland hinaus.
Mit Blick auf Deutschland bedeutet der Bau der Halbleiterfabrik eine deutliche Stärkung des Standortes. Denn dies ist die zweite transnationale Chip-Fabrik nach der des US-Herstellers Intel in Magdeburg (die jedoch aktuell wieder auf der Kippe steht, Intel verlangt mehr staatliche Fördergelder). Bosch und der deutsche Chiphersteller Infineon planen eigene Fabriken in Dresden.
Für die an der Wolfspeed-Fabrik beteiligte ZF verbinden sich hier gleich mehrere Vorteile: Durch die direkte Beteiligung des – bisherigen – Getriebe-Spezialisten aus Friedrichshafen an dem US-Unternehmen kauft man sich in einen neuen Markt ein. Die Investition in Höhe von 170 Millionen Euro und die in Aussicht gestellte gemeinsame Forschungseinrichtung für Siliziumkarbid-Technologie sollen ZF und das Joint Venture mit Wolfspeed weiter zukunftsfest machen. Daran arbeiten das Friedrichshafener Management und das des größten deutschen ZF-Werkes bereits seit Jahren.
Fördergelder locken Investoren
Der bisherige Markt für Autozulieferer ist im Umbruch. Gebraucht werden mehr und mehr Chips, Software, effiziente elektrische Systeme. Wolfspeed profitiert durch Wissensaustausch, mögliche Fachkräfte aus dem nahen ZF-Standort im Saarland und einen nach Umsatz potenteren Partner. Das über 35 Jahre alte Chip-Unternehmen gehört bislang nicht zu den Prominenten der Branche. Erst durch den Durchbruch der Siliziumkarbid-Technologie wuchs das Interesse auch von ZF, die bereits 2019 eine Partnerschaft mit dem US-Unternehmen eingegangen war. Für die Europäische Union ist die Fabrik eine Investition in die eigene Versorgungssicherheit mit zukunftsträchtigen Halbleitern. Zwar kommt die Nachricht inmitten einer handelspolitischen Debatte zwischen den USA und der Europäischen Union. Dabei geht es jedoch nicht vorrangig um Halbleiter, sondern um „Protektionismus“ in Sachen Klimaschutz, wie die EU den Vereinigten Staaten vorwirft. Subventionen und Steuergutschriften sind nach einem Gesetz der Regierung Biden daran geknüpft, dass Unternehmen US-Produkte verwenden oder in den USA produzieren.
Eine neue Chipfabrik eines US-Herstellers aber könnte dagegen von EU-Subventionen profitieren. 20 bis 25 Prozent der Investitionskosten sollen von der Europäischen Union kommen, das erwarte Wolfspeed, so Unternehmenschef Gregg Lowe bei der Vorstellung des Projektes in Ensdorf. Das wären etwa 690 Millionen Euro, basierend auf der geschätzten Investitionssumme von etwa 2,75 Milliarden Euro. Den Weg freigemacht hat die EU für solcherlei Zahlungen bereits vor Monaten, sie laufen unter dem Kürzel IPCEI. Es bezeichnet wichtige Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse – wie beispielsweise die Unabhängigkeit von Nicht-EU-Staaten bei der Produktion von Halbleitern.
Führend auf dem Markt für Halbleiter ist der Branchenriese TSMC mit einem jährlichen Umsatz von 40 Milliarden US-Dollar. Das Problem: TSMC produziert derzeit hauptsächlich in Taiwan, seinem Stammsitz. Strategisch eine ungünstige Position für den Markt, angesichts der immer lauteren Drohung der Volksrepublik China, den im Vergleich winzigen Bruderstaat im Südchinesischen Meer notfalls mit Gewalt „wiedereinzugliedern“. Klar, dass die Europäische Union nach Alternativen sucht. Für das Saarland, das aktuell versucht, sich von einer aus der Bahn geworfenen Auto- und Automobilzulieferbranche etwas unabhängiger zu machen, wäre eine EU-Subventionszusage für die Fabrik eine erhebliche Wertsteigerung. Nach Auskunft des saarländischen Wirtschaftsministeriums ist der Antrag auf eine IPCEI-Förderung bereits an die Europäische Union herausgegangen.
EU-Marktanteile ausbauen
Schon jetzt kann das Saarland fünf IPCEI-Vorhaben für sich verbuchen, die den Einsatz von Wasserstoff als Energieträger voranbringen sollen: Drei Teilprojekte beschäftigen sich unter anderem mit der industriellen Produktion von „grünem“ Stahl durch den Einsatz von Wasserstoff. Ein Projekt von Bosch, dessen Förderzusage nach Angaben des saarländischen Wirtschaftsministeriums im ersten Halbjahr 2023 erwartet wird, soll zur ersten europäischen Massenproduktion von stationären Brennstoffzellen führen, beispielsweise für Blockheizkraftwerke. Ein Projekt von H2 Mobility Deutschland will den Ausbau der Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland vorantreiben. Im Saarland sollen damit eine bestehende Tankstelle ausgebaut und eine weitere geplant und gebaut werden, Förderzusagen für diese Projekte gibt es aber noch nicht.
Während jedoch Europa keinesfalls all den benötigten Wasserstoff selbst herstellen kann und dort auch auf absehbare Zeit von Zulieferungen abhängig sein wird, könnte immerhin der Halbleitermarkt zum Großteil von Fabriken in der EU gedeckt werden. Schon jetzt stehen nach Angaben von Marktexperten über 100 dieser Fertigungswerke in EU-Staaten, 40 davon in Deutschland. Damit deckt die EU einen Marktanteil von knapp zehn Prozent ab – zu wenig angesichts des künftigen Bedarfs und der Risiken. Bis 2030 will die EU daher mit ihrem „Chips Act“ und damit einhergehender Investitionen diesen Marktanteil auf 20 Prozent ausbauen. Bis dahin sollen Investitionen von 43 Milliarden Euro diese Steigerung kofinanzieren. Dieses sollen private, langfristige Investitionen in etwa gleicher Höhe anschieben.
Gelingt dies und erhält die Fabrik von Wolfspeed und ZF im saarländischen Ensdorf eine IPCEI-Förderung – wovon derzeit ausgegangen wird –, fließen weitere Milliarden in das derzeit vom Strukturwandel stark betroffene Bundesland. Dies wäre ein Schritt zur strategischen Ausrichtung der Europäischen Union, bliebe aber, regional gesehen, nur ein Schritt in Richtung einer breiter aufgestellten Saar-Wirtschaft.