E-Autos und andere Hochspannungsnetze könnten von dem Einsatz der Siliziumkarbid-Technologie enorm profitieren. Im Grunde ist sie eine deutsche Erfindung – und ihr Grundstoff seit nunmehr 130 Jahren der Wissenschaft bekannt.
Hightech-Chips aus dem Saarland, produziert von einem US-Unternehmen in Zusammenarbeit mit einem baden-württembergischen Global Player. Das klingt komplex, ebenso wie das gemeinsam hergestellte Produkt: Siliziumkarbid-Halbleiter (SiC). Dahinter steckt das Ziel, vor allem stromstarke Technologien schneller und energieeffizienter zu machen. SiC-Chips könnten künftig vor allem in der Automobilbranche und für erneuerbare Energien bedeutsam werden.
Aufseiten der Batterieforschung werden in der Automobilindustrie die Fortschritte vor allem in der Energiedichte verzeichnet, sprich, die Batteriekapazität wird erhöht, die Kosten gesenkt, Stoffe wie natürliches Lithium könnten perspektivisch in Zukunft ersetzt werden. Ein weiteres Mittel, um E-Autos effizienter zu gestalten, liegt in der Elektronik. Denn dort könnten die neuartigen Chips zum Einsatz kommen. Das erhöhe ihre Reichweite, beschleunige das Aufladen der Batterie und senke die Kosten, so die Hoffnung.
Was ist dran an dieser Technologie? Professor Frank Mücklich ist Vorsitzender der European School of Materials und Direktor des Material Engineering Centers der Universität des Saarlandes. Schon vor Jahren arbeitete er an Siliziumkarbid-Materialien, allerdings als Auskleidung für Flugzeugtriebwerke und die Hitzeleitkacheln des Nasa-Space-Shuttles. Dass SiC nun auch die Welt der Chips erobert, ist für die Wissenschaft nur folgerichtig.
„Die besondere Eigenschaft von Siliziumkarbid ist, dass es bei hohen Temperaturen stabil bleibt“, sagt er. „Siliziumkristalle, aus denen die heute üblichen Chips gefertigt sind, entwickeln bei höheren Temperaturen ungewollte Eigenschaften, die das Halbleitermaterial zerstören.“ Smartphones gehen dann kaputt, ungekühlte Rechenzentren müssen ihren Betrieb rasch einstellen. Kann das Halbleitermaterial aber höhere Temperaturen – bei SiC geht es um circa 300 Grad – aushalten, ohne seine Stabilität einzubüßen, so kann es höhere Ströme leiten, höhere Spannungen aushalten. „Außerdem kann es dreimal mehr Wärme ableiten als Silizium, es kühlt sich also quasi selbst.“ Drittens seien SiC-Chips durchschlagsfester als übliche Chips, das heißt, es braucht sehr viel stärkere Kräfte, um einen Kurzschluss zu verursachen. „Hier ist Siliziumkarbid um den Faktor zehn sicherer gegen Kurzschluss“, erklärt Mücklich.
Warum ist nun das Material in der Automobilindustrie wichtig? Bei Elektroautos fließen große Ströme und Spannungen, vor allem dann, wenn das Auto an einem Schnelllader hängt und die Batterie in 15 bis 30 Minuten voll sein soll. Weil beim Aufladen einer E-Auto-Batterie hohe Temperaturen herrschen, müssen herkömmliche Silizium-Halbleiter, die etwa 100 Grad Celsius aushalten, derzeit aufwendig gekühlt werden, beispielsweise mit Ölkreisläufen. „Werden diese Kühlkreisläufe und ihre oft sperrigen Komponenten nicht mehr benötigt, weil Siliziumkarbid-Halbleiter verglichen mit Silizium höhere Temperaturen aushalten und ableiten, sinken Gewicht und Kosten des E-Autos“, sagt Mücklich – auch dann noch, wenn die SiC-Halbleiter teurer in der Fertigung seien als ihre Silizium-Geschwister, heißt es seitens der Industrie.
Zweitens sind SiC-Chips und ihre Steuergeräte sehr viel kleiner. Der Grund: Sie halten eine fünfmal höhere Spannung im Vergleich zu ihren Silizium-Verwandten aus. Dies wiederum führt dazu, dass die Chips erheblich dünner sein können. Elektrotechnisch bedeutet dies, dass infolgedessen ihr elektrischer Widerstand geringer und die Verlustleistung somit kleiner ist. Im Endeffekt geht weniger Strom verloren, es bleibt mehr Strom zum Fahren in der Batterie, das Auto fährt also länger.
Erste Forschungen in Deutschland in den 1950er-Jahren
Die Autoindustrie baut bereits 800-Volt-Batterien, manche sprechen von 1.000-Volt-Batterien. Je mehr Spannung ich habe, umso mehr Strom kann ich transportieren. Mit Siliziumkarbid können wir also eine völlig neue Leistungselektronik aufbauen“, sagt Mücklich. Wieviel mehr Reichweite ein E-Auto mit Siliziumkarbid-Technologie besitzen wird, sei jedoch nicht seriös vorhersagbar. „Es kommt auf die Größe des Autos an, die Zahl der verwendeten Chips und andere Faktoren.“
Insgesamt also besitzen die SiC-Halbleiter deutliche Vorteile. Diese machen sie nicht nur für die Autoindustrie, sondern insgesamt für die Starkstromübertragung interessant, also auch für erneuerbare Energien und angeschlossene Hochspannungsnetze.
Die Herstellung jener Halbleiter geschieht in Reinräumen, Umgebungen, in denen es kaum durch die Luft übertragene Partikel gibt, die das Material verunreinigen würden. Die heutigen Chips bestehen meist aus Silizium und werden auf sogenannten Wafern, dünnen Siliziumscheiben, hergestellt. Siliziumkarbid ähnelt chemisch einem Diamanten, ist eine Kohlenstoffverbindung und wird heute synthetisch mithilfe von Strom hergestellt. Die Halbleiter entstehen, „indem übliche und vor allem billige Siliziumchips mit Siliziumkarbid bedampft werden“, erklärt Prof. Mücklich.
Das Material SiC selbst ist seit Langem bekannt und wurde erstmals 1893 künstlich hergestellt, obwohl es selten in der Natur vorkommt. Schon in den 1950er-Jahren gab es in Deutschland erste Versuche, möglichst reine Siliziumkarbidkristalle im Labor zu züchten, federführend war hier die heutige Infineon AG, damals noch eine Fachabteilung von Siemens. Bis jedoch die Bedeutung der Kristalle für die Halbleitertechnologie klar war, vergingen einige Jahrzehnte. Heute gelten sie als eine der wegweisenden Innovationen für Leistungselektronik, also Elektronik mit großen Strömen und Stromspannungen. Und sie befinden sich bereits im Einsatz.
In Teslas Modell 3 werden bereits Siliziumkarbid-Chips eingesetzt. Mercedes und andere Hersteller wollen nun nachziehen. Im November vergangenen Jahres unterzeichneten der französische Stellantis-Konzern und Infineon einen Vertrag über die Lieferung von SiC-Halbleitern. Bosch, selbst einer der großen deutschen Autozulieferer, startete 2021 mit eigens gefertigten SiC-Chips und profitierte dabei von einer EU-IPCEI-Förderung für Mikroelektronik.
Die neuartigen Halbleiter versprechen bereits jetzt ein gutes Geschäft zu werden. Das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Yole rechnet damit, dass der gesamte SiC-Markt bis 2025 jedes Jahr im Schnitt um 30 Prozent auf mehr als 2,5 Milliarden US-Dollar wachsen wird. Mit rund 1,5 Milliarden US-Dollar soll der SiC-Automarkt den größten Anteil ausmachen. Viel Potenzial für einen futuristisch aussehenden Kristall. Viel Potenzial auch für das Saarland.