Mit der Milliardeninvestition in eine Halbleiter-Fabrik hat das Saarland auch international für Aufmerksamkeit gesorgt. Wirtschaftsminister Jürgen Barke über den verschärften internationalen Wettbewerb, den „Maschinenraum der Regierung“ und warum der Kanzler auch nochmal ins Saarland kommen würde.
Herr Barke, Bundeskanzler und Bundeswirtschaftsminister gemeinsam im saarländischen Ensdorf, bundesweite und internationale Aufmerksamkeit für die Ansiedlung von Wolfspeed. Was macht das Projekt so bedeutsam?
Das war schon ein großer Aufzug, auch mit vielen internationalen Journalisten. Wolfspeed ist ein international agierendes Unternehmen und stellt gerade für die Elektromobilität das beste Produkt her. Mit Siliziumkarbid-Halbleitern wird das elektromobile Fahren noch effizienter. Der Einsatz dieser hocheffizienten Chips wird sich auch in anderen Bereichen auswirken, etwa Windkraftanlagen. Das ist ein Produkt, das es bislang in Europa nicht gibt, und das wird jetzt in der weltweit größten Fabrik im Saarland produziert. Es wird ja immer viel spekuliert, wenn es um solche Investitionen geht, das Saarland kommt dabei meistens nicht vor. Aber am Ende kommt es dann anders. Wir sind schon stolz, dass das gelungen ist, es war aber auch viel Arbeit und alles andere als ein Selbstläufer.
Das Saarland ist, einmal mehr, in einer großen Umbruchphase. Was bedeutet die Ansiedlung für den Standort über die milliardenschwere Dimension hinaus?
Wir stehen permanent in einem internationalen Wettbewerb. Erst recht, wenn es um ein solches IPCEI-Projekt („Important Project of Common European Interest“, Anm. d. Red.) geht. Es steckt schon im Namen, dass es darum geht, Produkte/Projekte, die für die Lieferketten von besonderer Bedeutung sind, nach Europa zu holen. Und das findet jetzt im Saarland statt und dazu an einem ganz speziellen Ort. Die Kohle geht, der Chip der Zukunft kommt, und das umgesetzt im Brownfield, das Kraftwerk wird abgerissen. Das ist ein schönes Bild von Transformationsgeschichte und wird massive Auswirkungen auf die Zukunft der Wirtschaftsstruktur in diesem Land haben.
Was war ausschlaggebend für die Standortentscheidung?
Wir stehen im Wettbewerb der Länder und Regionen, was ein total spannendes Geschäft ist. Wir sind strukturschwächer als Bayern und Baden-Württemberg, das ist kein Geheimnis. Aber es gibt herausragende Skills, die dieser Standort hat: Es ist logistisch einer der besten Standorte, die es in Europa gibt. Es ist von der Stromversorgung einer der sichersten Standorte in Europa und einer der stromstabilsten Standorte in Deutschland mit dem Netzknoten von Amprion, der auch noch auf dem Gelände in Ensdorf liegt. Das sind Rahmenbedingungen, die zum Beispiel auch die grüne Transformation der Stahlindustrie möglich machen. Natürlich wissen auch viele, dass wir mit dem Antriebstrang (Anm. d. Red.: für Verbrenner) mit vielen tausend Arbeitsplätzen unter Druck stehen und viele hochqualifizierte, industriegewohnte, auch schichtdienstgewohnte Arbeitnehmer haben, die auch die Bereitschaft haben, die entsprechende Qualifizierung und Weiterbildung einzugehen. Wir eröffnen mit Wolfspeed Chancen zum einen für Menschen, die in diesem Land ihre Zukunft suchen, zum anderen auch für Unternehmen, die im Automotive-Bereich tätig sind. Die haben mit den Halbleitern ein überlebensnotwendiges Produkt für die Elektromobilität der Zukunft hier direkt vor der Haustür.
Also kommt in Zukunft keiner am Saarland vorbei?
So weit würde ich jetzt nicht gehen. Aber natürlich verbessert das die Qualität des Standortes mit einem Schlag auf besondere Art und Weise. Wir sind immer so ein bisschen als Underdog wahrgenommen worden. SVolt (Anm. d. Red.: Batteriefabrik, die in Überherrn geplant ist) hätte noch ein Zufall gewesen sein können. Aber natürlich wird man jetzt ein Stück weit anders auf uns schauen.
Gregg Lowe, der Chef von Wolfspeed, hat gesagt, er sei „verliebt“ in den Standort im Saarland. War das eine typisch amerikanische Übertreibung?
Wolfspeed ist ja mehr oder weniger auch aus einer Garage entstanden, hat sich durchgekämpft. Die sind jetzt mit einem Superprodukt am Markt, entwickeln sich enorm. Die Erfahrung, wie wir mit dem Ansiedlungsprozess umgegangen sind, war schon sehr überraschend für Wolfspeed. Bei uns sitzt der Minister immer mit am Tisch, wenn erforderlich auch die Ministerpräsidentin, und wenn es um Probleme mit (EU-)Förderung geht, dann ist die Ministerpräsidentin mit mir und den Unternehmen bei Robert Habeck. Da entstehen Vertrauen und Verbindlichkeit.
Welche Rolle spielt in dem Entscheidungsprozess ZF?
ZF spielt schon eine Schlüsselrolle. Das Joint Venture war in seiner Struktur ein wesentlicher Baustein. Wir haben das immer verknüpft gesehen – auch wenn wir in der Vergangenheit nicht öffentlich darüber reden konnten. Die Entscheidung, das ZF-Werk in Saarbrücken zum Standort für elektromobile Entwicklungen zu machen, hängt, wie man sich jetzt vorstellen kann, mit dem Joint Venture zusammen. Die wesentlichen Bauteile für die Elektro-Hinterachsen, die als erstes kommen sollen, sind mit Halbleitern ausgestattet, die vor der Haustür produziert werden. Die Partnerschaft von ZF und Wolfspeed wird fortgeführt. Das heißt aber nicht, dass Wolfspeed nur mit ZF unterwegs ist. Wolfspeed hat einen anderen Blick auf den Markt. Die werden auch mit anderen Unternehmen Produktentwicklung betreiben, an denen ZF nicht so stark interessiert ist, und dabei sehr selbstbewusst agieren. Es liegt jetzt an uns, zusammen mit Wolfspeed neben der Produktion der Halbleiter vornedran die Forschung und auch dahinter die gesamte Wertschöpfungskette hinzukriegen.
Wolfspeed ist ein großer Baustein, das Saarland hat aber noch eine Reihe anderer großer Baustellen. Wie passt sich die Investition da ein?
Wenn man sich das genauer ansieht – 3,5 Milliarden Invest, die bei Saarstahl geplant sind, plus hohe dreistellige Millionensummen, die bei Amprion investiert werden, plus die 2,6 Milliarden, die Gregg Lowe jetzt selbst als Investitionsvolumen ins Gespräch gebracht hat – das sind weit über sechs Milliarden, die in den nächsten Jahren im Saarland investiert werden. Das ist das größte Konjunkturprogramm, das dieses Land jemals gesehen hat. Möglich wird das durch das Instrumentarium des Transformationsfonds. Wir müssen jetzt das Momentum nutzen, denn ZF trifft jetzt seine Entscheidungen, wo die elektromobile Zukunft angesiedelt wird, Wolfspeed will jetzt investieren, die Stahlindustrie muss jetzt transformatieren, weil die Rahmenbedingungen jetzt da sind. Das Zentrale dabei ist die grüne Transformation der Standorte. Grüne Produkte kommen am Ende aus grünen Gebäuden auf grünen Flächen mit grünem Strom. Wir müssen auch nochmal massiv investieren in den Umbau der Infrastrukturen. Dafür haben wir individuelle Konzepte für die Standorte. In Zukunft wird jeder Hersteller bestraft, wenn in seinem Produkt auch nur ein Gramm CO2 drin steckt. Jetzt könnte mancher mit Strafen leben, je nach Verhältnis von Strafe und Höhe des Invests. Für die Stahlindustrie wäre es das definitive Aus wegen der Menge des Ausstoßes. Bei der Zulieferindustrie wird es so sein: Wenn es ein Wettbewerber CO2-frei hinkriegt, wird dort gekauft, weil es dann die geringsten Probleme gibt. Das heißt, von der ganzen Transformation der Infrastruktur hängt die Zukunft unseres Standortes ab. Das haben viele in der Reichweite noch gar nicht erfasst, auch nicht, was dort investiert werden muss. Möglich macht das der Transformationsfonds.
Dieser Drei-Milliarden-Transformationsfonds war ja angesichts der Größenordnung durchaus umstritten.
Wir adressieren mit dem Transformationsfonds die „drei I“: Infrastruktur, Industrie, Innovation. Wenn ich eine Ansiedlung wie Wolfspeed ins Land bekomme, entsteht eine neue Branche. Dafür brauche ich massive Investitionen im Hochschulumfeld. Ich muss mir die Studiengänge anschauen, damit auch Ingenieure ausgebildet werden, die Halbleiter produzieren, aber auch Produktentwicklung mit Unternehmenspartnern betreiben können. Ich brauche Weiterbildung, damit die ganzen Facharbeiter, die gut qualifiziert sind, die besonderen Fähigkeiten vermittelt bekommen. Weiterbildung und Qualifizierung wird mit ein Schlüssel werden auch für die Zukunft des Landes. Auch Zuwanderung wird eine Rolle spielen. Ich habe immer gesagt: Die Grundlagen für die Finanzierungsfähigkeit der Infrastruktur in diesem Land werden getragen von den Steuereinnahmen, die wir im Land generieren. Wenn ich 20.000 Industriearbeitsplätze verliere, was durchaus als Gefahr im Raum stand, dann verliere ich 1,4 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung und damit 300 Millionen Euro Steuereinnahmen – jährlich. Dazu kämen die demografische Entwicklung und Perspektivlosigkeit und damit Abwanderung. Jeder Einwohner weniger macht 5.000 Euro aus dem Länderfinanzausgleich. 20.000 Arbeitsplätze verloren, 20.000 Einwohner verloren, macht 400 Millionen Euro weniger. Wenn das das Szenario ist: 400 Millionen versus Kapitalzinsen für drei Milliarden Euro Transformationsfonds und das auf einer langen Zeitachse, dann ist das Investieren in die Zukunft dieses Landes kein Versündigen an den Generationen nach uns. Das Gegenteil ist der Fall.
Eine weitere Baustelle ist Ford in Saarlouis. Die Entscheidung von Ford im vergangenen Jahr war ja erst einmal ein Schlag ins Kontor. Wie ist das unter den heutigen Aspekten zu betrachten?
Ja, klar war das eine Entscheidung, die erst einmal ins Kontor gehauen hat. Und es war hoch ärgerlich. Wir wussten zu einem frühen Zeitpunkt, dass es keine rein wirtschaftliche Entscheidung wird. Denn wenn es allein nur nach den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gegangen wäre, wäre das Werk hier nicht zugegangen. Ford ist aktuell wegen der Entscheidung in Köln stark in der Kritik. Wir wissen, dass Ford 300.000 Fahrzeuge für Europa plant. Wir hatten allein in Saarlouis in einem Jahr über 400.000 Fahrzeuge gebaut (2004). Aber der Blick nach hinten interessiert mich eigentlich nicht mehr. Jetzt geht es darum, für den Standort Saarlouis die besten Lösungen zu finden. Wir sind in einem sehr intensiven Diskussionsprozess mit sehr vielen interessierten Unternehmen. Da wird im Moment viel spekuliert, was nicht unbedingt gut ist für diesen Prozess. Ich bin überzeugt, dass wir eine gute Lösung finden. Wenn es uns gelingt, am Ende dort ein relevantes Angebot an Arbeitsplätzen in einer oder mehreren Zukunftsbranchen zu machen, dann wäre es ein gutes Ergebnis und der Standort wäre resilienter. Diejenigen, die sich dort interessieren, sehen den Standort jetzt möglicherweise auch etwas anders.
Das Ansiedlungsgeschäft ist spätestens mit dem Inflation Reduction Act noch ein Stück schwieriger geworden. Selbst für Wolfspeed soll es angeblich am Schluss nochmal kritisch geworden sein. Was heißt das für die weitere Entwicklung?
Der Wettbewerb ist härter geworden. Viele denken darüber nach, ihre Investition doch nicht in Europa zu machen. Wenn man sieht, mit welchen Beträgen in den USA derzeit gehandelt wird, macht das viele nachdenklich. Das ist keine gute Entwicklung, darauf muss man auch reagieren, auch als EU-Kommission. Die EU der 27 und der Föderalismus in Deutschland machen in Sachen Reaktionsgeschwindigkeit durchaus Probleme. Man muss auch die Unternehmen verstehen. Wenn die Lieferverträge haben, dann ist klar, bis wann spätestens Entscheidungen vorliegen müssen. Das gilt auch für Wolfspeed. Wir sind sicher, dass die Entscheidung aus Brüssel zur Förderung von Wolfspeed bis Ende März kommt. Das hätte auch scheitern können. Es gibt welche, die aufgrund der langen Prozesse bei der EU-Kommission ihre Projekte abgesagt haben. Es gibt andere Orte auf der Welt, wo es schneller geht. Dass es für Wolfspeed mit der Förderung klappt, da habe ich keine Zweifel. Dabei hat die Ministerpräsidentin zusammen mit Robert Habeck, aber auch dem Kanzler, eine entscheidende Rolle. Aber es war kein Selbstläufer.
Stimmt eigentlich das Gerücht, dass die Amtssprache im Ministerium inzwischen Englisch ist?
(schmunzelt) Bei internationalen Projekten schon. Die Frage zielte auf das Selbstverständnis ab. Wir sind der Dienstleister für die Wirtschaft und Unternehmen, die in diesem Land sind und die an diesem Land Interesse haben. Die Hauptaufgabe ist, die Prozesse erfolgreich zu organisieren, und ich glaube, das machen wir ganz ordentlich. Für mich steht immer eine Idee dahinter. Die Pläne bei Saarstahl – das ist eine gute Nummer und es gibt viel Hoffnung für Leute, die bei Saarstahl arbeiten, und junge Leute, die sich dort für die Zukunft ausbilden lassen. Aber springt nur mit Saarstahl der Funke auf die jungen Menschen im Land über, hier ihre Perspektive zu sehen? Dann kann man sagen: ZF – ein Riesenwerk, tolle Produkte, zukunftsfähig. Aber ich glaube, die Halbleiterproduktion, die neue Branche mit allem, was sie an Sogwirkung auslösen wird, das ist, was Strukturwandel spürbar macht. So etwas muss sich aber auch als Gefühl im ganzen Land verstetigen. Ich glaube, dass es uns gelungen ist, viele Menschen zu überzeugen, dass hier ein erfolgreicher Prozess läuft. Aber um alle davon zu überzeugen, muss es jetzt auch bei Ford klappen, und wir müssen alle Potenziale, auch Flächenpotenziale nutzen, gerade jetzt, wo Zukunftsbranchen in den Markt gehen, in Europa, in Deutschland. Das ist harte Arbeit. Ich sage immer: Wir arbeiten im Maschinenraum der Regierung. Damit das Ding läuft, muss man jeden Tag an allen Knöpfen drehen. Auch bei den ganz normalen Themen: Insolvenzen, Restrukturierungen, Finanzierungen, Bürgschaftsbedarfe, Lieferketten, das ist das Tagesgeschäft. Dabei hatten wir noch nie so viele Großprojekte parallel: Wolfspeed, ZF, SVolt, Ford, Stahl. Und bei jeder Ansiedlung muss man mit einem konkreten Plan dran gehen. Wenn du im Wettbewerb bist, dann hast du am Ende nur einen Schuss.
Wann wird der Bundeskanzler zu einer ähnlichen Veranstaltung wieder kommen?
Gute Frage. Am liebsten jede Woche (lacht). Im Ernst: Dass dieser Standort perspektivisch Unterstützung braucht, ist auch dem Kanzler sehr bewusst. Wenn morgen eine Ansiedlung davon abhängt, ob der Kanzler kommt oder nicht, dann kommt der auch in vier Wochen zweimal. Es geht um ganz relevante Entscheidungen: für den Standort Saarland, für den Standort Deutschland.