Erwartungsgemäß hatte die Hauptstadt-CDU die Nase bei der wiederholten Berliner Senatswahl klar vorn. Doch ob Wahlsieger Kai Wegner auch Regierender Bürgermeister wird, steht in den Sternen. Jetzt kommt es auf Verhandlungsgeschick an.
Am Wahlabend um kurz nach 18 Uhr war Wahlsieger Kai Wegner in seinem ersten Statement vor seinen Parteifreunden erst einmal sprachlos. Nach fast einem Vierteljahrhundert hat die CDU an der Spree endlich mal wieder eine Senatswahl gewonnen. Vielleicht war es die Deutlichkeit des CDU-Vorsprungs vor SPD und Grünen von fast zehn Prozent, die Wegner zunächst die Sprache verschlagen hat. Oder aber der Umstand, dass er zwar der strahlende Wahlsieger von Berlin ist, allerdings das bisherige Rot-Grün-Rot-Bündnis rein rechnerisch weiter regieren könnte.
„Was mich am Wahlabend am meisten irritiert hat: dass SPD und Grüne nur noch darum gerungen haben, wer nun auf dem zweiten Platz landet, alles andere schien den Agierenden völlig egal zu sein“, so Wegner im Gespräch mit FORUM. Am Ende landeten beide Parteien bei 18,4 Prozent hinter der CDU. Doch die SPD fühlt sich, trotz historisch einmaliger Verluste in der Hauptstadt, als zweiter Sieger. Immerhin verbucht die Partei von SPD-Spitzenkandidatin und aktuell Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey ganze 105 Stimmen mehr für sich als ihre Koalitionspartnerin. Die Grünen-Kandidatin Bettina Jarasch musste sich zähneknirschend mit dem dritten Platz zufriedengeben. Damit hatte sie, aufgrund jener 105 Stimmen, ihr erklärtes Wahlziel denkbar knapp verfehlt.
Trotzdem gibt sich die 54-Jährige in den Tagen nach der Wiederholungswahl sehr selbstbewusst. Kein Wunder, ihr dritter Platz gibt ihr viel Beinfreiheit bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen, sowohl mit der CDU als auch mit der SPD. Möglich ist also die Fortsetzung des Rot-Grün-Rot-Bündnisses, das bereits regiert.
Das Besondere an dieser in der bundesrepublikanischen Parlamentsgeschichte einmaligen Wiederholungswahl: Hier wurde kein Parteienbündnis regulär abgewählt. Denn die 19. Legislaturperiode lief und läuft trotz des zwischenzeitlichen Urnengangs einfach weiter. Was das für den politischen Alltag bedeutet, erscheint auf den ersten Blick schwer umsetzbar: Erst machen Giffey und Jarasch gegeneinander Wahlkampf, während sie jeden Dienstag in der Senatsrunde zusammen weiter regierten. Jetzt laufen die Sondierungen am Verhandlungstisch, während gleichzeitig für SPD, Grüne und die Linke die regulären Amtsgeschäfte weiter laufen, alle Senatsbeschlüsse sind bindend. „Das ist ja das völlig Schizophrene an der ganzen Situation“, entfuhr es, darauf angesprochen, der Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch.
Für die Grünen heißt das historisch einmalige Wahlergebnis, dass sie jetzt noch einmal ihre politischen Forderungen an die Dreier-Koalition nachschärfen können. Will Giffey weiterhin Regierungschefin bleiben, werden sich das die Grünen in politischer Münze auszahlen lassen. Die nach der Wahl gerupfte SPD-Bürgermeistern ist damit in einer schwierigen Situation. Sie will unbedingt in ihrem Amt bleiben. Doch das geht nur mit den Grünen und der Linken. Also wird die SPD den Grünen weiter nachgeben müssen, zum Beispiel in der Verkehrspolitik oder bei deren Forderung, dass Berlin bis 2030 klimaneutral sein soll. Eine andere Regierungsvariante unter ihrer Führung gibt es für die Sozialdemokraten in der Hauptstadt nicht.
Auf der Suche nach Koalitionen
Anders sieht es für die Grünen aus: Auch mit der CDU könnten sie eine völlig neue Landesregierung als Juniorpartner bilden. Was allerdings wiederum Wahlsieger Kai Wegner einige politisch elementare Kompromisse abverlangen würde. Der 50-Jährige hatte noch im Wahlkampf-Endspurt aufgrund der Verkehrspolitik ein Bündnis mit den Grünen unter Jarasch so gut wie ausgeschlossen. Sein Credo: „Berlin ist für alle da, auch für Autofahrer.“ Damit hatte er vor allem in den Außenbezirken Berlins viele Stimmen geholt. Berlin ist laut dem Ergebnis der Wahlwiederholung vom 12. Februar nicht mehr in Ost und West gespalten, sondern in Innenstadt und Speckgürtel. „Wir müssen genau dieses Gegeneinander, Autofahrer gegen Radfahrer, Innenstadt gegen Außenbezirke, aufheben“, so Wegner. Doch ein schwarz-grünes Bündnis würde von der CDU gerade in der Verkehrspolitik sehr viel Entgegenkommen erfordern. Auch hier sind die Grünen die Königsmacher, ohne sie kein Regierender Bürgermeister Kai Wegner.
Eines spricht aus Sicht der Grünen für ein Bündnis mit der CDU: die personelle Verlockung. In einer Zweier-Koalition würden die Grünen mehr Senatorenposten abbekommen als in dem amtierenden und möglichen zukünftigen Dreierbündnis. Diese Verlockung gibt es aber auch aus SPD-Sicht. Und dies wäre dann für die Berliner CDU die zweite Variante: Sie könnte auch mit der SPD regieren. Was allerdings einiges voraussetzen würde, zum Beispiel Personalquerelen. Franziska Giffey würde wahrscheinlich kaum mit der Aussicht auf eine eigene Stellvertreterrolle eine Koalition eingehen. Also ginge ein schwarz-rotes Bündnis nur ohne Giffey. Darum wird nun mit Spannung erwartet, wie die sozialdemokratische Basis an der Spree auf die Klatsche für ihre Partei bei der Wiederholungswahl reagiert.
Immerhin hat die SPD das schlechteste Wahlergebnis seit der ersten Nachkriegswahl in Berlin vor über 70 Jahren eingefahren und der Unmut bei den Berliner Sozialdemokraten ist groß. Doch die machtbewusste Franziska Giffey wird wohl kaum freiwillig das Rote Rathaus, den Berliner Regierungssitz, räumen. Es sei denn, es findet sich schnell ein anderer Job für sie.
Zum Beispiel in der Bundesregierung. Nachdem Bundesinnenministerin Nancy Faeser ihre SPD-Spitzenkandidatur für die hessische Landtagswahl in knapp einem halben Jahr erklärt hatte, kam schnell das Gerücht auf, Franziska Giffey könnte ihr nachfolgen, damit Faeser sich voll auf ihren Wahlkampf in Hessen konzentrieren kann. Reine Spekulationen, aber nach dem desaströsen Abschneiden der Berliner SPD mit ihrer Spitzenkandidatin bei der Wiederholungswahl haben diese Gerüchte wieder einen wunderbaren Nährboden gefunden.
Doch dies hilft CDU-Wahlsieger Kai Wegner derzeit wenig. Mit den Grünen würde ein Bündnis äußerst schwierig, mit der SPD unter der derzeitigen Regierenden Bürgermeisterin und SPD-Landesvorsitzenden Giffey fast unmöglich. Damit könnte Kai Wegner tatsächlich zu einem König ohne Land werden: die Wahl zwar fulminant gewonnen, und dennoch könnte Rot-Grün-Rot die noch verbleibenden dreieinhalb Jahre der laufenden Legislaturperiode einfach weiterregieren. Auch wenn ihre politische Legitimation angeschlagen, wenn nicht sogar mehr als fraglich ist. Aber parlamentarische Mehrheiten sind nun mal Mehrheiten.