Wenn zu ergänzenden Nährstoffen wie Vitamin D, Magnesium oder Kalzium gegriffen wird, denkt keiner an Leberschäden oder Nierensteine. Wie das zusammenhängt, weiß Dr. med. Monika Rau.
Frau Dr. Rau, was genau versteht man unter Nahrungsergänzungsmittel?
Viele meinen, Nahrungsergänzungsmittel seien Arzneimittel. Doch das ist ein Trugschluss. Sie sind Lebensmittel. Es handelt sich dabei um Konzentrate von Vitaminen, Mineralstoffen und sonstigen Stoffen wie zum Beispiel Pflanzenextrakten, essenziellen Fettsäuren und Aminosäuren.
Woher kommt dieser Trugschluss?
Die Nahrungsergänzungsmittel werden in ähnlicher Form wie Medikamente dargereicht: Als Tablette, Pille, Pulver oder Saft. Verkauft werden sie häufig in Apotheken und Reformhäusern.
Wer kauft besonders gern Nahrungsergänzungsmittel?
Laut einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung vom März 2022 haben fast die Hälfte der Befragten angegeben, in den letzten sechs Monaten Nahrungsergänzungsmittel gekauft zu haben. Das zieht sich durch alle Altersklassen, wobei Frauen häufiger als Männer zu Zusatzpräparaten greifen.
Worin liegt die Problematik der Nahrungsergänzungsmittel?
Sie unterliegen keiner Zulassungspflicht. Sie sind staatlich weder auf Wirksamkeit noch auf Sicherheit geprüft. Zulässige Inhaltsstoffe sind nur für Vitamine und Mineralien gesetzlich geregelt. Es gibt jedoch keine Höchstmengenregelung für Vitamine und Mineralstoffe. Neben- und Wechselwirkungen werden im Unterschied zu Arzneimitteln auch nicht systematisch erfasst. Vor allem pflanzliche Produkte und Muskelaufbaupräparate werden für die weltweite Zunahme von Leberschäden verantwortlich gemacht.
Raten Sie grundsätzlich vor der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln ab oder gibt es Ausnahmen?
Gesunde Menschen, die sich in Deutschland ausgewogen im Sinne einer vollwertigen Kost ernähren, brauchen in der Regel keine Ergänzungsmittel. Für bestimmte Risikogruppen, wie zum Beispiel Schwangere, Stillende, Menschen über 65 Jahre und Veganer wird die Supplementierung von bestimmten Vitaminen und Mineralstoffen empfohlen und für Menschen, die einen nachgewiesenen Mangel haben.
Was sollten Schwangere besonders beachten?
Für Schwangere hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) eine klare Empfehlung: Frauen mit Kinderwunsch sollten schon vier Wochen vor der Schwangerschaft 400 mcg Folsäure nehmen und dies im ersten Drittel der Schwangerschaft fortführen. Auch Jod (100–150 mcg/d) und DHA (Docosahexaensäure) 200 mg/d, wenn kein Fisch verzehrt wird, sind empfehlenswert.
Gehen wir mal die bekanntesten Vitamine und Mineralstoffe durch. Was können Sie zu einer Zusatzeinnahme von Vitamin D sagen?
Das Sonnen-Vitamin D wird bis zu 80–90 Prozent mithilfe des Sonnenlichts hergestellt. Geringe Mengen können auch über die Nahrung aufgenommen werden, zum Beispiel über fetten Fisch, Eigelb und Leber. Vitamin D ist vor allem wichtig für die Knochenmineralisierung und reguliert den Kalziumhaushalt.
Für Menschen über 65 Jahre, die mobilitätseingeschränkt, chronisch krank oder pflegebedürftig sind, wie Pflegeheimbewohner, geriatrische Patienten, Osteoporose und sturzgefährdete Senioren kann zusätzliches Vitamin D sinnvoll sein. Gleiches gilt auch für Babys. Sie sollten direkte Sonneneinstrahlung meiden, brauchen aber Vitamin D für den Knochenaufbau. Ihnen wird Vitamin D als Medikament verschrieben, zur Prophylaxe einer Rachitis.
Grundsätzlich gilt: Hohe Dosierungen von Vitamin D nicht auf Verdacht einnehmen. Ein zu hoher Vitamin-D-Spiegel kann unerwünschte Nebenwirkungen haben, wie zum Beispiel ein zu hoher Kalziumspiegel, Nierenversagen und Nierenverkalkung. Diese Nahrungsergänzung sollte nur derjenige vornehmen, der tatsächlich einen Vitamin-D-Mangel hat.
Was können Sie zu Kalzium und Magnesium sagen?
Kalzium ist wichtig für Knochen und Zähne und wird gebraucht für die Funktion von Muskeln und Nerven sowie für die Blutgerinnung. Viel Kalzium steckt in Milchprodukten, Haselnüssen, grünem Gemüse wie Broccoli und in einigen Soja-Produkten. Hier reicht eine ausgewogene gesunde Ernährung aus.
Ähnlich verhält es sich mit Magnesium, einem der Top-Seller unter den Nahrungsergänzungsmitteln. Muskelkrämpfe bei Sporttreibenden sind häufig kein Zeichen für einen Magnesiummangel, sondern Zeichen für eine Fehlbelastung.. Auch hier gilt: Besser Magnesium über eine ausgewogene Nahrung aufnehmen, zum Beispiel über Nüsse, Sojaprodukte und Vollkornprodukte.
Eine Überdosierung durch eine sehr hohe Kalziumzufuhr kann langfristig zu Nierensteinen sowie zu Gefäßverkalkungen führen. Zu viel Magnesium kann zum Beispiel Durchfälle hervorrufen.
Omega-3-Fettsäuren werden viele heilsame Eigenschaften nachgesagt. Sie sollen Herzinfarkten und Schlaganfällen vorbeugen, bei Kindern die Konzentration verbessern und sogar vor Demenz und Krebs schützen. Was halten Sie davon?
Für die zusätzliche Einnahme von Omega-3-Fettsäuren bei gesunden Menschen gibt es keine klare Indikation. Einfacher und genussreicher ist es, ein- bis zweimal die Woche Fisch zu essen, zum Beispiel Hering, Lachs und Makrele, Walnüsse und verschiedene pflanzliche Ölen wie Rapsöl oder Leinöl.
Apropos Veganer: Brauchen Menschen, die bewusst auf alle Nahrungsmittel tierischen Ursprungs verzichten, spezielle Nahrungsergänzungsmittel?
Veganer können ihren Vitamin-B12-Bedarf mit herkömmlichen Lebensmitteln eigentlich nicht decken. Auch an weiteren Nährstoffen, wie essentielle Aminosäuren, Calcium, Zink, Selen, Jod, Eisen, Riboflavin, Vitamin D, Omega-3-Fettsäure kann es ebenfalls mangeln. Daher meine klare Empfehlung: Veganer sollten dauerhaft Vitamin B12 einnehmen sowie gezielt nährstoffdichte oder angereicherte Lebensmittel verwenden. Und das so lange, wie sie sich vegan ernähren.
Wie viele Vitamine brauchen wir?
Für einen funktionierenden Stoffwechsel sind Vitamine unentbehrlich. Unser Körper kann – bis auf wenige Ausnahmen – Vitamine nicht selbst bilden und muss sie mit der Nahrung aufnehmen. Wer sich ausgewogen mit Obst und Gemüse ernährt, ist ausreichend mit Vitaminen versorgt. Denn dort stecken nicht nur Vitamine, sondern auch Ballaststoffe und Polyphenole drin.
Für Heranwachsende, Schwangere, Stillende, Senioren und Menschen, die unter bestimmten Erkrankungen oder andauerndem Stress leiden oder sich sportlich betätigen, gilt: Sie müssen verstärkt auf eine ausreichende Vitaminzufuhr achten.
Ein erhöhter Alkoholkonsum kann auch mit einem Vitaminmangel einhergehen. Menschen mit einem schädlichen Alkoholkonsum weisen häufig auch eine unzureichende Kalorienaufnahme auf. Ihnen können damit auch wichtige Vitamine und Spurenelemente fehlen.
Spezielle Diäten erschweren eine optimale Vitamin- und Mineralstoffversorgung. Wer weniger isst, nimmt automatisch weniger Nährstoffe zu sich, umso wichtiger ist eine ausreichende Vitaminzufuhr.
Welche Folgen kann der unsachgemäße Gebrauch von Nahrungsergänzungsmitteln haben?
Die meisten Nahrungsergänzungsmittel sind zur Ergänzung des Speiseplans gedacht, sie gleichen eine ungesunde Ernährung nicht aus. Eine Kombination mehrerer Präparate sollte man wegen Überdosierung vermeiden. Den wenigsten ist bewusst, dass Nahrungsergänzungsmittel zu Wechselwirkungen mit Medikamenten beitragen und damit verschriebene Arzneimittel in ihrer Wirkung beeinträchtigen.
Insbesondere durch pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel haben Leberschäden weltweit zugenommen, sodass von einer ungezielten und nicht überprüften Einnahme von pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln abgeraten wird.
Mein Fazit lautete deshalb: Wer in Deutschland lebt, gesund ist und keine spezielle Diät durchführt, für den reicht in der Regel eine vollwertige und ausgewogene Ernährung aus, um seinen Bedarf an Mineralien und Vitaminen zu decken.