Nach gerade mal sieben Monaten Haft in England überbieten sich die Medien in ihren Spekulationen über die Zukunft Boris Beckers.
Nicht sonderlich clever von Boris Becker, den hiesigen Boulevard-Medien quasi frei Haus ein solch gefundenes Fressen zu liefern: Denn kaum war die Verwunderung über die frühzeitige Entlassung aus britischer Haft abgeklungen, zu der er wegen Verschweigens von Vermögenswerten im Zuge seines Privatinsolvenzverfahrens verdonnert worden war, meldete sich der Ex-Tennisstar und via Instagram aus dem Paradies zurück.
Genauer gesagt vom Strand der Vulkaninsel São Tomé, die im Golf von Guinea gelegen ist und zum winzigen Staat São Tomé und Principe gehört, dem Heimatland von Boris Beckers derzeitiger Lebensgefährtin Lilian de Carvalho Monteiro, die in London als Risikoanalystin in der Politik tätig ist. Dass sich ein Promi, der anno 2017 von einem Londoner Gericht für bankrott erklärt worden war, scheinbar ganz selbstverständlich zum Jahreswechsel 2022/2023 einen Luxusurlaub gönnen konnte, stieß hierzulande auf großes Befremden.
Manchmal fehlt das Feingefühl
Schließlich war der gebürtige Leimener seinen Rückzahlungsverpflichtungen für einen bei einer Privatbank aufgenommenen Millionenkredit zwei Jahre lang nicht nachgekommen. Deshalb wurde gegen ihn ein noch lange nicht abgeschlossenes Privatinsolvenzverfahren eingeleitet. Auch wenn der in Finanzbelangen ziemlich unbedarfte und nach eigenem Bekunden jahrelang auf falsche Berater pekuniär hereingefallene Becker schon 2017 in völliger Verkennung seiner angespannten Situation noch groß posaunt hatte, dass er zahlungsfähig sei. So äußerte er sich zu Beginn des Gerichtsprozesses vor sechs Jahren, bei dem es dem Vernehmen nach laut Schätzungen des Konkursgerichts um Schulden in Höhe von schlappen 59 Millionen Euro gegangen war.
Eine geradezu fürstliche Summe, die Becker wohl nie hätte aufbringen können. Denn sein beträchtliches Vermögen, das er im Prozess auf 25 Millionen aus Preisgeldern plus in etwa dem gleichen Betrag aus Werbe- und Sponsoring-Einnahmen beziffert hatte, war ihm wie Sand unter den Fingern zerronnen. Weshalb er sich nach seiner festen Niederlassung in London anno 2012 zur Finanzierung seines exzessiven Lebensstils zur Aufnahme von mit teils horrenden Zinsen behafteten Krediten bei Banken oder Privatpersonen gezwungen gesehen hatte. Erschwerend hinzu kamen seine Investitionen in fehlgeschlagene Projekte wie Autohäuser oder das Internetportal Sportgate, exquisite Immobilien, eine millionenschwere Scheidung von seiner ersten Frau Barbara oder die Begleichung seiner diversen Unterhaltsverpflichtungen. Bei all diesen Transaktionen schien ihm nach und nach der Überblick über seine tatsächliche finanzielle Lage total abhandengekommen zu sein.
Nach Verbüßung von gerade mal sieben Monaten der ursprünglich auf zweieinhalb Jahre angesetzten Haftstrafe ist Becker, der mit seinem Wimbledon-Sieg 1985 im Alter von 17 Jahren den Tennissport in Deutschland populär gemacht hatte, seit dem 15. Dezember 2022 wieder ein freier Mann. Mit der Auflage, bis zum Herbst 2024 nicht mehr britischen Boden betreten zu dürfen. Das Strafverfahren gegen ihn ist abgeschlossen. Somit wird er den Rest seiner Haftstrafe auch nicht mehr in Deutschland absitzen müssen, wohin er von den britischen Behörden frühzeitig im Rahmen eines Programms zur Entlastung der überfüllten englischen Gefängnisse abgeschoben worden war.
Das gegen ihn auf der Insel eingeleitete Insolvenzverfahren bleibt aber weiterhin in Kraft, bezieht sich auf sämtliche weltweiten Vermögenswerte Beckers und gilt auch für Deutschland. Es wird in den Worten des Ex-Tennisstars erst dann abgeschlossen sein, „wenn alles, was einmal mir gehörte, verkauft ist." Bei etwaigen künftigen Geschäften Beckers mit hiesigen Partnern muss zudem der britische Insolvenzverwalter eingeschaltet werden, sprich ein Teil des Geldes wird erst über London auf Beckers Konto landen. Wie hoch genau sein Anteil an künftigen Einnahmen sein wird, ist offiziell nicht bekannt. Becker selbst hat verlautbaren lassen, dass er in etwa mit der Hälfte rechnen könne. „Wahrscheinlich wurde eine entsprechende Vereinbarung mit dem Insolvenzverwalter getroffen, die ihn motivieren soll weiter zu arbeiten", so der Fachanwalt für Insolvenzrecht Hans Georg Fritsche aus Hannover gegenüber der „FAZ". Denn nur wenn Becker sich stark beruflich engagieren werde, könnten die Schuldner auf Geldzahlungen hoffen.
Über die Höhe der von Becker im Laufe des Insolvenzverfahrens bislang geleisteten Zahlungen gibt es ziemlich widersprüchliche Angaben. Laut dem „Focus" soll Becker dem Insolvenzverwalter vier Millionen Euro erstattet haben. Noch diffuser sind die Spekulationen über die Höhe der ausstehenden Restschuld, „Bild" nannte eine vergleichsweise läppische Summe von 435.000 Euro. Anderen Medien zufolge muss er noch bis mindestens 2031 einen Teil seiner Einnahmen an den Insolvenzverwalter abtreten. Angeblich gibt es schon konkrete Pläne, den Insolvenzverwalter etwas auszutricksen und dadurch mehr Geld als mit diesem abgesprochen zu erhalten. „Wenn seine Freundin zum Beispiel eine Firma gründet", so Fritsche gegenüber der „FAZ", „ihn nur anstellt und dann über die Firma Interview-Verträge abschließt." Diese Firma mit dem Namen „BFB Enterprises" soll laut der „Bunten" schon gegründet worden sein, für die Geschäftsleitung soll seine Lebenspartnerin verantwortlich zeichnen, weil Becker während des laufenden Insolvenzverfahrens noch kein neues Unternehmen selbst führen darf.
Spekulationen um Restschuld
Becker hätte übrigens längst schuldenfrei sein können. Wenn er beim Insolvenzverfahren nicht den dummen Fehler begangen hätte, einige Vermögenswerte in Gesamthöhe von drei Millionen Euro zu verschweigen, darunter sein Haus in Leimen oder ein größeres Aktienpaket. Denn erst dadurch war es überhaupt zum Prozess wegen Insolvenzvergehens gekommen, bei dem er von den Geschworenen in vier von 24 Anklagepunkten schuldig gesprochen wurde. Hätte er hingegen offen mit dem Insolvenzverwalter kommuniziert, wären ihm nach britischem Insolvenzrecht schon nach einem Jahr in Privatinsolvenz alle Schulden erlassen worden. Ihm wäre eine Restschuldbefreiung namens Certificate of Discharge ausgehändigt worden, verbunden mit der einschränkenden Auflage des sogenannten Income Payment Agreement, wonach er noch zwei Jahre lang nach Eintritt der Restschuldbefreiung zur Abgabe des pfändbaren Teils seines Einkommens verpflichtet worden wäre.
Die erzwungene Auszeit im Knast hat der 55-Jährige offenbar zum Grübeln über seine zukünftigen Lebenspläne genutzt. Worüber er der Öffentlichkeit in Deutschland und Großbritannien in einem Ende Dezember 2022 ausgestrahlten Exklusivinterview mit dem TV-Sender Sat.1 und dessen Moderator Steven Gätjen Auskunft erteilte. Mit angeblich 500.000 Euro wurde das in deutscher und englischer Sprache geführte Gespräch wohl bestens honoriert. Becker gestand darin persönliche Fehler ein, vor allem sei er in der jüngsten Vergangenheit „faul", „bequem" und „fett" geworden. Das werde er grundlegend ändern und seine frühere Tennis-Mentalität wieder ins Spiel bringen. „Ich habe Ideen, aber ich bin vorsichtig geworden mit meinen Aussagen über die Zukunft."
Er werde sich auf jeden Fall an die für ihn künftig wichtigste Regel halten: „Ich kann nur das ausgeben, was ich verdiene." Eine weitere Erkenntnis lautete: „Ich bin 55 Jahre alt und habe etwas dazugelernt. Dass ich deutlich vorsichtiger sein muss mit meinen sogenannten Beratern und guten Freunden." Er könne sich kaum vorstellen wieder in Deutschland zu leben, weil er in seiner Heimat seine Privatsphäre nicht ausreichend schützen könne. Schon eher könne er sich ein Leben in Miami oder Dubai (wo er früher schon mal über die Gründung einer Tennisakademie nachgedacht hatte) vorstellen, wo er sich vor allem an der Seite seiner Lebenspartnerin Lilian um seine Kinder kümmern wolle. Und er freue sich besonders darauf, „dass ich wieder eigenes Geld verdienen darf und dass ich mir irgendwann mal wieder eine Wohnung oder ein Auto kaufen kann – das war jahrelange nicht möglich." Im Januar 2023 stieg er bei den Australian Open gleich wieder als TV-Experte bei Eurosport ein. Ein Comeback bei der BBC als Wimbledon-Kommentator scheint 2023 unmöglich zu sein, weil Becker ja nicht vor Ort sein darf und die BBC eine Video-Zuschaltung Beckers ausgeschlossen hat. Ein reichliches Salär dürfte Becker auch durch die Zusammenarbeit mit Apple TV+ einstreichen, weil der Sender eine zweiteilige Dokumentation mit den letzten drei Jahren des Ex-Tennisidols bis zum Haftantritt erstellt hat. Auch von Plänen über ein Buchprojekt über seine Zeit hinter Gittern wurde in den Medien schon berichtet. Noch während des Aufenthalts im Knast hatte DTB-Vizepräsident Dirk Hordorff Becker eine Art von Freibrief in Aussicht gestellt. Der einstige Wimbledonsieger hatte schon zwischen 2017 und 2020 erfolgreich als „Head of Men’s Tennis" fungiert. Eine Rückkehr in eine verantwortliche Position scheint laut Hordorff nicht ausgeschlossen: „Ich kann mir vieles für Boris vorstellen: Head of Men’s Tennis, Repräsentant, Präsidium oder was auch immer. Salopp gesagt: Boris kann sich den Job aussuchen."
Becker wurde denn auch gleich Anfang Februar 2023 zum Davis Cup nach Trier eingeladen und vom Team um Alexander Zverev begeistert aufgenommen. Zverev: „Hilfe von Boris im Tennis kann man immer gebrauchen." DTB-Präsident Dietloff von Arnim hatte sich in Trier allerdings bezüglich eines baldigen Becker-Engagements ziemlich bedeckt gehalten. Wohl weil eine ganze Reihe honoriger DTB-Mitglieder einen strafrechtlich Verurteilten nur ungern in offizieller Mission sehen möchten.