Mit dem Siegeszug von ChatGPT rückt das Thema Künstliche Intelligenz von der Wissenschaft in den Alltag. Daneben erobern Algorithmen die Kunst. Eine Revolution aber sei dies nicht, sagen Wissenschaftler.

Ob Joshua, HAL 9000 oder Skynet, A.L.M.A. oder GLaDOS – die Liste der kaltherzigen, angriffslustigen Künstlichen Intelligenzen in der Film- oder Videospielgeschichte ist lang. In der Realität ist die Welt der KI-Forschung aber noch meilenweit davon entfernt, eine Künstliche Intelligenz zu schaffen, die sich ihrer selbst bewusst ist. Die Technologie sorgt aber schon jetzt für Furore. Seit November 2022 ist das künstliche Sprachmodell ChatGPT nicht nur in aller Munde, es wird auch eifrig genutzt. So meldete der IT-Informationsdienst Golem.de, dass nur zwei Monate nach der Veröffentlichung 100 Millionen Nutzer bei ChatGPT registriert sind. Hinter dem Modell steht das Unternehmen OpenAI, finanziert unter anderem von Multimilliardär Elon Musk und dem Investor Sam Altman, der gleichzeitig CEO des Unternehmens ist. Seit 2019 kooperiert OpenAI mit dem Softwarekonzern Microsoft, der den Chatbot in seine Suchmaschine Bing und womöglich in weitere Programme wie sein Office-Paket integrieren möchte.
Das Besondere an diesem Chatbot: Über das Internet kann sich jeder mit ihm unterhalten, ChatGPT liefert in Sekundenbruchteilen Antworten auf eine Vielzahl von Fragen. Und ihn zu nutzen ist derzeit kostenfrei, es gibt jedoch auch eine kostenpflichtige Premium-Version, noch schneller und leistungsfähiger. Im Prinzip kann sich jeder mit seiner Mailadresse bei ChatGPT anmelden. Zu manchen Tageszeiten kann es jedoch zu Verzögerungen kommen, wenn zahlreiche Nutzer gleichzeitig darauf zugreifen. Genutzt werden kann die Künstliche Intelligenz für viele Anwendungen und Problemstellungen, die auf Sprache und Texten basieren: zum Beispiel als Assistent zum Recherchieren von Fakten oder zum Übersetzen und Vorstrukturieren von Texten. Die Informationen, die ChatGPT zusammenträgt, kann man in der Regel in Texten verwenden, sie sind urheberrechtlich gesehen unbedenklich, da es sich um ein Sprachmodell handelt und nicht um eine juristische Person. Wenn Nutzer jedoch Textbausteine verwenden, die urheberrechtlich geschützt sind, sollten sie diese noch einmal überprüfen.
Das gleiche gilt für die Echtheit und den Wahrheitsgehalt der Informationen, die ChatGPT zusammentragen kann. Hier kann es, darauf weisen die Entwickler selbst hin, zu Fehlern kommen. Dies kann zum Beispiel dann geschehen, wenn es um aktuelle Ereignisse geht und sich die Sachlage dauernd ändert. Die Qualität der Recherche hängt davon ab, wie hochwertig und sicher die Quellen sind, aus denen sich ChatGPT bedient: Webseiten, frei verfügbare Datenbanken und vieles mehr. Außerdem ist das Sprachmodell selbst noch nicht ausgereift – aber es lernt weiter.
Statistische Sprachmodelle
Wichtig sei es, zu wissen, wie eine solche „Generative AI“ funktioniert, sagt Prof. Dr. Christian Janiesch von der Technischen Universität Dortmund. „Große deep-learning-basierte Sprachmodelle wie GPT generieren plausibel klingenden Text mittels Wahrscheinlichkeiten und nicht aufgrund von Kausalitäten“, so Janiesch. Der dahinterliegende Algorithmus erkennt Muster und berechnet eine wahrscheinliche Abfolge von Wörtern – Texte, die von Menschen geschrieben werden, entstehen jedoch durch Kausalitäten und in persönlichem Stil. Einer KI Kausalitäten beizubringen, sei nun die nächste große Herausforderung, so Informatik-Experten.

„Weiterhin können das Trainingsmaterial und explizite Beschränkungen der Nutzenden Verzerrungen, sogenannte Bias, hervorrufen“, erklärt Janiesch. ChatGPT erzählt beispielsweise keine Witze über Frauen, derzeit wohl aber noch über Männer. Andere, subtilere Einflüsse auf die Meinungsbildung sind unter Umständen nicht derart offensichtlich. „Der Wahrheitsgehalt von Aussagen muss daher stets von Nutzenden selbstständig kontrolliert werden“, mahnt der Experte für Enterprise Computing. „Und zuletzt: Das System lernt mit jeder Eingabe. Das heißt, Sie sollten niemals Vertrauliches preisgeben. Bedenken Sie vielmehr, dass Sie rechenschaftspflichtig sind, wenn Sie Generative AI nutzen.“ Letztlich sollte jeder Nutzer kritisch überprüfen, ob die von der KI zusammengetragenen Informationen richtig sind, am besten mithilfe von mehreren Quellen.
ChatGPT ist nicht die einzige Künstliche Intelligenz, die für alle frei verfügbar im Internet nutzbar ist. Da wären beispielsweise noch Jenni, Jasper, Murf, Jukebox oder Dall-E-2 (die letzten beiden übrigens ebenfalls OpenAI-Software), um nur einige zu nennen. Ob Text, Musik oder Kunst, KI ist mittlerweile in der Lage, künstliche Artefakte zu erschaffen. Die frei im Netz verfügbaren Ansätze zeigen, dass die Technologie mittlerweile von der breiten Öffentlichkeit genutzt werden kann, wenn auch in einer eher rudimentären Form.
„Bei aller Begeisterung ist Generative AI, also Künstliche Intelligenz, die Artefakte wie Texte, Bilder oder Musik erzeugen kann, in erster Linie ein Werkzeug“, schränkt Prof. Dr. Christian Janiesch von der TU Dortmund ein. Der Vergleich mit menschlichem Verstand wird gerne angestellt, ist aber hier auch in absehbarer Zeit fehl am Platze.“ Es gehe daher primär darum, die Tätigkeiten zu identifizieren, die heute und in nicht allzu ferner Zukunft von dieser Art Werkzeug übernommen werden könnten, so Jaenisch.
Der Hype darum ist jedoch nicht künstlich, sondern echt. Prof. Dr. Oliver Brock, Sprecher des Clusters „Science of Intelligence“ an der Technischen Universität Berlin, sagt: „Es ist natürlich ein Hype in dem Sinne, dass ich glaube, dass der Grad der Aufregung durch die Sache nicht gerechtfertigt ist. Aber gleichzeitig passieren ganz viele Nebeneffekte durch diesen Hype, nämlich, dass sehr viel mehr Geld investiert wird, dass sehr viel mehr Aufmerksamkeit auf diesen Bereich der KI-Forschung gelenkt wird, dass wahrscheinlich viele junge Forscherinnen und Forscher sagen, an so etwas möchte ich jetzt forschen.“
Evolution, keine Revolution
Prof. Dr. Ute Schmid, Leiterin der Arbeitsgruppe Kognitive Systeme an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, hält das Phänomen ChatGPT nicht für eine Revolution. „Ich würde sagen, es ist eine Evolution. Es war natürlich schon ein guter Schachzug von OpenAI, ChatGPT öffentlich zur Verfügung zu stellen, weil das natürlich sehr viel Aufmerksamkeit produziert. Vielleicht hat das sogar noch mal einen Hype ausgelöst wie 2014, 2015, als Google Brain erstmals beim End-to-end-Learning direkt ein Bild einer Katze aus einem Bild ohne Verarbeitung erkannt hat, was ja auch ein Riesendurchbruch war. Ich glaube schon, dass es sehr spannend ist, wenn auch nicht ganz neu.“
Auch Schmid sieht, dass die Aufmerksamkeit durch den Hype um ChatGPT steigt. „Was ich persönlich sehr spannend finde, ist, dass wir aktuell schon ein ganz neues, großes Interesse an den klassischen wissensbasierten Methoden und Technologien erkennen. Das fällt unter den etwas schöner klingenden Begriff neuro-symbolische KI.“

Dahinter verbirgt sich die nächste Entwicklungsstufe. Jahrzehntelang träumten Forscher davon, dass ein Rechner Bilder erkennt oder natürliche Sprache erlernt. An diesem Punkt ist die Forschung nun angekommen. Der nächste Schritt: Statistik und Stochastik mit der „symbolischen Repräsentation von Problemen und Logik zu verbinden“, wie der Computer-Pionier IBM schreibt. Der Computer soll auf „natürlichem“ Wege lernen, Schlüsse zu ziehen, fähig sein zu abstrahieren.
Arbeiten an nächster KI-Stufe
„Es wurde erkannt, dass man eigentlich beides braucht“, so Schmid, „das, was Menschen schon wissen, lernen sie ja auch nicht dauernd immer wieder. Je mehr ich an Wissen schon nutzen kann, desto weiter kann ich kommen. Das wird zunehmend auch erkannt im Bereich der Machine-Learning-Forschung.“ Würde ein Rechner das Lernverhalten eines Kindes imitieren und auf dieser Grundlage dauerhaft mit minimalem Einsatz von Daten weiterlernen können, wäre dies die nächste Revolution.
Dass dieser Schritt unzählige ethisch-moralische Fragen aufwirft, ist selbstverständlich und erfordert die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Künstlicher-Intelligenz-Forschung, Philosophie, Rechtswissenschaft. Hier und heute sind ChatGPT oder die Kunst-AI Dall-E-2 die ersten Schritte in diese Richtung und profitieren von der Faszination des Neuen und Unbekannten in der Öffentlichkeit. Wozu ihre KI-Enkel in Jahrzehnten einmal fähig sein werden, ist Science-Fiction. Noch.