Der Start ins neue Jahr ist gelungen, jetzt wartet auf die Füchse Berlin die erste große Herausforderung. Im Top-Duell gegen Meister SC Magdeburg kann das Team einen Verfolger im Titelrennen bereits abschütteln.
Stefan Kretzschmar hat zwar gerade die 50-Jahre-Schallmauer durchbrochen, doch in Sachen Social Media macht dem Sportvorstand bei den Füchsen Berlin keiner etwas vor. Zum zweiten Mal wurde er nun bei den „German Handball Awards“ als „Influencer des Jahres“ ausgezeichnet. „Ich, als 50-Jähriger? Das ist schon eine coole Aktion“, reagierte Kretzschmar überrascht. Von seiner 22 Jahre alten Tochter Lucie-Marie, die als Beach-Handballerin Karriere macht, gab es lobende Worte: „Papa, ich bin wahnsinnig stolz auf dich. Was du, nicht nur für die Füchse, sondern auch für den deutschen Handball auf Social Media machst, ist sehr, sehr cool. Ich brauche mir keinen Spieltag anzuschauen, denn deine Posts sind schon eine super Zusammenfassung.“
Erster Meistertitel der Füchse?
Allein auf Instagram erfreut Kretzschmar als „kretsche1973“ mit seinen Posts 125.000 Follower. Hätte es diese Plattform schon zu seiner aktiven Zeit gegeben, als der schillernde Weltklasse-Linksaußen ein Superstar im deutschen Sport war, hätte er „hundertprozentig“ über 10 Millionen Follower gehabt. Aber eben auch weniger Spaß. „Ökonomisch wäre es mit Millionen Followern sicherlich von Vorteil, aber ich hätte meine jährlichen Mannschaftsreisen zum Ballermann vergessen können“, sagte Kretzschmar der „Sport-Bild“, „weil mich jeder fotografiert hätte“. Vielleicht auch in unvorteilhaften Situationen.
Auch wenn die ganz wilde Zeit für Kretzschmar vorbei ist: Im Sommer geht es für ihn wieder nach Mallorca. Auf der spanischen Insel will er mit Freunden seinen 50. Geburtstag nachfeiern, den er am 17. Februar begangen hat. Kretzschmar hofft, dass er dann vor Ort gleich doppelten Grund zum Feiern hat. Denn auf den ersten Meistertitel der Füchse in der Bundesliga-Geschichte würde er nur zu gerne anstoßen. Doch sein Ex-Club, der SC Magdeburg, hat etwas dagegen und will die erhoffte Meisterparty der Füchse sprengen. Bei einer Niederlage im direkten Duell am Sonntag (5. März) hätten beide Teams sieben Minuspunkte. Sollten die Füchse aber gewinnen, hätten sie einen Konkurrenten im Titelrennen wohl endgültig abgeschüttelt.
Die Vorfreude auf das Top-Duell ist groß. „Jetzt geht es zu einem entscheidenden Spiel nach Magdeburg, die in dieser Saison fantastisch spielen. Ich hoffe auf ein gutes Ergebnis, aber dafür brauchen wir eine Topleistung“, sagt der dänische Weltmeister Mathias Gidsel. Kapitän Paul Drux fährt mit viel Zuversicht in die GETEC-Arena, weil es „super schwer ist, gegen uns zu gewinnen“. Und auch Kretzschmar sieht seine Mannschaft für das Kräftemessen mit dem Titelverteidiger gerüstet: „Wenn ich mir unsere Saison bisher angucke, gibt es keinen Grund für Pessimismus.“
Die Generalproben für den Hit sprechen klar für Berlin. Während die Füchse zu Hause gegen die MT Melsungen zu einem souveränen 35:25 kamen, kassierten die Magdeburger im Ostderby beim SC DHfK Leipzig eine schmerzhafte 32:33-Niederlage. „Das Tempospiel, was eigentlich unsere Stärke ist, hat ganz eindeutig Leipzig dominiert“, haderte SCM-Trainer Bennet Wiegert. Er blickt mit etwas Bauchschmerzen auf das Topspiel gegen die Füchse, die emotionale Derby-Pleite könnte für einen Knacks gesorgt haben. „Der Umgang mit dieser Niederlage ist jetzt wichtig für uns“, betont Wiegert: „Es ist essenziell, dass wir die richtigen Schlüsse ziehen. Die Anzahl der technischen Fehler war heute einfach zu hoch.“
Die Füchse sind definitiv auch in der Lage, so etwas eiskalt zu bestrafen. Beim nie gefährdeten Sieg gegen Melsungen profitierten die Gastgeber aber auch davon, dass die Hessen stark ersatzgeschwächt angetreten waren. Anders als mitunter in der Vergangenheit schlich sich deshalb aber kein Schlendrian ein, der Favorit gab sich keine Blöße. So konnte Trainer Jaron Siewert das Spiel „von der Bank aus entspannter verfolgen“, wie er hinterher erklärte: „Vor allem in der zweiten Halbzeit war alles super.“ Die Füchse bauten ihre Erfolgsserie auf wettbewerbsübergreifend neun Siege aus und machten ihren Trainer stolz: „Ich bin absolut zufrieden, was die Höhe des Ergebnisses und auch die Art und Weise angeht.“
Auch Kretzschmar hatte nichts zu meckern, zumal das Spiel gegen Magdeburg schon in den Hinterköpfen gewesen sein dürfte. „Kein Spiel in dieser Liga ist einfach. Egal, gegen welchen Gegner man spielt“, sagte er: „Wie die Mannschaft das heute gelöst hat, war beeindruckend.“ Bester Werfer war Milos Vujovic mit zehn Toren. „Ich freue mich für Milos, dass er heute ein ganz starkes Spiel auf der Außenbahn gemacht hat“, lobte Kretzschmar. Rückraumstar Gidsel hob dagegen die kollektive Teamleistung hervor: „Wir hatten eine gute Abwehr, einen guten Torwart und einen guten Spielfluss im Angriff. Es war eine starke Leistung.“
„Ganz starkes Spiel auf der Außenbahn“
Das Fehlen von Hans Lindberg machte sich diesmal nicht bemerkbar. Der Torjäger hatte sich während der Europapokalreise in Spanien bei einem Sturz die rechte Hand gebrochen. Kretzschmar sprach von einem „Schicksalsschlag“ für Lindberg, der aber auch den Club „hart“ treffe und für die ambitionierten Ziele ein „herber Verlust“ sei. Der 41 Jahre alte Däne fällt wochenlang aus. Ob er überhaupt noch mal im Füchse-Trikot spielt, ist ungewiss. Sein am Saisonende auslaufender Vertrag wird nicht verlängert. Das Tragische daran: Lindberg liegt nur 25 Tore hinter Bundesliga-Torschützenkönig Kyung-Shin Yoon (2905) zurück.
Die Club-Verantwortlichen hatten Glück, dass die Verletzung vor Transferschluss auftrat und sie so noch reagieren konnten. Sie lotsten mit Robert Weber einen sehr erfahrenen Ersatz nach Berlin, der die Bundesliga aus zehn Jahren in Magdeburg bestens kennt und der seine Torgefährlichkeit auf der Rechtsaußen-Position bereits bewiesen hat. „Ein Torschützenkönig ersetzt also einen anderen für den Moment“, sagt Trainer Siewert. Geschäftsführer Bob Hanning zeigt sich erleichtert, dass Webers Ex-Verein Olympiakos Piräus den Spieler „zu moderaten Konditionen freigegeben hat“. Denn so ein Not-Wechsel kann auch schnell teuer werden.
Kretzschmar aber glaubt, dass bei Weber das Preis-Leistungs-Verhältnis absolut passt. Der 37 Jahre alte Österreicher sei ein „erfahrener und abgezockter Spieler, der genau weiß, worum es in der Liga geht“. Weber ist nach eigenen Angaben auch wegen des Sportvorstandes nach Berlin gekommen: „Mit Stefan Kretzschmar schließt sich der Kreis, er hat mich schon damals in Magdeburg verpflichtet.“ In seinem dritten Ligaspiel trifft Weber nun auf seinen Ex-Club Magdeburg, bei dem er jahrelang auf Torejagd ging. Jetzt muss er seiner „alten Liebe“ sportlich wehtun – damit der Titeltraum seines neuen Clubs noch realistischer wird. „Ich glaube, wir sind bereit für etwas Großes“, meint Kretzschmar.
Familiär wird das Top-Duell aber zum Problem für Kretzschmar. Während er selbst aufgrund seiner Anstellung bei den Füchsen und auch aufgrund seines nicht ganz unproblematischen Abgangs in Magdeburg mit vollem Herzen für Berlin mitfiebert, drückt sein Sohn Elvis-Ernesto dem SCM die Daumen. Der Jugendliche spielt für Magdeburg im Nachwuchsteam, den Champions-League-Gewinner von 2002 bezeichnet er als „Traumverein“. Die Füchse kommen auf seiner Beliebtheitsskala erst weit dahinter. „Da reicht die Vaterfigur nicht aus, um bei ihm Sympathie für den Berliner Verein zu wecken“, sagt der Senior dazu.