Chinas Zwölf-Punkte-Plan stützt das russische Narrativ im Ukraine-Krieg
Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer dürften derzeit mit glänzenden Augen Richtung Peking schauen. Die Initiatorinnen des „Manifests für den Frieden“ wollen, dass die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine aufhören und Verhandlungen für ein Ende des Krieges beginnen. Am vergangenen Wochenende haben Tausende Menschen in Berlin für diplomatische Initiativen und gegen den Krieg demonstriert. Viele von ihnen begrüßen es, dass China einen Zwölf-Punkte-Plan „zur politischen Lösung der Ukraine-Krise“ vorgelegt hat.
Doch Wagenknecht und Schwarzer sollten nicht zu überschwänglich auf politische Schützenhilfe aus Fernost hoffen. Chinas Staatschef Xi Jinping ist nicht der ehrliche Makler, der einen Ausgleich zwischen den beiden Kriegsparteien sucht. Der starke Mann aus Peking verfolgt eine prorussische Linie. Man muss den Zwölf-Punkte-Plan nur genau unter die Lupe nehmen.
So heißt es: „Alle Parteien sollten Russland und die Ukraine unterstützen, (…) letztendlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen.“ Das hört sich zunächst positiv an. Doch der Schein trügt. Moskau hat keinerlei Signale ausgesandt, dass es an einem Waffenstillstand interessiert sei. Im Gegenteil: Präsident Wladimir Putin hat deutlich gemacht, dass Russland in der Ukraine für seine „historischen Gebiete“ kämpfe.
Wenn Putin an seinem Ziel festhält, die Ukraine zu unterwerfen, hätte ein Waffenstillstand nur einen einzigen Sinn: Russland bekäme eine Atempause, um seine strapazierten Truppen neu zu formieren. Ein weiterer Angriff auf die Ukraine wäre nur eine Frage der Zeit.
Nächster Punkt: „Dialog und Verhandlungen sind die einzig machbare Lösung für die Ukraine-Krise.“ Man sollte sich nicht von den chinesischen Friedens-Schalmeien beeindrucken lassen. Moskau ist nur unter der Bedingung zu Verhandlungen mit Kiew bereit, dass die „territorialen Realitäten“ anerkannt werden. Nach russischer Lesart heißt dies: Nicht nur die 2014 annektierte Krim ist Teil des eigenen Staatsterritoriums. Auch die nach Scheinreferenden angegliederten Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson unterstehen dem Kreml.
Interessant auch folgender Passus: „Alle Parteien müssen (…) vermeiden, die Flammen anzufachen.“ Auch hier steckt der Teufel im semantischen Detail. In der Formulierung ist eine deutliche Spitze gegen den Westen enthalten. Die Volksrepublik hat das russische Narrativ übernommen: Die USA und Europa hätten die Ukraine mit Waffen vollgepumpt. Das heize den Krieg an und verhindere eine friedliche Lösung. Die russische Aggression und die eigenmächtige Verschiebung von Grenzen werden nicht erwähnt.
Nur auf den ersten Blick verlockend ist dieser Satz: „Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder muss wirksam aufrechterhalten werden.“ Da mögen manche im Westen vor Erleichterung aufseufzen. Aber auch hier gilt es, genau hinzuschauen. Nach der Interpretation Moskaus sind die Krim und die vier annektierten ukrainischen Gebiete Teil des russischen Territoriums. Wenn also von „territorialer Integrität“ die Rede ist, meint der Kreml die Anerkennung seiner Eroberungen.
China hat dieser Einschätzung nicht widersprochen. Dass Peking an der Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine in den international anerkannten Grenzen von 1991 interessiert sei, darf man getrost verneinen. Bei der auch von Deutschland eingebrachten Resolution der UN-Vollversammlung vom Donnerstag vergangener Woche ging es um den Rückzug russischer Truppen und die volle territoriale Integrität der Ukraine. Peking hat sich wieder einmal enthalten – und damit Zweifel an seiner Vermittlerrolle gesät.
Anker der chinesisch-russischen Beziehungen ist jedoch die „felsenfeste Freundschaft“, die Xi und Putin Anfang Februar 2022 in Peking beschworen hatten. Das danach abgeschlossene Abkommen über „grenzenlose Partnerschaft“ dürfte bei Xis Moskau-Besuch im Frühjahr ausgebaut werden. Peking sieht sich wie Moskau in der Konfrontation mit dem Westen, dem beide politische, militärische und wirtschaftliche Hegemonie vorwerfen. Deshalb, an die Adresse von Wagenknecht, Schwarzer & Co.: Jede „Friedensinitiative“ zum Nennwert zu nehmen, wäre naiv. Sich Frieden zu wünschen, heißt noch lange nicht, Frieden zu bekommen.