Die „Fortschrittskoalition“ hat sich in der Verkehrspolitik verheddert. FDP und Grüne streiten über Schiene oder Straße. Greenpeace fordert plakativ von der SPD, den Schiedsrichter zu spielen.
Die „Fortschrittskoalition“ hat sich in der Verkehrspolitik verheddert. FDP und Grüne streiten über Schiene oder Straße. Greenpeace fordert plakativ von der SPD, den Schiedsrichter zu spielen.
Aufs Dach steigen, abseilen, Transparent entrollen. Eine typische Greenpeace-Aktion. Adressat diesmal war die SPD, schließlich sei die SPD „Zünglein an der Waage, wenn es um den Bau neuer Autobahnen in Deutschland geht“, sagt Lena Donat von Greenpeace. Die beiden anderen Koalitionspartner FDP und Grüne haben sich im Streit um die Verkehrspolitik so verharkt, dass von dort keine Einigung in Sicht ist.
„Bahn statt Beton“, fordert das riesige Greenpeace-Transparent an der SPD-Parteizentrale, ergänzt durch das abgewandelte Motto von Willy Brandt: „Mehr Fortschritt wagen“. Fortschritt heißt aus Sicht von Umwelt- und Klimaschützern schon lange: Keine neuen Autobahnen, sondern das Geld in den Ausbau der Schiene stecken.
Dass die Verkehrspolitik für heftige Diskussionen in der Ampel-Koalition sorgen würde, war von vornherein klar. Die grundsätzlichen Positionen von Grünen und FDP sind bekanntermaßen alles andere als deckungsgleich. Die Greenpeace-Protestaktion auf dem Dach der SPD-Parteizentrale ist insofern folgerichtig, nach dem Motto: Wenn zwei sich streiten, muss der Dritte bei der Suche nach Lösungen vermitteln. Bislang war das allerdings nicht von Erfolg gekrönt.
Ein Gespräch über das Thema Infrastrukturausbau zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bereits Anfang Dezember vergangenen Jahres hatte keine konkreten Ergebnisse gebracht. Es sei aber konstruktiv verlaufen und man sei optimistisch, zu Einigungen kommen zu können, hieß es damals. Drei Monate später ist deutlich, dass der Optimismus nicht allzu weit getragen hat.
Konkret geht es um ein Beschleunigungsgesetz, das die Verfahren bei Infrastruktur-Investitionen konzentrieren und damit schneller machen soll. „Der zügige Ausbau unserer Infrastruktur, wie Windkraftanlagen, Stromtrassen oder Eisenbahnstrecken, ist dabei kein Selbstzweck – sondern dringend notwendige Voraussetzung, damit der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen gelingt und unser Wohlstand gesichert wird“: Klingt einigermaßen grün, stammt aber aus einer Mitteilung des SPD-Bundestagsabgeordneten Kaweh Mansoori. Der Knackpunkt dabei ist nicht das, was dort steht, sondern das, was nicht dabei steht, denn vom Straßenausbau ist keine Rede.
Prioritäten für Ausbau der Infrastruktur
„Wir müssen nicht nur unsere Schienen-, sondern auch die Straßeninfrastruktur schnell ertüchtigen und erweitern“, stellte denn auch mal gleich FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai für seine Partei klar. „Nur mit einem leistungsfähigen Straßen-, Schienen-, Wasserstraßen- und Radwegenetz können wir Investitionen schnell auf die Strecke bringen und den individuellen Mobilitätsbedürfnissen in der Gesellschaft gerecht werden“, betont er die FDP-Position und stützt damit auch die Forderung des liberalen Verkehrsministers. Für Wissing ist nämlich klar: Was für die Beschleunigung anderer Projekte gilt, wie konkret beim Aufbau einer Flüssiggas-Infrastruktur, müsse das natürlich auch für Straßenbau gelten.
In den Entwurf für ein Beschleunigungsgesetz rutschte dann doch das Wörtchen Straße rein, aber Umweltministerin Lemke wollte nichts davon wissen: Beschleunigte Verfahren gerne, aber nur dort, wo sie dem Klimaschutz helfen. Beschleunigungen etwa bei Brückenreparaturen oder -ersatzbau seien unstrittig – aber nicht für den Neubau von Straßen, so ihre Linie.
Die Dauerdiskussion zwischen Grünen und Liberalen hat tiefgreifende Ursachen und gründet auf deren grundlegend unterschiedlichen Sichtweisen und Prioritäten. Auf der einen Seite die Forderung nach einer Verkehrswende aus Klima- und Umweltschutzgründen, auf der anderen Seite das Interesse an einer florierenden Wirtschaft und individueller Mobilität. Beide sind an einer gut funktionierenden Infrastruktur interessiert. Die einen setzen die Schwerpunkte auf Bahn und ÖPNV als umweltfreundliche Verkehrsträger, die anderen auf Individualverkehr und flexiblen Warenverkehr. Wobei Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) argumentiert: „Eine Straße ist ja nicht per se klimaschädlich, wenn die Fahrzeuge einen klimaneutralen Antrieb bekommen.“
Im Koalitionsvertrag haben sich die Ampel-Koalitionäre darauf verständigt, dass künftig mehr in die Schiene als für Straßenbau investiert worden soll. Das war in der Vergangenheit genau umgekehrt, allerdings hatte die Korrektur schon am Ende der Amtszeit der letzten großen Koalition begonnen. 2019 lag der Anteil der Investitionen für Fernstraßen noch bei 56 Prozent, 2021 war es genau umgekehrt: 56 Prozent der Investitionen gingen in die Schiene (Quelle: Allianz pro Schiene). Das sollte folglich kein einmaliger Ausreißer, sondern dauerhaft so sein.
Das würde im Übrigen auch dem Wunsch eines großen Teils der Bevölkerung entsprechen.
Erst Ziele definieren, dann planen
Nach einer Umfrage von Civey im Auftrag der „Allianz pro Schiene“ befürworten 43 Prozent mehr Investitionen in die Schiene, knapp ein Drittel (31 Prozent) ist eher neutral, heißt, es werden Investitionen in Schiene und Straße gleichermaßen befürwortet. Diese Umfrage fand bereits 2019 statt. Bei einer vergleichbaren Umfrage im vergangenen Jahr (im Auftrag des BUND) sprachen sich fast zwei Drittel der Befragten (62 Prozent) dafür aus, dass die Bundesregierung mehr Anstrengungen unternehmen müsse, um Güterverkehr von der Straße auf die Bahn zu bringen.
Die FDP argumentiert mit ihrer Forderung für die Straße mit einem weiter steigenden Verkehrsaufkommen, sowohl beim Individualverkehr als auch – und in deutlich höherem Maß – beim Güterverkehr. Prognosen aus dem Verkehrsministerium gehen davon aus, dass Menschen in Deutschland bis Mitte des Jahrhunderts knapp 13 Prozent (davon vier Prozent im Individualverkehr) mehr Kilometer zurücklegen werden als derzeit und dass der Güterverkehr um annähernd 50 Prozent zunehmen wird, und das zum größeren Anteil (54 Prozent) auf der Straße.
Ziele der Ampel-Koalition waren, dass bis 2030 doppelt so viele Menschen umweltfreundlich mit der Bahn unterwegs sind und der Markt des Güterverkehrs auf der Schiene von jetzt unter 20 Prozent auf 25 Prozent steigt. Experten des Bundesverkehrsministeriums gehen aber davon aus, dass diese Ziele klar verfehlt werden. Der Zuwachs der Bahnfahrer dürfte nur bei etwa 50 Prozent liegen, und im Güterverkehr gibt es derzeit sogar rückläufige Tendenzen. Grund dafür ist nach Angaben des Speditionsverbandes unter anderem, dass viele Unternehmen wegen der Unzuverlässigkeit der Bahn wieder eine Rückverlagerung auf LKW veranlassen. Wobei sich das Dilemma voraussichtlich verschärfen dürfte, wenn es bei der Bahn noch mehr Baustellen geben würde.
Dieses Dilemma müsse man aber in Kauf nehmen, meint Oliver Schwedes, Professor für integrierte Verkehrsplanung an der TU Berlin. „Womöglich ruckelt es dann mal eine Weile, womöglich erleben wir mehr Staus, bis die Bahn ausgebaut ist.“ Der Verkehrsplaner, der sich auch in der Verkehrswende-Bewegung engagiert, wirft der Bundesregierung und besonders dem Verkehrsministerium vor, Planungen nur an einem angenommenen Wirtschaftswachstum zu orientieren. Notwendig sei aber, zuerst die verkehrspolitischen Ziele zu definieren und dann auf dieser Grundlage die Infrastruktur zu planen.