Seit dem Tod der Studentin Jina Mahsa Amini im Herbst vergangenen Jahres gibt es eine neue Protestwelle im Iran. Die politischen Ereignisse dort beeinflussen auch die Kunst iranischer Musiker und weiterer Kunstschaffender in Deutschland.
Ein Winternachmittag in den Berliner Kant-Garagen. Zahlreiche antike Amphoren unterschiedlicher Größen und Farben stehen nebeneinander: aufrecht und stolz, separat und doch in Verbindung zueinander. Das Meer der Tongefäße zieht einen in seinen Bann. Bei näherer Betrachtung entdeckt man auch acht Butterfässer im Hintergrund, die in Halbmond-Form um die Amphoren herum aufgestellt sind. Kreiert hat die Installation die Berliner Galeristin Anahita Sadighi. Das von ihr geschaffene Werk hat einen ernsten, politischen Hintergrund. Es ist ein Statement zu den jüngsten Protestwellen im Iran, die seit dem Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini Mitte September vergangenen Jahres kein Ende nehmen. Die Studentin starb an den Misshandlungen der Sittenpolizei in der iranischen Hauptstadt Teheran, nachdem sie ihr Kopftuch nicht richtig getragen hatte. „Ich wollte etwas machen, um mehr Sichtbarkeit für die Bewegung zu erzeugen“ erzählt die Galeristin, die selbst 1988 in Teheran geboren wurde. Mit dem Kontrast zwischen den Objekten soll der Konflikt zwischen Volk und Regime dargestellt werden: „Die antiken Amphoren aus Keramik stehen für die diversen und friedlichen Protestierenden“, erläutert die Kunstschaffende. Sie symbolisierten die Widerstandsfähigkeit und ihre Vielzahl die Kraft der Solidarität über Klassen, Generationen und Ethnien hinweg. „Ich finde, die Amphoren haben etwas ganz Magisches, sie strahlen weibliche Urkraft aus und haben die Aura alter Fruchtbarkeitsgöttinnen.“ Die Butterfässer hingegen stehen für die Mittdreißigerin für die Wächter und die Mullahs im Iran. „Ihre frontalen Öffnungen erinnern an Gewehrläufe und zielen auf das eigene Volk.“ Mit ihrer Kunstinstallation will Anahita Sadighi Menschen berühren und „die starke Message von ‚Woman Life Freedom‘ verbreiten.“
Proteste symbolisieren Widerstand
Der politische Slogan „Woman, Life, Freedom“ (deutsch: Frau, Leben, Freiheit) wurde zum ersten Mal von Mitgliedern der kurdischen Frauenbewegung verwendet. „Jin, Jiyan, Azadî“ – das kurdische Dreiwort-Mantra ist mittlerweile auch die Parole der neuen Protestwelle im Iran. „Das Besondere an der ‚Woman-Life-Freedom‘-Bewegung ist die Dimension der Proteste“, erläutert Anahita Saghidi. „In mehr als 100 Städten haben sich Menschen über ethnische und soziale Grenzen hinweg vereint und fordern einen Systemwechsel. Und es ist die erste feministische Revolution der Geschichte – die Frauen stehen an vorderster Front.“ Das sei kein ideologischer Kampf. Es ginge um elementarste Menschenrechte, so die Iranerin. „Man wundert sich, warum so viele Feministinnen in den USA und Europa zu der ‚Woman-Life-Freedom‘-Bewegung schweigen.“ Das Kopftuch sei nur ein Symbol, sagt die Galeristin. Manchmal frage sie sich, ob die Tatsache, dass es iranische Frauen seien, die die Bewegung anführten, der Grund dafür sei, dass weltweit vergleichsweise wenig Solidaritätsbekundungen laut würden. „Gleichberechtigung und Feminismus spielt im aktuellen Diskurs bei uns doch eine große Rolle. Was ist mit dem feministischen Kampf in den Straßen von Teheran?“ Die Proteste sind eine Gefahr für das autoritäre Regime, an dessen Spitze Religionsführer Ali Chamenei steht. Widerstand und Proteste werden von Sicherheitskräften niedergeschlagen. Verhaftungen, Folter, Vergewaltigungen und Todesstrafen sind an der Tagesordnung, exekutiert werden sogar Jugendliche. Mit der Absetzung des Schahs Mohammad Reza Pahlavi und dem Beginn der Islamischen Revolution im Jahr 1979 begann die Unterdrückung einzelner Gruppen.

„Das richtete sich natürlich auch gegen Künstler, insbesondere gegen Musiker“, erzählt Kian E. (Name geändert) im Gespräch. Er ist Musiker und DJ und wurde wegen seines Einsatzes für Menschenrechte und seiner Teilnahme an Protesten verhaftet und gefoltert, bevor er mit seiner Familie nach Deutschland fliehen konnte. Die Regierung habe damit begonnen zu sagen, dass Musikinstrumente Instrumente des Teufels seien und sie dürften nirgendwo genutzt werden. „Dann wurde es Frauen verboten, zu singen“, erinnert er sich. Später seien einige Repressionen zwischenzeitlich etwas gelockert worden. Repressionen gegen Künstlerinnen und Künstler finden immer noch statt. So wurde der Sänger Shervin Hajipour Sänger „Baraye, zeitweise festgenommen. Sein „Verbrechen“: Er hat in seinem Lied „Baraye“ die Freiheit der iranischen Männer und Frauen besungen. „Glücklichsein, Freiheit, ganz einfache Menschenrechte und das Recht auf Privatsphäre, all das wurde den Menschen genommen.“ Es gebe viele Einschüchterungsmanöver des iranischen Regimes und „perfide Strategien“ gegen kritische Meinungsäußerung, sagt Galeristin Anahita Sadighi. „Das Regime drosselt das Internet, versucht über Soziale Netzwerke zu zensieren und zu „shadowbannen“. Menschen werden bedroht, erpresst und diskreditiert – auch hier in Deutschland.“ So attacktieren dubiose Accounts und vermeintliche Journalisten über Twitter und andere Soziale Medien die Aktivisten, die für die Sache stünden. „Eine populäre Strategie ist dabei, den Aktivisten unter fadenscheinigen Argumenten Regimenähe vorzuwerfen. Das Ganze hat natürlich das Ziel, Aktivisten zu diskreditieren und Zwietracht zu säen, um die Bewegung zu schwächen“, so die Kunstschaffende.
„Die Mullahs müssen weg“
Die aktuellen Ereignisse gehen nicht spurlos an den im Exil lebenden Kreativen vorbei. „Als iranischer Musiker bist du automatisch verbunden mit dem Politischen, das kann man nicht trennen“, sagt der in Berlin lebende Percussion-Künstler Jawad Salkhordeh. Es gebe gar kein Konzert, in dem man nicht an die Kollegen, die noch im Iran lebten, in irgendeiner Form erinnere. Sein Freund Mahmood Ramzani stimmt ihm zu. Der Musiker, der traditionelle iranische Instrumente wie die Setar beherrscht, erinnert sich noch an ein Konzert in seiner Heimat, als die Polizei ihm und seiner Gruppe während des Auftritts den Strom abstellte. „Die Mullahs müssen weg“, sagt er entschieden. „Die Bewegung hat mein Leben verändert. Bei diesem Konflikt kann man meiner Meinung nach nicht neutral oder still sein“, sagt Galeristin Anahita Sadighi. Neutralität stärke die Machthaber. „Es ist ganz wichtig, sich klar – und vor allem und das ist sehr wichtig – im Sinne der Menschen im Iran zu positionieren.“ Auch auf Kian E. haben die aktuellen Ereignisse im Iran einen Einfluss. Der Musiker kämpft seit einer Weile mit einer Kreativitätsblockade. Er habe viele Menschen verloren und es sei schwierig, in so einem Moment House- und Trance-Musik zu machen und fröhlich zu sein, sagt er. Es sei wichtig, eine neue Sensibilität für iranische Kunst und Kultur zu entwickeln und Vorurteile abzubauen, findet Anahita Sadighi. Etwa, dass Iranerinnen „lediglich passive und unterdrückte Opfer“ seien. „Diese Bilder werden zum Teil von international gefeierten iranischen Künstlerinnen, wie Shirin Neshat, unkritisch reproduziert“, kritisiert die Kunstkennerin. „Sie sind selbstbewusste und starke Frauen.“ Für sie spielt die junge Generation eine Schlüsselrolle, denn das Durchschnittalter der Iraner und Iranerinnen liegt bei 32 Jahren. „Die jungen Menschen hätten eine ganz andere, moderne Idee von ihrem Leben. Mit der konservativen Ideologie der islamischen Republik sei das nicht vereinbar, Anahita Sadighi. “Wenn man das verinnerlicht hat, versteht man auch, warum diese Bewegung nicht mehr aufzuhalten ist.“