Nach der traumhaften Heim-WM in Oberhof will Biathlon-Star Denise Herrmann-Wick auch bei den beiden letzten Weltcups der Saison auftrumpfen. Kommt danach ihr RĂĽcktritt? JĂĽngste Aussagen machen den Fans Hoffnung.
Dieser Ohrwurm ließ keinen Besucher der Biathlon-Weltmeisterschaft in Oberhof los. Ob vor, während oder nach den stimmungsvollen Wettkämpfen im Hexenkessel am Grenzadler: Der Party-Hit „Der Zug hat keine Bremse“ von Ballermann-Sänger Lorenz Büffel dröhnte aus allen Lautsprechern. Wenn sie sich nicht gerade auf ihre Rennen vorbereitete, schunkelte und sang auch Denise Herrmann-Wick fleißig mit. Vor allem Denise Herrmann-Wick. Denn sie war es, die für die inoffizielle WM-Hymne verantwortlich war.
Die Olympiasiegerin ist ein bekennender Partyschlager-Fan und hatte den Titel höchstpersönlich als Einlaufmusik für das DSV-Team bei der WM-Eröffnungsfeier ausgewählt. Dass der Song beim Publikum aber so gut ankam und auch ausländische Gäste aus Norwegen, Tschechien oder der Ukraine die eingängigen Zeilen mit dem immer wiederkehrenden „döp, döp, döp“ beschwingt mitträllerten, hatte auch sie nicht geahnt. „Was für eine Dynamik das angenommen hat“, staunte Deutschlands Biathlonstar: „An jeder Ecke haben sie das Lied angespielt.“
Auch bei ihren Siegerehrungen im Kurpark wurde der Song angestimmt und der Refrain von den Fans kurzerhand in „Denise, Denise, Denise hat keine Bremse“ umgedichtet. Es passte auch nur zu gut: Herrmann-Wick war bei den Heim-Titelkämpfen wieder zum Titel im Sprint und zu zwei weiteren Medaillen gerast. „Der Zug geht jetzt erst richtig los“, sagte sie schmunzelnd nach ihrem Triumph mit der Goldmedaille um den Hals. Party-Sänger Lorenz Büffel bedankte sich bei Herrmann-Wick mit einer Einladung des gesamten deutschen Teams zum Ballermann: „Ich will noch mal mit euch feiern“, sagte er: „Das wird hart, aber wir schaffen das.“ Damit bei der BR-Sendung „Blickpunkt Sport“ konfrontiert, schien die Sächsin nicht abgeneigt: „Wann und wo – da sagt er uns dann noch mal Bescheid.“
Flitterwochen nach der Saison
Doch so schnell wird es die Ausnahme-Athletin nicht auf die Party-Insel in den „Bierkönig“ oder „Megapark“ ziehen. Zunächst stehen noch zwei abschließende Weltcups der nacholympischen Saison im schwedischen Östersund (9. bis 12. März) und im norwegischen Oslo (16. bis 19. März) auf dem Programm. Und danach will Herrmann-Wick, die im vergangenen September den ehemaligen Skilangläufer Thomas Wick geheiratet hat, ihre Flitterwochen nachholen. An einem ruhigeren Ort. „Im April geht es noch mal ein bisschen weiter weg, das ist wichtig nach der extrem langen Saison“, sagte Herrmann-Wick voller Vorfreude auf entspannte Tage ohne Skier an den Füßen und ein Gewehr auf dem Rücken: „Auf die Zeit freue ich mich schon. Der April ist der einzige Monat, wo man wirklich mal so richtig ausspannen kann.“
Doch vor dieser Belohnung für eine erneut herausragende Saison will Herrmann-Wick zum Weltcupende noch mal alles aus sich herausholen. „Das wird noch mal richtig schön“, sagte sie. An Östersund, wo sie sich 2019 erstmals zur Weltmeisterin kürte, hat sie gute Erinnerungen. Und auch auf den Schlusspunkt am Holmenkollen freut sie sich: „Oslo ist eine besondere Stätte für den nordischen Skisport.“ Hier hat sie einst ihre erste WM als Skilangläuferin bestritten. Es sei „schön, als Biathletin an Orte zurückzukehren, an denen man als Langläuferin schon war“, erklärte die erfolgreiche Umsteigerin: „Die sieht man manchmal mit den gleichen Augen, manchmal aber auch mit anderen.“ In jedem Fall werde es „sehr emotional“, meinte sie, „da ist ein Kribbeln in der Luft“.
Auch, weil es in Östersund und Oslo womöglich die letzten Rennen ihrer Karriere sind? Diese Möglichkeit besteht nach wie vor, auch wenn ihre jüngsten Aussagen eher dagegen sprechen. „Das Leben hat viel zu geben. Aber aktuell gibt mir das Leben noch eine Waffe und Langlaufskier“, sagte Herrmann-Wick, die aber auch betonte: „Das wird irgendwann ein Ende haben.“ Und wann? Bei der Antwort auf diese Frage bleibt die aktuell beste deutsche Biathletin bewusst vage. „Es dauert so lange wie es dauert.“ Auch angesprochen auf ihre Zukunftspläne lässt sich die ehrgeizige Sächsin nicht in die Karten gucken: „Mal schauen, was danach kommt.“
Heim-WM als Motivationsschub
Klar ist: Herrmann-Wick will selbst entscheiden, wann Schluss ist. Schon nach dem Olympiasieg 2022 in Peking hatten viele Experten gemeint, dass dies der beste Zeitpunkt für ein Karriereende sei. Doch Herrmann-Wick entschied sich nach reiflicher Überlegung für ein Weitermachen – und traf damit die genau richtige Entscheidung. Die Heim-WM in Oberhof war ein großer Motivationsschub. Und die Titelkämpfe zwei Stunden entfernt von ihrer Heimat waren ein weiteres Highlight ihrer Laufbahn, das sie bei einem Rücktritt nach Peking nicht mehr erlebt hätte. Die extrem stimmungsvollen Titelkämpfe in der Biathlon-Hochburg vor heimischem Publikum seien eine „extrem schöne Erfahrung“ gewesen. „Man konnte ja nur erahnen, wie sich so eine Heim-WM anfühlt“, sagte sie. Ihre Erwartungen wurden weit übertroffen. „So etwas zu erleben, ist eine Riesenehre als Sportler. Da geht das Herz auf.“ Mit ihrem ersten Platz in ihrer Spezialdisziplin Sprint und den zweiten Rängen in der Verfolgung und mit der Staffel habe sie zwar insgeheim geliebäugelt und auch hart dafür gearbeitet, „aber da gehört noch so viel mehr dazu“. Glück, das richtige Material, die Unterstützung von den Rängen zum Beispiel. „Dass auch meine Familie auf der Tribüne alles gegeben hat, macht es noch besonderer“, sagte sie: „Ich bin total dankbar, das erleben zu dürfen.“
Diese Dankbarkeit zeigte sie in den wilden WM-Tagen auch. Fast alle Autogrammwünsche erfüllte sie. Und es waren viele. Denise Herrmann-Wick war der deutsche Star beim Saisonhöhepunkt. Fans, Medien, Veranstalter, Sponsoren – alle rissen sich um sie. „Man hat das alles gerne aufgenommen und ist mit einem Lächeln eingelaufen, das war schon eine coole Atmosphäre“, sagte sie: „Ich hatte mir gedacht: 2022 soll nicht aufhören, 2023 kann eigentlich nur schlechter werden. Aber jetzt kann ich sagen: Es war ein schöner Start ins neue Jahr.“ Verglichen mit Olympia müsse sich diese WM in ihrem persönlichen Ranking nicht verstecken. „Es ist ein fast gleich hoher Berg, den man erklimmen kann“, sagte Herrmann-Wick fast schon philosophisch. Sie hat nun beide Berge der höchsten Kategorie bezwungen. „Es ist schön, da mal drauf zurückzublicken.“ Aber noch nicht jetzt. „Ich bin total motiviert. Ich weiß genau, was ich machen muss, um ganz oben zu sein. Das motiviert mich, auch für die Kleinigkeiten, die einen besser machen, alles zu geben“, sagte die 34-Jährige. Der Biathlon-Sport sei „kein Job“ für sie, sondern „eine Leidenschaft“. Und die gibt man bekanntlich nur sehr ungern auf. Doch auch sie weiß, „dass Athletinnen in meinem Alter um mich herum immer weniger werden“. Der Generationswechsel sei voll im Gange, „aber das ist normal“.
Doch genau wie nach Olympia stellt sich die Frage: Warum nicht jetzt, wo es am schönsten ist, aufhören? „Es kommt jetzt auch noch ein bisschen was“, sagte Herrmann-Wick, ohne konkreter zu werden. Zunächst will sie noch die Weltcups in Schweden und Norwegen in Angriff nehmen, „es geht noch ein bisserl um was, von daher bin ich noch heiß“.
Was danach und nach dem Urlaub mit dem Ehemann kommt, damit will sie noch nicht rausrücken. Aber planlos ist die Autorin des Buches „Zielsicher – Mein langer Lauf an die Biathlon-Spitze“ keineswegs. Das war sie während ihrer Karriere so gut wie nie. „Die, die mich kennen, wissen, dass ich meine Ziele und Pläne habe und keine bin, die so viel herumeiert“, sagte die zweimalige Weltmeisterin. Sie wisse schon seit ungefähr drei Jahren von jenem „Moment, den ich mir gut vorstellen kann, dass er passt“. Dem Biathlon-Zirkus „Tschüss“ zu sagen.
Keine Sorgen um Nachwuchs
Es wird der nächste Abschied einer großen Biathletin nach Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier. Doch auch diese Lücke werde das Team irgendwann schließen, ist sich Herrmann-Wick sicher. „Man sieht auch an den Mädels, die jetzt in Oberhof dabei waren: Da kommt ordentlich etwas nach, da wächst schon was heran“, sagte sie: „Das ist schön mitanzusehen.“ Gemeint waren Hanna Kebinger und Sophia Schneider, die mit der Staffel zu Silber gelaufen waren. Kebinger, die sich sensationell über den Alpen- und IBU-Cup in den Weltcup und schließlich auf den letzten Drücker auf den WM-Zug gekämpft hatte, überzeugte auch mit den Einzel-Plätzen 17 (Sprint), acht (Verfolgung) und zwölf (Massenstart). „Ich glaube, ich habe definitiv gezeigt, dass ich in das Team gehöre“, sagte die 25-Jährige.
Das findet auch Herrmann-Wick, die aber auch Schneider eine „Riesensaison“ attestierte, obwohl die „niemand auf dem Zettel“ gehabt habe. „Aus dieser Heim-Weltmeisterschaft können die Mädels extrem viel mitnehmen. Das wird in den nächsten Jahren richtig viele Früchte tragen“, sagte Deutschlands Nummer eins im Biathlonsport. Hanna Kebinger sowie die gleichaltrigen Sophia Schneider und Vanessa Voigt müssten „nur bei der Sache bleiben und ihr Ding genauso weiterfolgen, dann mache ich mir da wenig Sorgen“.
Es gebe im deutschen Biathlon „mehrere Mädels, die das draufhaben“.
Dazu zählt auch die erst 18-jährige Selina Grotian, die in manchen Medien bereits als „Biathlon-Wunderkind“ gefeiert wird. Damen-Bundestrainer Kristian Mehringer hatte das mit einem Vergleich mit Doppel-Olympiasiegerin Neuner angeheizt: „Sie erinnert mich vom Typ her an Magdalena.“
Vergleiche mit erfolgreichen Vorgängerinnen kennt Herrmann-Wick zur Genüge. Doch das ist längst Vergangenheit. Bald werden andere an ihren Erfolgen und an ihrem Auftreten gemessen. Angst, nach dem Rücktritt in ein emotionales Loch zu fallen, hat sie nicht. „Wenn ich aufhöre, wird auch mein Leben weitergehen“, sagte sie und scherzte: „Vielleicht nicht mehr so schnell und mit so viel Laktat.“