Prof. Dr. Thomas Penzel ist einer der renommiertesten Schlafforscher Deutschlands. An der Berliner Charité untersucht der 64-Jährige die vielen Facetten von Schlafstörungen.
Das berühmteste Krankenhaus Deutschlands, die Berliner Charité, ist kein Krankenhaus, sondern eher eine kleine Stadt inmitten der Hauptstadt, unweit des Hauptbahnhofs und für jedermann zu erkennen an dem weiß getünchten Hochhaus, das alle anderen Gebäude weit und breit überragt und nichts anderes symbolisiert als Selbstbewusstsein. Wer hier durch die Gassen und verwinkelten Straßen läuft, findet immer ein Institut, einen Lehrstuhl, eine Forschungseinrichtung, die mit der Charité verbunden ist. Der ganze Distrikt gleicht fast einem Bienenstock, in dem Hunderte von Menschen – Pfleger, Ärzte, Krankenschwestern, Forscher und Studenten – emsig hin und her eilen, darum bemüht, andere gesund zu machen. Darüber wurden immer wieder Filme gedreht, Serien geschrieben, Dramen entworfen und kleine und große Helden gemacht.
Man muss sich schon durchfragen, will man in der Luisenstraße hinter einer unscheinbaren Fassade und mitten durch ein öffentliches Café hindurch das Büro von Prof. Dr. Thomas Penzel erreichen, einem der renommiertesten Schlafforscher Deutschlands. Mit viel Respekt und Achtung betritt man das Vorzimmer seines Büros, sind doch hierzulande Ärzte und Professoren der Medizin besonders hoch angesehen, einstmals „Götter in Weiß“ genannt, scheinbar unfehlbar im Handeln und Urteil, so wie es populäre TV-Serien im Vorabendprogramm suggerieren. Würde Prof. Thomas Penzel in solch einem Streifen eine Hauptrolle spielen? Wohl kaum. Dafür ist er viel zu bescheiden, zurückhaltend und angenehm uneitel. So einer rauscht nicht im weißen Kittel über die Flure seines Instituts, Doktoranden und Assistenten im Schlepptau, im Gegenteil, er fällt kaum auf. Thomas Penzel ist einfach nur sympathisch, seine Stimme ist angenehm weich, er berlinert nicht, seine Augen sind groß, sein Blick aufmerksam und ruhig, und wenn er über seine Forschung spricht, so erklärt er dem Laien verständlich, worum es ihm geht.
Immunsystem wird regeneriert
Muss man den Schlaf erforschen, einen Zustand, der in unserem Alltag angeblich keine große Rolle spielt, weil uns nicht beschäftigt, was wir meist nicht wahrnehmen? Bis ins 20. Jahrhundert wurde der Schlaf als passiver Zustand angesehen, ein Irrtum. Denn der Schlaf, so sagt Thomas Penzel, ist eben nicht der kleine Tod, sondern ein überaus lebendiges Programm mit vielerlei Abläufen. In verschiedenen Phasen – wie im Tiefschlaf – erholt sich der Körper und regeneriert sich das Immunsystem, im Traumschlaf werden unter anderem Erinnerungen, Stimmungen und Eindrücke sortiert, gespeichert oder ausgesondert. Nicht zu schlafen kommt Folter gleich.
Schlafstörungen gehören zu den häufigsten gesundheitlichen Beschwerden der Deutschen, 25 Prozent der Erwachsenen klagen darüber und über zehn Prozent empfinden ihren Schlaf häufig oder dauerhaft als nicht erholsam. Leistungseinschränkungen, Krankschreibungen oder Unfälle sind die Folgen und so verwundert es nicht, dass die Werbung für Schlafmittel boomt.
Thomas Penzel, geboren in Hamburg und aufgewachsen in Straßburg, Mainz und Ludwigshafen, wollte eigentlich Naturforscher werden, weil er in den Ferien mit der Oma an der Nordsee besonders gern Tiere beobachtete. Bildung und Natur zu erleben besaßen stets einen großen Stellenwert in seinem liberalen Elternhaus, und frühzeitig ging Thomas als ältester der drei Geschwister seinen eigenen Weg. Chemiker wäre er auch gern geworden, wie sein Vater, doch ein unfähiger Lehrer verdarb ihm die Freude am Stoff, und so entschied er sich für Mathematik und Physik. Noch glaubte er, als Physiker später einmal sichere Atomkraftwerke bauen zu können, aber irgendwann verflog diese Illusion und er engagierte sich in der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung. Nur konsequent, dass er auch den Wehrdienst verweigerte und später seinen Ersatzdienst in einer Behinderteneinrichtung absolvierte.
Sein Ziel, Physiker zu werden, verlor er dabei nie aus den Augen, im Gegenteil. Er studierte in Göttingen, Berlin und Marburg und suchte nach einem Weg, wie sein physikalisches Fachwissen, seine Computerkenntnisse und seine Messerfahrungen dem Menschen wirklich nutzen konnten. Dieser öffnete sich, als er im zentralen Entwicklungslabor für Elektronik an der Marburger Uniklinik mitarbeiten konnte, in dem unter anderem neue Geräte für die Medizin entwickelt werden sollten. Gleichzeitig erfuhr er von Patienten, die nachts schlecht schliefen oder deren Atmung im Schlaf aussetzte. Was geschah eigentlich während des Schlafes mit diesen Menschen? War es nicht sinnvoll, in diesen Phasen die Atmung, den Herzschlag, den Blutdruck und andere wichtige Funktionen zu messen und zu überwachen? Thomas Penzel wusste, dass diese Fragen seinen weiteren beruflichen Werdegang prägen würden, und so verlagerte sich seine Arbeit zunehmend von der technischen Betreuung hin zur Analyse dieser merkwürdigen Krankheit. Er studierte nun in einem Aufbaustudium zusätzlich Medizin, Biologie und Physiologie, betreute in Marburg Forschungsprojekte und Doktoranden und war schon vorher an der Entwicklung des „Marburger Koffers“ beteiligt, spezielle Mess- und Untersuchungsgeräte, die den Schlafgestörten in einem Koffer nach Hause gebracht werden mussten. Nachdem er im September 2005 den ersten Weltkongress der Schlafmedizin organisiert und nach Berlin geholt hatte, wurde ein Jahr später an der Charité das Schlaflabor erweitert und ihm dort eine Stelle angeboten.
Ursprünglich wollte er Physiker werden
Wenn man Thomas Penzel nach seiner aktuellen Tätigkeit befragt, antwortet er lachend: „Telefonieren und E-Mails schreiben.“ Tatsächlich ist die Entwicklung neuer Forschungsprojekte, ihre Finanzierung und die lebendige Verbindung mit Institutionen, Fachgesellschaften und Ministerien in ganz Europa eine zeitaufwendige Aufgabe. Hinzu kommen Vorträge, Weiterbildungen und Publikationen, wobei die Fragestellungen stets aus der unmittelbaren Praxis und durch die enge Zusammenarbeit mit den Ärzten entstehen. Wann aber gilt eine Schlafstörung als krankhaft? Thomas Penzel sträubt sich ein wenig mit einer eindeutigen Antwort, denn die Entwicklung einer Schlafstörung mit ihren vielen Facetten ist ein Prozess, es geht stets um Verläufe, die nicht nach einem starren Schema kategorisiert werden können. Grob gesagt bedarf einer Behandlung derjenige, der mindestens vier Wochen an einer Schlafstörung und von dieser dreimal pro Woche heimgesucht wird.
Dass zunehmend mehr Menschen unter Schlafproblemen leiden, hat sicher auch damit zu tun, dass unsere Gesellschaft sich immer schneller und effizienter organisiert: ständige Einsatzbereitschaft rund um die Uhr, mehr Rastlosigkeit und immer weniger Gelegenheit für bewussten Müßiggang. Thomas Penzel hält es für einen Irrweg, alles auf schnelle Nützlichkeit optimieren so wollen, es ist falsch, weil es nicht unserer Natur entspricht. So, wie man durch biologische Abläufe erkrankt, so gesundet man auch in einem Prozess, der Zeit braucht. Die schnelle Pille für einen erholsamen Schlaf, mal eben so vom Arzt verschrieben, ist grundsätzlich keine Lösung. Im Gegenteil: Sedierende Antidepressiva haben ein hohes Sucht- und Abhängigkeitspotenzial und werden aus Unwissenheit und Zeitmangel zu oft verschrieben. Einfache Maßnahmen der Schlafhygiene wirken besser und nachhaltiger. Regelmäßige Aufsteh- und Zubettgehzeiten, der Verzicht auf Alkohol, Nikotin und Koffein vor dem Schlaf sind ebenso hilfreich wie eine beruhigende Umgebung und der Verzicht auf Grübeleien zu später Stunde. Es sei zu hoffen, so der Schlafforscher, dass Ärzte sich auf diesem Gebiet weiterbildeten und sich mehr Zeit für eine ausführliche Beratung nehmen würden. Mitunter könne sogar der Gang zum Psychologen lohnen, um in einen normalen, erholsamen Tages- und Nachtrhythmus zurückzukehren.
Auch in einem Schlaflabor lernt kein Mensch das Schlafen, wie irrtümlich oft angenommen wird. Die Nacht dort gilt allein der Diagnostik, man überwacht und misst und will ziemlich genau wissen, was während des Schlafes im Kopf und Körper des Patienten geschieht.
Erforschung von Atmungsstörungen
Als Forscher interessieren den 64-Jährigen noch immer Fragen, die ihn schon in seiner Marburger Zeit umgetrieben haben. Da sind zum einen schlafbezogene Atmungsstörungen. Da es damals nur sehr wenige bekannte Fälle gab, wurden diese Störungen nicht ernst genommen oder gar als „Marburger Krankheit“ verspottet. Heute weiß man jedoch, dass solche Atemstillstände bei jedem zweiten Menschen über 40 Jahre vorkommen. Wie kann man Atmungsstörungen erkennen, die wirklich krankmachen? Welche sind harmlos, weil sie zum normalen Alterungsprozess gehören, welche sind gefährlich? Zum anderen richtet sich die Aufmerksamkeit der Forschung seit drei Jahren auf die Tiefschlafphase. Dazu bedarf es aufwendiger Technik und nur wenige Einrichtungen gehen einer ganz konkreten Frage nach: Was geschieht mit und in unserem Gehirn in dieser Phase? Reinigt sich das Hirn von Abbauprodukten, die bei der Alzheimer-Erkrankung eine Rolle spielen? Könnte man vielleicht durch Schwingungen diesen Prozess der Gehirnwäsche stimulieren und damit einer Alzheimer-Erkrankung vorbeugen? Diese Forschung erfordert nicht nur gute Wissenschaftler, sondern auch und vor allem Geld. Die Krankenkassen, so Penzel, widmen dieser Thematik zu wenig Aufmerksamkeit, Weiterbildung und mehr finanzielle Anreize für Ärzte sind unbedingt erforderlich.
Und wie schläft der Schlafforscher selbst am besten ein? Er geht dann zu Bett, wenn er müde und bereit zum Schlaf ist, nicht nach einer starren Zeit. Zwischen 23.30 und 1 Uhr. Das ist seine Zeit. Dann nimmt er sich die Muße, „runterzufahren“. Am Abend nicht allzu viel und nichts Schweres essen, die Grübelei auf den nächsten Tag verschieben, das Licht auf Halbdunkel stellen, vielleicht ein halbes Glas Rotwein.