Bei Deutschlands größtem Fotofestival European Month of Photography (EMOP) werden in Berlin und Potsdam mehr als 100 Ausstellungen gezeigt.
Turnen die Makaken im Affenfreigehege im Tierpark Friedrichsfelde tatsächlich auf Trümmern des gesprengten Berliner Schlosses herum? Eiko Grimberg (Jahrgang 1971, geboren in Karlsruhe) hatte davon gehört. In seinem fotografischen Essay „Rückschaufehler“ greift er diese Legende auf. Die Fotos zeigen in Ausschnitten den Palast der Republik, den Tierpark und das Schloss, Schichten der deutschen Geschichte bis heute.
Diese Arbeiten Grimbergs finden sich gleich hinter dem Eingang im prächtigen Amtsalon, einem neuen Kunstort im ehemaligen Amtsgericht Charlottenburg. Hier, ganz im Westen Berlins, liegt einer der Ausstellungsorte der zehnten Ausgabe des „European Month of Photography“. EMOP ist das größte Biennale-Festival für Fotografie in Deutschland und dauert den ganzen März. Das Festival will die Bandbreite des internationalen fotografischen Schaffens in Berlin zeigen, und wie es in den Galerien, Institutionen und in den zahlreichen Projekträumen behandelt wird. 100 Ausstellungen in Berlin und Potsdam können besucht werden. Im Amtsalon läuft die Jubiläumsschau „Touch. Politiken der Berührung“. Auf vier Stockwerken werden Arbeiten von 40 in Berlin lebenden Künstlern gezeigt, die die fotografische Bildkultur der Stadt seit Jahrzehnten prägen.
Junge Menschen, wilde Sprünge
„Touch“ sei das Leitmotiv des gesamten EMOP, so die künstlerische Leiterin Maren Lübbke-Tidow. Gerade nach der Corona-Zeit gehe es darum, weiter in Verbindung, in Kontakt zu bleiben – „to keep in touch“. Das Motiv der Berührung reiche weiter zu der Frage: Wie können wir uns von Bildern berühren lassen? Und welche Rolle spielen neue Techniken, etwa der Touchscreen?
Auf dem Weg zu Grimbergs Fotos kommt man zunächst an durch und durch analogen Fotos vorbei: Adrian Sauers „Palast der Republik von 1993“. Sauer, 1976 in Ostberlin geboren, fotografierte – damals selbst Skater – die Skaterszene vor dem einstigen Repräsentationsgebäude, aus dem die DDR-Volkskammer ausgezogen war. Junge Menschen, wilde Sprünge, voller Zukunftshoffnung, das Vergangene schon längst hinter sich gelassen. Die neue Freiheit auskostend auf Skateboards, die zuvor nur Rollbrett genannt werden durften. Zu den bekannten Künstlerinnen zählt im Amtsalon Ute Mahler, die seit 1975 als freie Fotografin arbeitet. Sie etablierte sich als Mode- und Porträtfotografin in der DDR und war vor allem für die Kultur- und Modezeitschrift „Sibylle“ tätig. 1990 war sie eine der Gründerinnen der Agentur Ostkreuz. Von ihr sind Schwarz-Weiß-Arbeiten zu „Ratten 07“ zu sehen, einem Obdachlosen-Theaterprojekt.
Ausstellungen von West nach Ost, vom Amtsalon zu einem leerstehenden Bürogebäude in der Leipziger Straße – der Foto-Monat ist auch eine gute Gelegenheit, Orte der Stadt zu erkunden. Veranstalter des European Month of Photography ist die Kulturprojekte Berlin GmbH in Zusammenarbeit mit Museen, Kulturinstitutionen, Galerien, Botschaften, Projekträumen und Fotoschulen in Berlin und Potsdam. Zu den Highlights zählen in der Galerie Chaussee 36 Photo Foundation in Mitte die Präsentation des Berufsverbandes Freie Fotografen und Filmgestalter der Sammelausstellung „Touché“ mit Werken von unter anderem Herlinde Koelbl, Manja Liebrucks, Thomas Höpker und Walter Schels. Das Bröhan-Museum zeigt „Andreas Feininger: New York in the Forties“. „Walk of Fame“ in der Galerie Camera Work zeigt Aufnahmen von Stars der 1960er- und 1970er Jahre.
Umfangreich ist die „Drängende Gegenwart“ betitelte Gemeinschaftsausstellung der Ausbildungsorte im Bereich Fotografie in Berlin und Potsdam in einem leerstehenden Bürogebäude in der Leipziger Straße. Sie zeigt den Blick der jungen Generation, mit dabei sind der Lette Verein Berlin, die Ostkreuzschule für Fotografie, die University of Europe for Applied Sciences, die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, die International Photography School sowie die Fachhochschule Potsdam. „Drängende Gegenwart“ will die gesellschaftlichen und sozialen Umbrüche und Herausforderungen reflektieren, die durch das Zusammentreffen vielfältiger Krisen geprägt werden, vom Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und den Folgen in Europa und weltweit über die sich verschärfende Klimakrise, die anhaltende Pandemie bis hin zum Wiedererstarken nationalistischer und identitärer Bewegungen.
Exemplarisch politisch, so sieht Kuratorin Maren Lübbke-Tidow auch die Arbeiten der US-amerikanischen Künstlerin Nan Goldin. Sie erhielt den Käthe-Kollwitz-Preis 2022 und anlässlich der Preisverleihung zeigt die Akademie der Künste Fotografien von Goldin aus fünf Jahrzehnten. Radikal privat, radikal politisch. Als Preview wird der Film „All the Beauty and the Bloodshed“ (Kinostart 26. Mai) zu sehen sein, der Nan Goldins Kampf gegen den Pharmakonzern Sackler dokumentiert und den Goldenen Löwen in Venedig gewann. Goldin selbst war abhängig von Oxycodon, jenem suchtgefährdenden Schmerzmittel, dem sie den Tod von 300.000 Menschen zuschreibt.
Sehen und gesehen werden
Zum Rahmenprogramm gehören Vorträge, unter anderem von Beate Gütschow, Künstlerin, Professorin an der Kunsthochschule für Medien Köln und Klimaaktivistin. Angesichts der Klimakrise habe sie ihre Arbeit als sinnlos empfunden. Nun fotografiert sie Klimaproteste und beschäftigt sich mit Klimaschäden, etwa den Waldbränden in Brandenburg. Hinzu komme die Frage, was sie selbst tun könne. „Was passiert, wenn Arbeiten durch die Welt verschifft werden, wie das bei mir füher der Fall war?“ Das habe großen Einfluss auf die Klimabilanz. Fotografie sei rohstoffbasiert. Es sei eine „schuldvolle Geschichte“, weil auch dafür die Kolonien ausgebeutet wurden. „Ein Bild ist nicht immateriell“, sagt Gütschow, auch wenn man das glauben könnte. Heute gehe es um Lithium-Batterien in Smartphones, um Strom für die Cloud.
Politisch waren und sind auch die Arbeiten von Gabriele Stötzer. Stötzer, 1953 bei Gotha geboren, lebt und arbeitet in Erfurt sowie in den Niederlanden. Die Künstlerin wurde in der DDR massiv verfolgt, war in der ostdeutschen Kunst- und Untergrundszene aktiv, gründete die Künstlerinnengruppe Erfurt. Seit 2010 ist sie Dozentin für Performance an der Universität Erfurt. 2013 wurde sie für ihr politisches und künstlerisches Engagement in der DDR mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Anlässlich des EMOP sind ihre Bilder in ihrer ersten Einzelausstellung zu sehen, in der Galerie Pankow, einer von 32 kommunalen Galerien Berlins. „Sehen und gesehen werden“, darauf komme es an, in der Kunst, im Leben, so Stötzer. „Man musste im Osten kämpfen, um nicht unterzugehen aber auch, um nicht verhaftet zu werden“, fasst sie ihre Vergangenheit zusammen. Gerade in ihrer Arbeit mit Frauen ging es darum, „nicht im Knast zu landen“. Den kennt Stötzer aus eigener Erfahrung: Sie war aus politischen Gründen in das Frauengefängnis Hoheneck gekommen. Ihre Ausstellung trage für sie dazu bei, gesehen zu werden. Denn auch im Westen, heute, gehe es darum, „nicht unterzugehen, in der Masse und in der Vereinzelung“. Sie sprach von der Offenheit und der Herzlichkeit der Kunst und rief den Kollegen bei der Eröffnung zu: „Macht weiter! Ich mache mit.“